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1,2 Millionen Todesfälle

Antibiotikaresistenzen – die »übersehene Pandemie«

Mehr als 1,2 Millionen Menschen auf der Welt starben 2019 einer Schätzung zufolge unmittelbar an einer Infektion mit einem Antibiotika-resistenten Erreger. Bei fast 5 Millionen Todesfällen war eine solche Infektion mindestens mitverantwortlich für den Tod, wie eine internationale Experten-Gruppe im Fachmagazin »The Lancet« berichtet. Antibiotika-Resistenzen gehörten so gesehen zu den häufigsten Todesursachen weltweit.
dpa/PTA-Forum
20.01.2022  09:00 Uhr

Von Antibiotikaresistenz sprechen Ärzte in der Regel, wenn Patienten auf ein Antibiotikum nicht reagieren, das heißt, wenn die krankmachenden Bakterien durch das Antibiotikum – anders als erhofft – nicht vernichtet werden. Zu den Keimen, die am häufigsten Probleme mit Resistenzen verursachten, gehörten Escherichia coli, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae und Streptococcus pneumoniae. Allein der gefürchtete Krankenhauskeim MRSA – Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus – verursachte der Studie zufolge 100.000 Todesfälle.

Besonders häufig kam es zu Problemen mit Resistenzen bei Infektionen der unteren Atemwege, also etwa einer Lungenentzündung. Diese verursachten 400.000 Todesfälle. Sehr viele Menschen starben auch infolge von Blutvergiftungen und Blinddarmentzündungen, weil die Infektion aufgrund resistenter Erreger mit Antibiotika nicht beherrschbar war.

Am stärksten betroffen waren der Studie zufolge Länder im westlichen Afrika südlich der Sahara. Dort habe es auf 100.000 Menschen fast 24 Todesfälle gegeben, die sich unmittelbar auf eine Infektion mit einem resistenten Erreger zurückführen ließen. In reichen Ländern lag die Rate bei 13 Todesfällen auf 100.000 Einwohner. Kinder unter fünf Jahren seien am stärksten gefährdet.

Bessere Hygiene, mehr Impfungen, gezielterer Antibiotika-Einsatz

»Diese neuen Daten legen das wahre Ausmaß des Problems antimikrobieller Resistenzen weltweit offen und sind ein klares Signal, dass wir jetzt handeln müssen«, sagte Mitautor Chris Murray von der University of Washington laut einer Mitteilung des Fachmagazins. »Wir müssen diese Daten nutzen, um den Kurs zu korrigieren und Innovationen voranzutreiben, wenn wir im Wettlauf gegen die Antibiotika-Resistenz die Nase vorn haben wollen.«

Ziel müsse sein, Infektionen weitgehend zu vermeiden durch verbesserte Hygiene oder durch Impfungen. Außerdem müsse der unangemessene Einsatz von Antibiotika – etwa bei viralen Infektionen, die grundsätzlich nicht auf Antibiotika ansprechen – reduziert werden. Neue Antibiotika müssten entwickelt und auf den Markt gebracht werden.

Als »übersehene Pandemie« beschreibt Ramanan Laxminarayan vom Center for Disease Dynamics das Problem antibakterieller Resistenzen in einem Kommentar zu der Studie. Obwohl viel mehr Menschen an solchen Infektionen sterben würden als etwa an HIV, flössen weit mehr Spendengelder in die Bekämpfung von HIV und Aids. Das müsse sich ändern. »Von einem unerkannten und versteckten Problem zeichnet sich nun endlich ein klareres Bild der Belastung durch antimikrobielle Resistenzen ab.« Zum Vergleich: Während 1,27 Millionen Menschen unmittelbar an einer Infektion mit einem resistenten Bakterium starben – Todesfälle, die ohne Resistenzen also vermeidbar gewesen wären – starben an HIV/Aids im Jahr 2020 geschätzt 680.000 Menschen und an Malaria 627.000.

Die Zahl der Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen ermittelten und analysierten die Forscher für das Jahr 2019 Daten aus der Fachliteratur, aus Krankenhaus-Datenbanken, Überwachungssystemen und anderen Quellen. Insgesamt betrachteten die Forschenden 204 Länder und Regionen, 23 krankmachende Bakterien und 88 Kombinationen von Bakterien und Antibiotika. Als Schwächen ihrer Studie nennen die Forscher die begrenzte Datenverfügbarkeit in einigen Teilen der Welt und die unterschiedlichen Quellen für die Daten, die zu Verzerrungen führen können.

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