Weit mehr als nur köstliche Süße |
24.01.2007 10:34 Uhr |
Weit mehr als nur köstliche Süße
von Désirée Kietzmann, Berlin
Bereits in der Altsteinzeit schätzten die Menschen den Honig als Nahrungsmittel. Bernsteinfunde belegen, dass das Naturprodukt über Jahrmillionen gleich geblieben ist. Archäologen stoßen überall auf Spuren der Honigbiene und der frühen Imkerei. Seit alters her schreibt die Volksheilkunde dem Honig viele positive Effekte zu. Dank intensiver Forschung sind einige Wirkungen des alten Haus-mittels heute wissenschaftlich belegbar.
Honig entsteht aus Nektar oder Honigtau, den Flugbienen aufsaugen, durch körpereigene Sekrete verändern und schließlich im Bienenstock eindicken und in Waben speichern. Honig darf dann nach einer Pflanze benannt sein, wenn ihre Pollen über 45 Prozent der Ernährung der Bienen ausmachen.
Je nach Sorte unterscheiden sich die Honige in Geschmack, Geruch, Farbe und Inhaltsstoffen. So sind Blütenhonige, die aus Nektar entstehen, eher hell und mild. Die dunkleren, würzigeren Honigtauhonige werden von Bienen erzeugt, welche die zuckerhaltigen Ausscheidungen von Pflanzenläusen sammeln.
Chemisch betrachtet ist Honig eine übersättigte Zuckerlösung. Zu 70 Prozent handelt es sich dabei um Glucose und Fructose. Ihr Verhältnis bestimmt die Konsistenz des Honigs. Liegen die beiden Zucker in annähernd gleichen Anteilen vor, so kristallisiert der Honig rasch aus. Im Tannenhonig, der über Jahre flüssig bleiben kann, beträgt das Verhältnis zwischen Frucht- und Traubenzucker 1,6.
Neben den Kohlenhydraten enthält Honig die Vitamine C, B2 und B6, Mineralstoffe wie Calcium und Magnesium sowie Spurenelemente und Aminosäuren. Aufgrund dieser Zusammensetzung gilt er als gesünder im Vergleich zum Haushaltszucker.
Der Einsatz des süßen Saftes als Heilmittel hat eine lange Tradition. Schon Hippokrates beschrieb seine fiebersenkende Wirkung. Die alten Ägypter sahen die »Speise der Götter« gar als Quelle der Unsterblichkeit an. Die entzündungshemmende und antivirale Wirkung des Honigs führen Forscher heute vor allem auf die Kaffeesäureester und einige Flavonoide zurück. Heiße Milch mit Honig hilft nicht nur bei Erkältungen, sondern fördert auch den Schlaf. Denn Honig gilt wie Zucker als leichtes Beruhigungsmittel.
Vorsicht bei Säuglingen
Was für Erwachsene gut ist, kann für Säuglinge lebensgefährlich sein. Denn der vermeintliche Alleskönner enthält in seltenen Fällen Sporen des Bakteriums Clostridium botulinum. Da die stabile Darmflora älterer Kinder und Erwachsener das Auskeimen der Sporen verhindert, ist der Verzehr von Honig für sie unproblematisch. Die Flora des Säuglings entwickelt sich jedoch erst im Laufe des ersten Lebensjahres. Die aus den Sporen reifenden Bakterien können somit ungehindert den Darm besiedeln und bei ihrer Vermehrung das gefährliche Botulinumtoxin produzieren. Besonders tückisch: Die Erreger lösen eine hartnäckige Verstopfung des Darms aus und schaffen sich somit ein optimales Milieu für ihr Wachstum. Tritt das Gift in den Blutkreislauf über, kommt es neben der Obstipation zu Schlucklähmungen, Sehstörungen und Muskelschwäche. Die zunehmende Lähmung aller Muskeln kann zum Atemstillstand und damit zum Tod des Säuglings führen.
In Deutschland wurden dem Robert-Koch-Institut seit 1996 acht Fälle von Säuglingsbotulismus gemeldet. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg warnt deshalb eindringlich davor, Säuglingen im ersten Lebensjahr Bienenhonig zu geben. Leider empfehlen Elternratgeber jungen Müttern immer noch, die Brustwarzen oder den Schnuller mit Honig zu bestreichen, um das Kind zum Saugen zu animieren. PTA und Apotheker sollten junge Mütter im Beratungsgespräch stets sachlich über diese Gefahr aufklären. Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung von Sporen ist zwar sehr gering, aber möglich. Honig als Bestandteil von Säuglingsnahrung stellt hingegen keine Gefahr da. Die Hersteller erhitzen die Produkte ausreichend hoch, so dass die Erreger abgetötet werden.
Alternative Hyposensibilisierung
Vereinzelt berichten Kunden in der Apotheke, sie wären gegen Honig allergisch. Als Symptome der Überempfindlichkeitsreaktion beschreiben sie Juckreiz in Hals und Rachen, angeschwollene Lippen und Bläschen auf der Mundschleimhaut. In der Regel sind die betroffenen Patienten Gräserpollenallergiker und die im Honig enthaltenen Reste von Blütenpollen verursachen die Beschwerden.
Einige Naturheilkundler empfehlen Allergikern, genau diese Eigenschaft des Honigs zu nutzen. Sie raten den Patienten im Herbst und Winter jeden Morgen einen Löffel Honig aus der eigenen Region auf nüchternen Magen zu nehmen. Damit könnten sie ihren Körper auf die Pollenbelastung im Frühjahr vorbereiten. Diese abgewandelte Art der Hyposensibilisierung ist jedoch keine anerkannte Behandlungsmethode. Klinische Studien, die die Wirksamkeit belegen, liegen nicht vor. Immunologen halten die Allergenkonzentrationen in Honig für zu gering. Die Therapie der Wahl bei Heuschnupfen ist deshalb die Hyposensibilisierung beim Allergologen.
Konkurrenz für Antibiotika
In letzter Zeit erlebt der Honig eine Renaissance im Bereich der Wundheilung. Sowohl die alten Ägypter als auch die Sanitäter in den beiden Weltkriegen wandten Umschläge aus Honig bei offenen Verletzungen an. Das Hausmittel geriet aber im Zuge der zahlreichen Antibiotikaentwicklungen in Vergessenheit. Gegenwärtig sehen sich die Ärzte zunehmend mit sogenannten multiresistenten Keimen konfrontiert, die gegenüber fast allen gängigen Antibiotika unempfindlich sind.
Seit einigen Jahren setzen Mediziner der Universität Bonn in der Wundheilung deshalb auf »Medihoney«. Mit diesem medizinischen Honig behandeln sie krebskranke Kinder, deren Wundheilung in Folge der Zytostatikatherapie gestört ist. Laut Angabe der Wissenschaftler mit erstaunlichen Resultaten: Abgestorbenes Gewebe werde schneller abgestoßen und selbst chronische Wunden heilten binnen weniger Wochen. Trotz der Erfolge gibt es bisher kaum aussagekräftige klinische Studien zur Wirksamkeit des Medihoney. Um hier Abhilfe zu schaffen, versuchen die Bonner Wissenschaftler zusammen mit Kollegen aus Düsseldorf, Homburg und Berlin seit August letzten Jahres ihre Erfahrungswerte in einer groß angelegten Studie abzusichern. Weitere vergleichende Untersuchungen sind geplant.
Warum Honig antiseptisch wirkt, ist hingegen geklärt. Das Bienensekret enthält das Enzym Glucose-Oxidase. Es setzt Traubenzucker permanent zu Gluconsäure und Wasserstoffperoxid um. Da das antiseptische H2O2 ununterbrochen nachproduziert wird, reichen bereits geringe Konzentrationen aus, um Bakterien zu töten. Neben weiteren antibakteriell wirkenden Inhaltsstoffen behindern auch der niedrige pH-Wert des Honigs von 3 bis 4 und seine Wasser entziehende Wirkung das Bakterienwachstum.
Da die Forschungsergebnisse der Bonner Mediziner in den Publikumsmedien häufig thematisiert wurden, ist in den nächsten Monaten auch in den Apotheken mit einer gesteigerten Nachfrage zu rechnen. Das Produkt kann seit Januar über die Großhändler bezogen werden. So hält das alte Hausmittel als Medizinprodukt schließlich Einzug in die Offizin.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
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