Anaphylaxien beim Impfen vermeiden |
Arm frei machen, impfen, fertig? So einfach ist es nicht mit den Covid-19-Impfungen in Apotheken. Die PTA muss in die Betreuung der Patienten mit eingebunden werden. / Foto: Getty Images/Jasmin Merdan
Der Pharmazeut ist zwar die Person, die die Covid-19-Vakzine in den Arm bringt, aber ohne die Mitarbeit von PTA und PKA sind Impfungen in Apotheken nicht praktikabel. Es sind vor allem Patienten mit allergischer Vorgeschichte, die im Notfall ein beherztes Eingreifen benötigen, sagte der Präsident des deutschen Allergologenverbandes (AeDA) bei einer Fortbildungsveranstaltung von Pharma4u. »Der Impf-Apotheker sollte zum Beispiel nie allein mit dem Impfling sein, und das Vorgehen bei einem anaphylaktischen Schock ist mit dem gesamten Team vorab durchzugehen.«
Das Wichtigste für die Apotheken-Impfungen laut Klimek: »Seien Sie gut vorbereitet und haben Sie einen Notfallplan. Dazu gehört, einschätzen zu können, welche Symptome ein rasches Handeln nötig machen.« Zu anaphylaktischen Reaktionen mit milder Ausprägung gehören leichte Allgemeinreaktionen, die nur die Haut betreffen. »Das ist meist ein Hautjucken, vielleicht auch ein Angioödem im Bereich der Lippen und Flush. Darüber hinaus ist aber weder der Gastrointestinal- oder der Respirationstrakt noch das Herz-Kreislauf-System betroffen. Diese Hautsymptome zählen zu den Lokalreaktionen, auch wenn sie nicht unmittelbar an der Eintrittsstelle auftreten«, beschrieb Klimek, der auch Leiter des Allergiezentrums in Wiesbaden ist.
Sobald aber eines der anderen Organsysteme mitreagiert, liegt eine Notfallsituation vor. Die Reaktion an der Haut kann dabei identisch sein. »Das sind Patienten, die zum Beispiel spontan Stuhlabgang haben, denen übel wird, die Atemnot bekommen. Ihnen wird schwarz vor Augen, der Blutdruck fällt ab oder sie reagieren mit einer Tachykardie. Diese Situation ist eine akute Gefährdung, die der Impf-Apotheker niemals allein beherrschen sollte. Spätestens ab diesen Symptomen sollte ein Notarzt vor der Apotheke vorfahren und den Patienten mitnehmen und die Ursache abklären.« Zuvor gilt es freilich, rechtzeitig den Adrenalin-Autoinjektor zu setzen und den Notruf 112 zu wählen.
Der Anaphylaxie-Notfallplan Schritt für Schritt in Abhängigkeit von den vorliegenden Symptomen. Im Zweifelsfall ist der Adrenalin-Autoinjektor zu verabreichen. Quelle: modifiziert nach www.daab.de / Foto: PZ
Der Experte empfiehlt, vorab im Team zu besprechen, was im Falle eines Falles zu tun ist (siehe Kasten). Jeder Mitarbeiter hat seine Aufgabe, der Notfallkoffer mit dem Adrenalin-Autoinjektor, dem Antihistaminikum und dem Glucocorticoid jeweils in flüssiger Form muss sich sofort greifbar an einem festen Platz befinden. Dieses Notfallset ist regelmäßig reihum von den Mitarbeitern zu kontrollieren. Da sich die derzeit vier verschiedenen Modelle an Autoinjektoren (Fastjekt® von Meda (als Importpräparat Epipen®), Jext® von Alk Abelló, Anapen® von Bioprojet sowie Emerade® von Bausch + Lomb) in der Auslösung unterscheiden, ist die Handhabung mit einem Dummy vorab zu üben. Zudem gibt es jeweils Kinder- und Erwachsenen-Versionen.
Neben der Adrenalin-Injektion ist ein Antihistaminikum wie Cetirizin oder Desloratadin und ein Glucocorticoid wie Betamethason in flüssiger Form zu verabreichen. Sie können auch von Patienten mit Zungenschwellung und Larynxödem geschluckt werden. Im Akutfall sollte etwa die Hälfte der jeweiligen Flasche getrunken werden. »Alle im Notfallkoffer enthaltenen Medikamente gelten als Laienmedikamente. Sie dürfen diese verabreichen. Als Ersthelfer sind sie rechtlich abgesichert«, stellte Klimek in der anschließenden Fragerunde klar.
Damit es erst gar nicht soweit kommt beziehungsweise um die Rate schwerer allergischer Reaktionen möglichst klein zu halten, rät Klimek zur Zusammenarbeit mit einem allergologischen Zentrum. »Zwar gibt es für die allerwenigsten Allergiker eine Kontraindikation. Dennoch sollten Sie die kniffligen Fälle an ein Allergiezentrum verweisen, das auf Covid-19-Allergietests spezialisiert ist. So lässt sich eine exakte Diagnose durchführen.« Dann sei meist doch eine Impfung möglich, eventuell mit einer anderen Vakzine beziehungsweise unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen.
Für eine bevorstehende Covid-19-Impfung empfiehlt Klimek ein pragmatisches Vorgehen nach einem Ampelschema auch in der Apotheke. Dieses Flussdiagramm, das der AeDA zusammen mit dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Robert-Koch-Institut entwickelt hat, fasst die Vorgehensweise nach aufgetretenen Anaphylaxien infolge Covid-19-Impfung und bei Personen mit jeglicher Allergie in der Anamnese zusammen. »Die Ampel steht auf grün und die Impfung ist regulär mit einer 15-minütigen Nachbeobachtungszeit möglich, wenn es sich um eine Allergie in der Anamnese auf Tierhaare oder Nahrungsmittelbestandteile handelt, oder auch wenn eine Neurodermitis, Insektengiftallergien oder Unverträglichkeiten oraler Medikamente vorliegen.«
Laut Flussdiagramm können Personen, bei denen in der Vergangenheit eine Mastozytose oder Anaphylaxien nach Gabe von Medikamenten oder anderen Impfstoffen aufgetreten sind, die auf andere, nicht in Covid-19-Impfstoffen enthaltene Bestandteile zurückzuführen sind, geimpft werden. Es sollte jedoch die Nachbeobachtungszeit von 15 auf 30 Minuten verlängert werden. »Gibt der Patient allerdings im Vorgespräch an, dass er schon mal auf ein Röntgenkontrastmittel, ein Darmentleerungsmittel zur Koloskopie oder Narkosemittel reagiert hat, ist das ein Warnsignal aufgrund der enthaltenen Polyethylenglykole (PEG). Auch wenn Patienten ihren Allergiepass nicht dabeihaben oder das auslösende Agens nicht diagnostiziert wurde, sollten Sie die Betroffenen in ein Allergiezentrum schicken«, so Klimek. Das gilt freilich auch für Patienten mit einer Allergie auf einen Bestandteil der Covid-19-Impfstoffe oder nach einer Anaphylaxie auf die Erst- oder Zweitimpfung.
Die Abklärung im allergologischen Zentrum ist deshalb so wichtig, um zu eruieren, ob die allergische Reaktion in der Vergangenheit eine IgE-vermittelte Genese hatte oder eher pseudoallergischer Natur war. Die Abklärung der IgE-Beteiligung ist anhand von Pricktest und Intrakutan-Tests möglich. »Das ist entscheidend, ob ein Patient geimpft werden kann oder nicht. Besteht kein Anhalt für eine IgE-Beteiligung, ist die Impfung unter erhöhter Notfallbereitschaft im Klinikum dennoch möglich. Anderenfalls nicht.« Klimek berichtete von rund 1200 Covid-19-Allergietestungen, die im vergangenen Jahr in seiner Wiesbadener Klinik gemacht wurden, »davon waren die wenigsten IgE-vermittelte Mastzellreaktionen«.
Meistens gebe es laut des Referenten die Möglichkeiten, doch zu impfen, etwa Patienten mit Mastozytose, also mit überempfindlichen Mastzellen. »Diese Patienten bestellen Sie eine halbe bis eine Stunde vor dem Impftermin ein und versorgen Sie mit H1- und am besten auch mit H2-Antihistaminika, die der Allergologe zuvor verordnet hat. Ebastin 20 mg oder Rupatadin 10 mg sowie Famotidin 40 mg kommen dafür infrage. Nach der Impfung ist eine halbe Stunde Nachbeobachtungszeit nötig.«
Für Betroffene, die auf einen Bestandteil der verfügbaren Vakzinen allergisch reagieren, bestehe die Möglichkeit von Ausweichimpfungen: Das bedeute laut Klimek, dass Personen mit nachgewiesener PEG-Allergie mit einem Vektorimpfstoff und Personen mit Polysorbat-Allergie mit einem mRNA-Impfstoff geimpft werden können. Eine Kreuzreaktion, die zwischen PEG und Polysorbaten möglich wäre, trete so gut wie nie auf.
Die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® (Biontech/Pfizer) und Spikevax® (Moderna) enthalten mRNA in Lipidnanopartikeln, welche stellenweise mit dem Allergen PEG vernetzt sind. Bei den beiden Vektorimpfstoffen Vaxzevria® (Astra-Zeneca) und Covid-19 Vaccine Janssen (Johnson & Johnson) sowie bei dem demnächst verfügbaren proteinbasierten Impfstoff Nuvaxovid® (Novavax) sind vor allem die enthaltenen Polysorbate allergieauslösend.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.