Luxusversion oder Sparprogramm |
30.01.2007 09:02 Uhr |
Luxusversion oder Sparprogramm
von Annette Behr, Berlin
Mit viel Radau und glitzerndem Feuerwerk begrüßten die Deutschen das Jahr 2007. Ich hatte den Eindruck, dass in dieser Silvesternacht mehr Raketen in den Himmel geschossen wurden als jemals zuvor. Beim Abräumen des Weihnachtsbaumes und dem Sortieren der Geschenke sinne ich über Einsparungen und Luxus nach. Wie jeder Einzelne dies beurteilt, ist individuell sehr unterschiedlich.
Der Film »Frühstück bei Tiffany« mit der elegant-schönen Audrey Hepburn kommt mir in den Sinn. Ein Besuch beim exklusiven Juwelier Tiffany ließ die Augen der Filmdiva funkeln. In Glitzer und Glamour zu schwelgen, fasziniert viele Frauen. Gold und Juwelen sind für die meisten der Inbegriff von Luxus.
Gerade zu Weihnachten sparen die Herren der Schöpfung diesbezüglich selten. Das Weihnachtsgeschäft lief im vergangenen Jahr sensationell gut, wie in den Zeitungsmeldungen zu lesen war. Trotz Ebbe in den Kassen kauften die Deutschen und feierten, vor allem zum Jahreswechsel, als wäre es das letzte Mal. Angeblich boomt die Wirtschaft derzeit. Die Arbeitslosenzahlen sinken und die Reformen greifen, so die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Andächtig lächelnd und sehr langsam verlas sie ihre Rede ans Volk. Jeder Einzelne sei nun gefragt, und ein Gespräch oft schon der Schlüssel zum Erfolg. Ich vermute, die erneute, sehr kontroverse Diskussion um die Gesundheitsreform holte sie rasch in die Realität zurück. Es wird wieder nachgebessert und korrigiert.
Auch meinen Haushalt möchte ich im neuen Jahr gründlich reformieren. Leider verfüge ich über keinen Expertenstab, den ich beim Scheitern meiner Reformen zur Verantwortung ziehen kann.
Am Essen möchte ich noch sparen: »Schokolade wird bis Ostern nicht mehr eingekauft. Schokolade ist Luxus, macht dick und verursacht Karies!«, verkünde ich festentschlossen. Meine zehnjährige Tochter kommentiert: »Luxus ist alles, was man sich nicht leisten kann.« Eine für unsere Kultur treffende und umfassende Definition. Was als Luxus betrachtet wird, hängt von unterschiedlichen kulturellen und ethischen Normen sowie der sozialen Stellung des Urteilenden ab.
Luxus ist Verschwendung, Üppigkeit an Aufwendungen und Verhaltensweisen, die über das notwendige und sinnvolle Maß hinausgehen. Luxus hat mit Verknappung zu tun. Luxusgüter sind oft rar und daher teuer und begehrt. Mit dem frühen Kolonialismus begann der Handel mit den damals wertvollen Gütern wie Kaffee, Schokolade, Gewürzen und Seide. Heute haben wir uns daran gewöhnt, diese Waren zu akzeptablen Preisen kaufen zu können.
hnliches gilt für das Wasser: Bis ins 19. Jahrhundert war fließendes Wasser in den Haushalten ein unvorstellbarer Luxus. Auch heute empfinde ich es als großen Genuss, mich unter eine heiße Dusche stellen zu können, wann immer ich möchte. Allerdings hat auch dieser Luxus seinen Preis, wie ich vor kurzem schmerzlich anhand meiner Gasrechnung ablesen konnte.
Wenn die guten Vorsätze fürs neue Jahr gleichzeitig zu Einsparungen führen, ist die Situation optimal: Fahrrad fahren spart Benzinkosten, schont die Umwelt und hält fit. Meine Haare sind nun schon so lang, dass ich sie bald selbst schneiden kann. Oder soll ich wegen der Haare zu Cut & Go gehen, wegen der Zähne zu Mc Zahn und die neue Lesebrille bei Woolworth kaufen? Doch mein Leitsatz für das neue Jahr steht unumstößlich fest: Nicht Geiz ist geil, sondern Qualität hat ihren Preis.
Lust oder Last
»Jeden Tag schüttele ich mindestens fünf Hochglanzprospekte aus der Zeitung«, beschwert sich mein Vater. »Alles überflüssiger Kram«, grummelt er und wirft die Werbung sofort ins Altpapier. »Ich habe alles, was ich brauche«, meint auch meine Oma. Und auch ich werfe jetzt die Prospekte ungelesen in den Müll. So vermeide ich aufkeimende Kauflust.
Die aufwendige Werbung für Konsumgüter wie Autos oder Schmuck richtet sich vor allem an jüngere Menschen. Sie soll deren Wünsche wecken nach dem Motto: »Haste was, biste was«. Teure Markenartikel signalisieren Erfolg und Macht. Damit sie sich einer exklusiven Gesellschaftsschicht zugehörig fühlen können, investieren viele Menschen enorme Summen in teure Autos, Mode oder Schmuck. Um sich wenigstens für einen kurzen Zeitraum so zu fühlen, als hätten sie einen höheren sozialen Status erreicht, verschulden sich viele Menschen hoch.
Standard- oder Luxusausführung
Dagegen sind weite Teile der Erdbevölkerung permanent unterversorgt, leiden an Hunger und Kälte. Eine ausreichende medizinische Grundversorgung ist für diese Menschen Luxus. In unserem Kulturkreis gehört sie zur Normalität. Der medizinische Versorgungsstandard der Deutschen ist hoch. Allerdings wird zukünftig der Geldbeutel darüber entscheiden, welche Therapie, welche Lebensmittel und welche Bildung sich der Einzelne »leisten« kann. Die Einführung von Gebühren wird nicht mehr jedem Begabten ein Studium möglich machen. Semesterjobs werden rarer und der Lohn reicht oft nicht, um eine langjährige Finanzierung zu gewährleisten. Mit Parolen wie »Lernen ist Luxus – Luxus für alle« gingen Studenten auf die Straßen. Auch Apotheker und Ärzte demonstrierten für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung und gegen die Kürzungen im Gesundheitswesen.
Nicht nur die Mehrwertsteuer, auch die Versicherungsbeiträge der Kranken- und Pflegeversicherungen steigen in diesem Jahr. Die Kassen erstatten nur noch minimalisierte Basisleistungen. Gesundheitsbewusstes Verhalten hat keinen Einfluss auf die Krankenkassenbeiträge, stattdessen muss sich der Versicherte mühselig mit Bonusprogrammen auseinandersetzen. Ähnlich dem Lohnsteuerjahresausgleich darf er Belege und Beweise seiner gesunden Lebensweise sammeln, der Kasse einreichen und am Jahresende auf ein »Kofferset« hoffen. Individuelle Behandlung, Zusatzuntersuchungen oder alternative Heilbehandlungen muss jeder Versicherte selbst tragen, sie mutieren zum persönlichen Luxus.
»Über 300 Euro habe ich für meine Heilpraktikerbehandlung bezahlt. Und meine Kasse hat nicht einen Cent dazu gegeben«, klagt meine Freundin. Ständig hatte sie äußerst schmerzhafte Blasenentzündungen. Besuche in Notaufnahmen am Wochenende und beim Urologen endeten stets mit der Gabe von Antibiotika. Völlig entnervt durch wiederkehrende Infekte und zusätzlichen Pilzbefall, ließ sie sich mit Kräutertees und pflanzlichen Präparaten von einer Heilpraktikerin behandeln. Die langwierige Behandlung führte zum gewünschten Erfolg. »Es wäre sicher gut, eine private Krankenzusatzversicherung abzuschließen«, sinniert nun meine Freundin. Jetzt überlegt sie, ob sie sich das leisten kann.
Rund um die Uhr versorgt
Gute Beratung und effektive Behandlung sollten kein Luxus, sondern selbstverständlich und für jeden zugänglich sein. Schmerzen befallen viele oft am Wochenende oder nachts. In diesen Fällen hilft keine Internetapotheke, sondern die Not- und Nachtdienst habenden Apotheken vor Ort. Das Bewusstsein, dass jeder Kranke in der Apotheke kompetent, fürsorglich und kostenlos (!) beraten wird, empfinde ich als äußerst beruhigend.
Privilegierte Lebenssituationen ermöglichen es, ein Bewusstsein für immaterielle Werte zu entwickeln, sie als Luxus zu erkennen und schätzen zu lernen. In einer ständig beschleunigten Arbeitswelt wird für viele Menschen Zeit zum größten Luxus. »Möglichst viel freie Zeit zur freien Verfügung«, antworten dann auch die meisten vom beruflichen Stress Geplagten auf die Frage nach ihrer Luxusdefinition.
In der Freizeit wünschen sich immer mehr Menschen Entspannung für Körper und Geist. Entsprechend boomt der Wellnessmarkt. Es muss aber nicht gleich ein Kleopatra-Bad in Öl und Milch sein, ein Spaziergang durch den Wald ist kostenlos und ebenso entspannend. Mit einem Freund oder Partner an der Seite verdoppelt sich das Vergnügen. Mit geliebten Menschen zusammensein zu können, gehört zum größten Luxus. Ist kosten- und abgabefrei! In immer mehr deutschen Haushalten fehlt das Pendant fürs Hochgefühl. Die Schriftstellerin Simon de Beauvoir wagte sich noch einen Schritt weiter: »Heiraten ist eine Pflicht, ein Liebhaber aber ist Luxus.«
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
blaubehr(at)gmx.de