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Gefälschte Arzneimittel

Absolute Sicherheit gibt es nicht

31.01.2008  09:30 Uhr

Gefälschte Arzneimittel

Absolute Sicherheit gibt es nicht

Brigitte M. Gensthaler, München

Die Zahl der gefälschten Arzneimittel nimmt weltweit dramatisch zu. In Schwarzafrika soll sogar jedes zweite Medikament betroffen sein. Doch auch in Deutschland kursieren Plagiate in der offiziellen Handelskette und gelangen bis zum Patienten. Hier istdie Aufmerksamkeit aller gefragt.

Das Geschäft mit gefälschten Arzneimitteln ist so lukrativ, dass Kriminelle anscheinend keine Grenzen kennen. »Gefälscht wird alles, was Geld bringt«, sagte Professor Dr. Ulrike Holzgrabe von der Universität Würzburg bei einem Vortrag der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in München. Dies beginnt beim Umkarton und dem Beipackzettel und endet beim falschen Arzneistoff oder wirkstofffreien Arzneiformen.

Nach einer Untersuchung des German Pharma Health Fund e. V. aus dem Jahr 2006 enthielten sechs von zehn gefälschten Produkten gar keinen Wirkstoff, in je 16 Prozent waren ein falscher Arzneistoff oder der deklarierte Stoff in falscher Menge. Nur 7 Prozent enthielten die richtige Substanz. Wie groß der Anteil der Fälschungen am gesamten Arzneimittelmarkt ist, variiert von Kontinent zu Kontinent. Während in Schwarzafrika 50 bis 60 Prozent der verkauften Medikamente betroffen sein sollen, sind es in Mexiko, Lateinamerika und Südostasien etwa 30 Prozent, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. In Osteuropa und Russland soll jedes fünfte Arzneimittel eine Fälschung sein.

Erschreckend: Auch deutsche Apotheken könnten Patienten keine absolute Sicherheit garantieren, sagt Holzgrabe im Gespräch mit PTA-Forum. Laut WHO sind in europäischen Apotheken etwa 10 Prozent der Arzneimittel gefälscht, meist ist es die Umverpackung. Auf diese Weise wird beispielsweise ein billig hergestelltes Präparat zum Preis des teureren Originalprodukts vermarktet. Dennoch sei die Sicherheit in der öffentlichen Apotheke, auch aufgrund der starken Regulation des Distributionswegs, wesentlich größer als im Internet, betont Holzgrabe.

Gefahr für Leib und Leben

Ist »nur« die Verpackung gefälscht, droht dem Patienten kein Schaden, wohl aber dem offiziellen Hersteller. Nach Schätzungen der WHO verursacht die Produktpiraterie im Arzneimittelbereich jährlich weltweit einen wirtschaftlichen Schaden von 25 bis 30 Milliarden Euro.

Gefährlich wird es, wenn ein falscher Arzneistoff, der richtige Arzneistoff in falscher Menge, Verunreinigungen oder toxische Bestandteile enthalten sind. Die Folgen: Die Krankheit wird unzureichend behandelt, und der Patient erleidet gesundheitliche Schäden oder sogar Vergiftungen bis hin zum Tod. Bakterien und Viren können Resistenzen ausbilden, wenn sie mit Antibiotika oder antiviralen Mitteln in zu geringer Dosis traktiert werden. Auch Parasiten wie die Malaria-Erreger entwickeln schnell Resistenzen gegen unterdosierte Medikamente.

Unterdosierung kann noch weitere Folgen haben: Spürt der Patient keinen Effekt, wird er beim nächsten Mal vielleicht die Dosis erhöhen. Das ist gefährlich, wenn er dann gerade das korrekt dosierte Arzneimittel einnimmt. Die Gefahr von Nebenwirkungen steigt deutlich an.

Was wird gefälscht? Ganz oben in der Hitliste stehen Lifestyle-Medikamente, zum Beispiel gegen erektile Dysfunktion oder Haarausfall, erklärte die frühere DPhG-Präsidentin. Auch mit Wachstumshormonen und Anabolika verdienen Kriminelle viel Geld. Fast ein Drittel der weltweiten Fälschungen betrifft Antibiotika, knapp ein Fünftel entfällt auf Hormone. Ebenso werden Asthma- und Malariamedikamente sowie Analgetika unerlaubt produziert.

Auch wenn Arzneimittel plötzlich sehr gefragt sind und knapp werden, tauchen Plagiate auf: Nach dem 11. September 2001 boomten gefälschte Ciprofloxacin-Produkte gegen die gefürchtete Milzbrandinfektion. Mit der wachsenden Panik vor dem Vogelgrippevirus tauchte 2006/07 falsches Tamiflu in Deutschland und den Niederlanden auf.

Problem der Globalisierung

Holzgrabe hält das Problem der Arzneimittelfälschungen in Europa für teilweise »hausgemacht«, denn die meisten Arzneimittel werden heute nicht mehr in Industrieländern hergestellt. »80 Prozent aller Wirkstoffe und etwa 40 Prozent aller Fertigarzneimittel, die in Deutschland und den USA konsumiert werden, werden in China und Indien produziert«, erläuterte die Apothekerin bei einer Pressekonferenz der DPhG in München.

Die Herstellung im Ausland werde mehr oder weniger gut überwacht. Neben ausgezeichneten Betrieben auf internationalem Niveau gebe es auch die berüchtigten »Waschküchen«. Ohnehin werde in Indien und China jedes Jahr nur ein kleiner Teil der Produktionsstätten kontrolliert, meldete kürzlich die WHO. Die illegalen unterliegen natürlich gar keiner Überwachung.

Ein weiteres Problem sind Arzneimittel minderer Qualität. Diese enthalten zum Beispiel mehr Beiprodukte, als es die Arzneibücher erlauben, oder ganz neue Verunreinigungen. Diese können auftreten, wenn der Hersteller die Produktionsprozesse oder Synthesewege der Einzelkomponenten verändert oder Ausgangsstoffe nicht ausreichend prüft.

Streng genommen handelt es sich bereits um eine Fälschung, wenn ein Hersteller andere Synthesen oder Prozesse einsetzt, als in der Zulassung erlaubt sind. Holzgrabe nannte beispielhaft den Tryptophan-Fall im Jahr 2000. Nach einer Änderung des Herstellprozesses der Aminosäure erlitten Anwender schwere Nebenwirkungen, einige starben sogar. Bei dem neuen Syntheseweg entstand eine Verunreinigung, die als »Peak E« bekannt wurde.

Inzwischen weiß man allerdings, dass diese nicht die Nebenwirkungen auslöste. Dennoch steht fest, dass Gefahr droht, wenn die Analytiker zwei bestimmte Verunreinigungen in einem Tryptophan-Präparat nachweisen können. »Der Tryptophan-Fall kann sich wieder ereignen«, warnte die Professorin. Fachleute arbeiten derzeit an einer besseren Aminosäuren-Analytik.

Unklare Warenströme

Auf welchen Wegen gelangt gefälschte Ware nach Europa und damit zum Verbraucher? Die Produzenten liefern die Rohstoffe an europäische Hersteller, die diese nach den Arzneibuchvorschriften auf Qualität prüfen. Gelangen die Pharma-Rohstoffe in die Hände von Fälschern, werden sie ohne Kontrolle weiterverarbeitet. Diese liefern ihre Produkte, ebenso wie die seriösen Hersteller, an den Pharmagroßhandel, die Krankenhäuser, Internet und Supermärkte aus. Von dort gelangt die heiße Ware zu Ärzten, Apothekern und Patienten.

Eine große Gefahr für die Arzneimittelsicherheit sieht Holzgrabe auch in Re- und Parallelimporten, die über Zwischenhändler vertrieben werden. Oft würden Blister zerschnitten, Teilpackungen ergänzt und Produkte verschiedener Chargen zusammengepackt. Manchmal sei auch die Deklaration, zum Beispiel der Wirkstärke, nicht eindeutig, zeigte die Apothekerin an einem Beispiel.

Viel größer sind die Risiken aber beim Interneteinkauf. »Das Internet ist der am wenigsten kontrollierte Weg des Arzneimittelhandels«, informierte Holzgrabe. Zu Recht warnen die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA und das deutsche BfArM regelmäßig vor Arzneimittelfälschungen aus dem Netz, denn hier ist der kriminellen Energie nahezu Tür und Tor geöffnet.

Vor einem Jahr machte das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) die Probe aufs Exempel und bestellte bei 19 Web-Adressen das Haarwuchsmittel Propecia. Zwölfmal wurde geliefert, da-von entpuppten sich sechs Packungen als Fälschung. Kassiert wurde in jedem Fall, auch wenn gar keine Lieferung erfolgte.

Schnäppchenjagd im Internet

Doch die meisten Verbraucher haben keinerlei Problembewusstsein, berichtete Dr. Katharina Larisch vom Gesundheitsportal Netdoktor bei der Pressekonferenz. In Chatrooms werde nur nach den billigsten Bezugsadressen gefragt. Geht es um Potenz- und Haarwuchsmittel, stehe eine schnelle und diskrete Lieferung im Vordergrund. »Um Fragen der Sicherheit geht es nie«, sagte die Ärztin.

Viele Verbraucher sind zudem nur mäßig informiert. Sie glauben, es gäbe bereits Generika von Viagra und Co., die billig in Indien oder China produziert und via Internet angeboten würden. Außerdem wissen viele nicht, dass und warum Potenzmittel verschreibungspflichtig sind und kennen weder die Kontraindikationen noch die Nebenwirkungen.

Larisch ist sicher: Internetapotheken kann man nicht verbieten. Die Attraktivität des Arzneimittelmarktes sei so groß, dass sich der Arzneimittelversand und der Schwarzmarkt nicht unterdrücken ließen. Was kann der Verbraucher also tun? Sie mahnte zur Wachsamkeit. Wenn Anbieter im Internet marktschreierisch oder mit Billigstpreisen werben oder kein Rezept für verschreibungspflichtige Präparate verlangen, sei höchste Vorsicht geboten. Gleiches gilt, wenn das Impressum fehlt.

Aufmerksamkeit lohnt sich

Die Pharmafirmen strengen sich sehr an, Arzneimittel vor dem unerlaubten Zugriff zu schützen. Beispielsweise wurden Signets entwickelt, die als fälschungssicher gelten und die Sicherheit erhöhen sollen. In den USA setze man auf die Radiofrequenztechnik zur Markierung der einzelnen Blister, erklärte Holzgrabe. Anhand dieses Labels könne man den Weg eines Blisters weltweit verfolgen. Aber zum einen kann natürlich nur der Blister und nicht die einzelne Tablette markiert werden, zum anderen sind die Entwickler den Fälschern immer nur einen Schritt voraus. Auch solche Siegel können inzwischen nachgeahmt werden.
Holzgrabe nahm auch die Apotheke in die Pflicht und mahnte zu mehr Wachsamkeit. Apotheker und PTA sollten sich die Packungen genau ansehen, diese bei Auffälligkeiten, zum Beispiel anderer Farbgebung oder Aufschrift, öffnen und den Inhalt überprüfen.

Bestehen Unklarheiten, lohne sich die Nachfrage beim Hersteller, ob dieser Packung oder Blister verändert hat. Wenn dies nicht geschehen ist, müssen die Alarmglocken schrillen. Bei Verdacht auf eine Fälschung kann sich die Apotheke an das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker in Eschborn, die Landesuntersuchungsämter und die Arzneimittelkommission der Apotheker wenden.

»Wir brauchen die Aufmerksamkeit aller«, resümierte die Professorin. Die Verbraucher müssten sensibilisiert werden für mögliche Gefahren, die beim Einkauf von Arzneimitteln über das Internet lauern. Selbst die Seiten einer seriösen Internetapotheke könnten gefälscht sein, sodass der Kunde oft gar nicht sicher weiß, bei wem er eigentlich bestellt. Doch selbst in einer gut geführten öffentlichen Apotheke gibt es keine 100-prozentige Sicherheit. Umso wichtiger ist es, die Augen offen zu halten, um etwaige Fälschungen zu erkennen, bevor sie Schaden anrichten.

Moderne Piraten

Produktpiraterie betrifft heute praktisch alle Industriebereiche und schädigt die Wirtschaft enorm. Durch Plagiate entsteht der deutschen Wirtschaft jährlich ein Schaden von rund 5 Milliarden Euro, schätzen Experten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördere deshalb zehn neue Forschungsprojekte gegen Produktpiraterie und -fälschung, hieß es anlässlich der BMBF-Konferenz »Innovationen gegen Produktpiraterie« Mitte Januar in Berlin. Im Rahmen des neuen Forschungsprojekts »EZPharm« unterstützt das Ministerium die Entwicklung einer durchgängig kontrollierten und geschützten Prozesskette für den Pharmabereich. Medikamente sollen künftig auf allen Stufen der Versorgungskette – also vom Hersteller über Großhandel, Krankenhäuser, Apotheken und Ärzte bis zum Patienten – fälschungssicher transportiert und verteilt werden können.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
bm.gensthaler@t-online.de 

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