Auf Vitamin-B12-Mangel achten |
Dieser Herr scheint kein Vitamin-B12-Defizit zu haben. Gangunsicherheit ist eines der markantesten Mangelsymptome. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
»Der körpereigene Speicher bietet eine etwa 5-jährige Sicherheit. Erst dann rutscht man in einen Vitamin-B12-Mangel hinein«, erklärte Professor Dr. Andreas Michalsen vom Immanuel Krankenhaus Berlin an der Charité den schleichenden Prozess der Symptomatik. Die ersten Beschwerden wie Müdigkeit und Erschöpfung sind kaum mit einem B12-Mangel zusammenzubringen. Doch wird nicht rechtzeitig interveniert, können sich depressive Verstimmungen und kognitive Einbußen bis hin zu Demenz entwickeln, darüber hinaus auch neurologische Folgeerkrankungen. Beides geht den hämatologischen Anomalien in der Blutuntersuchung um Monate bis Jahre voraus, informierte Professor Dr. Karlheinz Reiners, Facharzt für Neurologie aus Erkelenz, bei einer Online-Pressekonferenz von Wörwag Pharma. »Deshalb müssen wir aus den neurologischen Symptomen auf einen Vitamin-B12-Mangel schließen.«
Bei einem längerfristigen Mangel wird sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem geschädigt. Auf zentraler Ebene sind neben dem Gehirn vor allem die Hinterstränge des Rückenmarks betroffen mit der Folge einer funikulären Myelose. Das bedeute für den Patienten Gangunsicherheit, Instabilität und ein Manschettengefühl im Beinbereich, erläuterte Reiners die Symptomatik. Im peripheren Nervensystem degenerieren die sensiblen Nervenfasern, was in einer Polyneuropathie mit Missempfindungen in den Füßen und Unsicherheit beim Gehen mündet.
Vegetarier und Veganer, Senioren sowie Patienten mit Protonenpumpenhemmer- oder Metformin-Medikation: Das sind die Personen, die verstärkt Gefahr laufen, in eine Vitamin-B12-Mangelsituation hineinzugeraten. Da pflanzliche Lebensmittel nahezu kein Vitamin B12 enthalten, gehören Menschen mit veganer Ernährungsweise klassischerweise zu den Risikogruppen. Doch ein Mangel tritt nicht nur ernährungsbedingt auf.
Dieser entwickelt sich auch durch Resorptionsstörungen als Folge von chronischen Magen-Darm-Erkrankungen, Magenschleimhautentzündungen oder einem Mangel an dem Transportprotein Intrinsic Factor. Darüber hinaus sind es Wechselwirkungen mit Medikamenten, die vor allem ältere Patienten empfänglich für einen Vitamin-B12-Mangel machen. So erschwert die Behandlung mit Protonenpumpenblockern (PPI) und bei Diabetikern mit Metformin die Resorption von Vitamin B12, erklärte Reiners. Durch die geringere Magensäuresekretion durch Omeprazol und Co. könne der Körper weniger des Vitamins aus der Proteinbindung in der Nahrung freisetzen. Laut Studien erhöht eine PPI-Medikation über mindestens zwei Jahre das Risiko für einen Mangel um 65 Prozent.
Der zweite Arzneistoff, der bei Langzeiteinnahme für einen Vitamin-B12-Mangel prädestiniert, ist Metformin. Das dokumentiert etwa eine aktuelle Studie, in der bei mehr als der Hälfte der Teilnehmer mit Typ-2-Diabetes eine Vitamin-B12-Unterversorgung vorlag. Das Risiko war abhängig von der Dosierung und Einnahmedauer des oralen Antidiabetikums signifikant erhöht, ebenso wie die Häufigkeit für die periphere Neuropathie.
Der Neurologe appellierte, frühzeitig zu intervenieren. Bei schwerem Mangel sollte die Supplementation anfangs parenteral erfolgen, kann dann aber durch eine hoch dosierte orale Erhaltungstherapie ersetzt werden. »Auch bei Risikogruppen mit gestörter Resorption hat sich die orale Supplementierung entgegen früherer Ansicht als effektiv herausgestellt«, sagte Reiners. Bei hoher oraler Dosierung von 1000 µg Cyanocobalamin (wie in B12 Ankermann®) könne eine ausreichende Menge an Vitamin B12 passiv über die Diffusion unabhängig vom Bindungsprotein Intrinsic Faktor resorbiert werden. Da die Effektivität der Diffusion vom Konzentrationsgefälle abhängt, gelte hier »viel hilft viel«, erklärte Reiners. Aktuelle Studien, zum Teil doppelblind und placebokontrolliert, zeigen, dass sich durch die Hochdosis-Supplementation nicht nur die Serumkonzentration normalisiert, sondern auch neurophysiologische Parameter, der Schmerz-Score und die Lebensqualität der Patienten signifikant bessern.