Alle Jahre wieder, doch dieses Jahr ganz anders |
Weihnachten digital, ohne Familie und körperliche Nähe? Das könnte sich im Jahr der Pandemie durchaus bewahrheiten. / Foto: Getty Images/adamkaz
Die Pandemie verunsichert, verhindert womöglich die gemeinsame Weihnacht. Das könnte eine wahrlich stille Nacht werden. Rund die Hälfte der erwachsenen Bundesbürger rechnet laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa mit einem Weihnachten in der Isolation: 52 Prozent befürchten, dass Haushalte getrennt feiern müssen. 53 Prozent erwarten, dass Restaurants, Kneipen und Cafés rund um die Feiertage geschlossen bleiben. Dass Weihnachten und Silvester überwiegend so ablaufen wie jedes Jahr, erwarten lediglich 8 Prozent. Gefragt nach dem persönlich vorherrschenden Gefühl mit Blick auf Weihnachten nennt die Hälfte negative Gefühle wie Sorge (19 Prozent), Traurigkeit (16 Prozent), Unbehagen (14 Prozent) und Angst (2 Prozent). Nur 6 Prozent empfinden Vorfreude.
Weihnachten, das ist nicht irgendein Fest in Deutschland, das ist Tradition und Sentimentalität - generationenübergreifend. Abgesagte Weihnachtsmärkte, eingeschränkte Kontakte, weniger Reisen führen wohl dazu, dass sich die Feiertage 2020 merkwürdig anfühlen werden. »Ich denke, dass Weihnachten in diesem Jahr ein anderes Weihnachten sein wird2, sagte kürzlich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Bis zur alten Normalität werde es noch lange dauern. Zuversicht im Zusammenhang mit dem Teil-Lockdown verbreitete dagegen Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus: »Wenn wir es jetzt im November richtig machen, dann haben wir eine Chance, dass wir einigermaßen vernünftig Weihnachten feiern können.«
In Videoschalten sieht der Soziologe Sacha Szabo, der das Weihnachtsfest im Wandel der Zeit erforscht hat, dagegen keine befriedigende Alternative, da die körperliche Präsenz fehle. Weihnachten sei das Fest, an dem sich Familien – vor allem beim Essen – ihrer selbst versicherten. »Vielleicht ist diese Bedeutung sogar noch stärker geworden, in dem Maße dieses Fest profaner wurde und seine religiöse Bedeutung in den Hintergrund trat«, sagt der Weihnachtsexperte.
Szabo sieht jedoch das Problem, dass die aktuellen Verordnungen die heutige Pluralität kaum abbilden. »Es wird ein bestimmtes Familienbild transportiert. Angenommen, es dürfen sich die Angehörige zweier Haushalte treffen, dann bildet man, zugespitzt formuliert, die Einkindfamilie der Babyboomer-Generation ab.« Doch werde es schon kompliziert, wenn die Feier bei deren Eltern stattfinde, oder man denke an soziale Gefüge wie Patchwork-Familien und Freundeskreise. »All das gibt es natürlich, aber es wird zugunsten eines romantisch verklärten Familienbildes ausgeblendet.«
Der Soziologe findet es auffällig, dass Weihnachten im Corona-Jahr immer wieder als Zeitmarke vorkomme. »Dass man Weihnachten nimmt, trägt schon auch die Botschaft mit sich, wenn man jetzt ›brav‹ ist, dann gibt es ein «schönes Weihnachtsgeschenk«. Das kann man dahin deuten, dass die Bürger ein wenig wie Kinder betrachtet werden, die erzogen werden müssen. Aber zugleich ist es eben auch eine Botschaft, die sofort verstanden wird, weil dieses Belohnungsmuster vertraut ist.»
Noch wisse niemand, wie das Weihnachtsfest konkret ablaufen soll. »Einerseits existiert ein Bedürfnis, sich innerhalb der Familie, als Hort der Sicherheit, aufgehoben zu fühlen. Zugleich aber kann jeder auch selbst ein Spreader sein und so die Bedrohung in genau dieses sehr private Gefüge hineintragen.« Oder es existiere die nachvollziehbare Angst, eben dort angesteckt zu werden, sagt Szabo.
Auf die Frage, ob es ein Licht am Ende des Tunnels gibt, antwortet er: »Bemerkenswerterweise wird ja nicht nur Weihnachten als markante Zeitmarke gewählt, sondern bei vielen Impfstoffprognosen wird gerne Ostern als möglicher Zeitpunkt genannt, an dem ein Mittel verfügbar ist, mit dem diese Krise endet und das normale Leben wieder beginnt. Ob das aber eintritt, weiß im Moment erst recht niemand.«