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Zyklusstörungen, Akne, unerfüllter Kinderwunsch

An Funktionsstörung der Nebennieren denken

Das Adrenogenitale Syndrom (AGS) umfasst eine Gruppe seltener angeborener Erkrankungen der Nebennieren. Besteht ein Androgen-Überschuss, können junge Frauen an Zyklusstörungen, Akne und Unfruchtbarkeit leiden. Das AGS kann vererbt werden.
PZ
27.09.2022  12:00 Uhr

»Bei jungen Frauen mit Zyklusunregelmäßigkeiten und unerfülltem Kinderwunsch sollte man immer an eine Hormonstörung der Nebennieren, das Adrenogenitale Syndrom, denken«, sagte Professor Dr. Nicole Reisch, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, heute bei einer Pressekonferenz der DGE. Hier handle es sich um die mildere Form der Erkrankung, das Late-onset-AGS. Bei dieser angeborenen Funktionsstörung der Nebennieren produzieren die Drüsen zu viel Androgene.

»Die zwei wichtigsten Formen des AGS sind die bereits zur Geburt auftretende klassische schwere Form und die sehr viel häufigere und mildere, nicht-klassische Late-onset-Variante«, erklärte die Endokrinologin aus München. Bei mehr als 90 Prozent der AGS-Patienten liegt ein 21-Hydroxylase-Mangel vor. Dieses Enzym ist verantwortlich für die Bildung von Cortisol. Bei einer Fehlfunktion kann es zu einer Unterversorgung mit diesem lebenswichtigen Hormon kommen, bei der schweren Form auch zu einem Mangel an Aldosteron. Bei einem völligen Ausfall seien die Patienten unbehandelt nicht lebensfähig, so die Ärztin. Daher werde im Neugeborenen-Screening auf AGS getestet. Beginnt die Hormonersatztherapie rasch, könnten praktisch alle Babys überleben.

Mildere Form mit Androgen-Überangebot

Bei der milderen Form des AGS leiden die Patienten nicht an einem Cortisol-Mangel, sondern an einem Überangebot an männlichen Hormonen. »Das Syndrom betrifft beide Geschlechter gleichermaßen, aber die Late-onset-Form prägt sich bei Jungen selten klinisch aus, da der Hauptteil von Testosteron im Hoden gebildet wird«, erklärte die Endokrinologin. Bei Jungen und Mädchen könne es zu verfrühter Schambehaarung und Pubertät kommen.

An Late-onset-AGS leidet etwa eines von 200 bis 1000 Mädchen und Frauen. Erste Symptome treten typischerweise ab der Pubertät auf, zum Beispiel späte, unregelmäßige oder ausbleibende Blutung, Akne und männlicher Behaarungstyp, später auch unerfüllter Kinderwunsch und Fehlgeburtlichkeit. Berichten junge Frauen über solche Symptome, solle der Arzt ein AGS abklären und vom polyzystischen Ovarsyndrom abgrenzen. Das PCOS verursacht ähnliche Symptome und ist sehr viel häufiger. »Das PCOS ist eine Ausschlussdiagnose; die Diagnose darf nur gestellt werden, wenn vorher ein AGS ausgeschlossen wurde«, betonte Reisch.

Die Differenzialdiagnose ist so wichtig angesichts der Vererbbarkeit. »Auch wer selbst leicht erkrankt ist, kann die schwere Variante weitergeben. Zwei Drittel der Betroffenen eines nicht klassischen AGS sind Genträger einer schweren Mutation und können damit die Anlage für ein klassisches AGS weitergeben.« Daher seien eine genetische Beratung und die genetische Untersuchung des Partners bei Kinderwunsch entscheidend.

Ist ein Cortisol-Mangel ausgeschlossen, orientiert sich die Therapie an den konkreten Beschwerden der Frau. Gemäß der S1-Leitlinie »Adrenogenitales Syndrom (AGS) im Kindes- und Jugendalter« der Deutschen Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -diabetologie können Glucocorticoide und/oder antiandrogen wirksame Substanzen, auch orale Kontrazeptiva, sowie hormonhaltige Topika und kosmetische Behandlungen indiziert sein.

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