Ausbruch in Madagaskar |
28.01.2008 20:52 Uhr |
Ausbruch in Madagaskar
Annette van Gessel, Vaals
Meldungen über Pesttote in Afrika erregen auch das Interesse deutscher Journalisten und bieten Anlass zu Schlagzeilen. Die Angst der Menschen vor dem »schwarzen Tod« sitzt tief, obwohl in Europa seit über 50 Jahren keine Pesterkrankungen mehr aufgetreten sind. Die Schrecken, die die Pestpandemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts über den ganzen Kontinent brachte, waren so groß, dass das Wort für viele Menschen immer noch Inbegriff allen Übels ist.
Die Pestpandemie in den Jahren 1347 bis 1352 entwickelte sich als die größte Katastrophe, die Europa jemals erlebt hat. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung fiel der Krankheit zum Opfer. Deutschland war insbesondere in den Jahren 1349 und 1350 betroffen. Die Menschen des Mittelalters standen der Ausbreitung der Infektion völlig hilflos gegenüber. Da sie die Ursache der Erkrankung nicht kannten, machten sie unter anderem Minderheiten für die Epidemie verantwortlich und suchten Zuflucht in Gelübten, Amuletten und Geißlerumzügen. Seit sich die modernen Antibiotika in den 1950-Jahren als hochwirksame Waffe gegen die Pest erwiesen, verlor die Krankheit ihren Schrecken. Viele Menschen hofften, sie sei endgültig besiegt. Doch diese Vorstellung erwies sich als Trugschluss. Bis heute ist die Pest nicht ausgerottet, und das wird in naher Zukunft auch so bleiben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) registriert weltweit pro Jahr 1000 bis 3000 Fälle. Schätzungsweise 100 bis 200 Menschen sterben jährlich an der Infektion.
In einem aktuellen Artikel des Fachmagazins »PLoS Medicine« (PLoS = Public Library of Science) warnen Michael Begon und seine Kollegen von der University of Liverpool: »Obwohl die Anzahl der Fälle bei Menschen relativ niedrig ist, wäre es ein Fehler, die Bedrohung für die Menschheit zu unterschätzen.« Die Mediziner begründen ihre Einschätzung mit der schnellen Ausbreitung, dem rasanten klinischen Verlauf und der hohen Sterblichkeitsrate, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt.
Parasit in Nagetieren
Die Pest ist eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit, der Erreger ist das Bakterium Yersinia pestis. Das gramnegative, unbegeißelte Stäbchenbakterium aus der Familie der Enterobacteriaceae wurde 1894 von dem Schweizer Arzt Alexandre Émile Jean Yersin entdeckt. In einigen Regionen der Welt lebt das Bakterium natürlich als Parasit in wildlebenden Nagetieren und wird zwischen diesen durch Flöhe übertragen. Die Flöhe infizieren sich an den erkrankten Nagern. »Man kann realistischerweise nicht alle Nagetiere auf der Welt ausrotten«, so Begon.
Die britischen Forscher beobachten mit Sorge die erneuten Ausbrüche in Afrika. »Die Anzahl der Pesterkrankungen scheint zuzunehmen«, vermuten die Liverpooler Mediziner. Das Bakterium Yersinia pestis befällt Menschen vor allem durch den Biss von Flöhen, aber auch beim direkten Kontakt mit kranken Kleintieren, in seltenen Fällen durch infiziertes Material. So kam es beispielsweise im Juni 2005 im Südwesten Tibets durch den Verzehr von Murmeltierfleisch zu zwei Todesfällen.
Zunehmende Antibiotikaresistenz
Im Jahr 2003 wurden laut WHO in neun Ländern insgesamt 2118 Infektionen und 182 Todesfälle registriert, davon jeweils knapp 99 Prozent in Afrika. Die meisten Neuinfektionen traten in letzter Zeit in Madagaskar, Tanzania, Mozambik, Malawi, Uganda und der Demokratischen Republik Kongo auf. Aus dem Kongo wurden im Jahr 2006 mindestens 42 Todesfälle und mehr als 1000 Pest-Erkrankungen gemeldet. Nach Angaben der WHO führt die Pest unbehandelt in 30 bis 60 Prozent der Fälle zum Tod. Dank Antibiotika-Therapie sterben normalerweise nur 10 Prozent der Patienten. Zunehmend gäbe es jedoch Hinweise auf Resistenzen, die eine globale Ausbreitung der Pest möglich machen könnte, schreiben die Mediziner aus Liverpool in ihrem Artikel.
Bereits 1995 war auf Madagaskar erstmalig ein Erreger-Stamm aufgetaucht, der gegen acht verschiedene Antibiotika resistent war. In einer im Online-Fachmagazin »PLoS ONE« veröffentlichten Studie berichten US-amerikanische und französische Wissenschaftler über eine besorgniserregende Entdeckung: Sie analysierten das genetische Material von antibiotikaresistenten Salmonellen und fanden ein Plasmid, eine zwischen Bakterien austauschbare, ringförmige DNA-Struktur, das große Ähnlichkeit mit dem DNA-Stück besaß, das auch Pest-Erreger resistent gegen Antibiotika macht. Ihr Fazit: Die DNA-Partikel haben einen gemeinsamen Ursprung. Dass Erreger derart einfach genetisches Material austauschen können, war bis dahin unbekannt gewesen. Allerdings lässt sich relativ einfach nachvollziehen, dass in der Natur Yersinia pestis und Salmonellen beispielsweise in Flöhen oft aufeinander treffen, was den Austausch von Genmaterial wahrscheinlich macht. Nun wächst die Angst, durch einen ähnlichen Übertragungsprozess könnten weitere Antibiotika-resistente Pesterreger entstehen. Brendan Wren, Pest-Experte an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, riet allerdings im Jahr 2002 zur Besonnenheit und warnte vor Panikmache: »Die Plasmide springen auf allerlei Bakterien über, auch auf völlig ungefährliche Arten. Es ist aber ziemlich unwahrscheinlich, dass ein einziges Plasmid Yersinia pestis in einen Supererreger mit einer Resistenz gegen sämtliche Antibiotika verwandelt.«
Drei Verlaufsformen
Die Pest ist in vielen Längern Afrikas, in Nord- und Südamerika sowie in Asien endemisch, tritt also immer wieder auf und ist kaum auszurotten. Yersinia pestis ist äußerst infektiös. Je nach Infektionsweg tritt die Pest in drei Verlaufsformen auf: der Beulenpest, Lungenpest und Pestsepsis.
Die Beulenpest, auch Bubonenpest genannt, ist die häufigste und mildeste Form der Pest. Sie wird vom Biss eines infizierten Flohs verursacht. Nach einer Inkubationszeit von etwa zwei bis sechs Tagen setzt starkes Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen und schweres Krankheitsgefühl ein. Das Pestbakterium dringt durch den Flohbiss durch die Haut in die Blutbahn ein, wandert durch das Lymphgefäßsystem bis zum nächsten Lymphknoten, wo es sich stark vermehrt und eine Entzündung verursacht. Der Lymphknoten kann bis zu 10 cm anschwellen, diese eitrigen Beulen gaben der Erkrankung ihren Namen. Es bildet sich eine »Bubo« genannte Eiterbeule, die starke Schmerzen verursachen und aufplatzen kann. Wenn die Lymphknoten aufbrechen, tritt der Erreger in die Blutbahn, und es kommt zu tödlichen Komplikationen. Das Bakterium kann die Lunge und andere Organe befallen und schwere Hautblutungen verursachen. Die Bezeichnung »schwarzer Tod« stammt von dieser dunklen Verfärbung der Haut.
Die Pestsepsis oder septikämische Pest tritt auf, wenn sich das Bakterium ohne Beulenbildung in der Blutbahn verbreitet und eine Blutvergiftung, die Sepsis, verursacht. Die Symptome sind hohes Fieber mit Schüttelfrost und Kopfschmerzen sowie Blutungen an Haut und inneren Organen. Die Pestsepsis kann auch die Folge einer Beulen- oder Lungenpest sein und endet unbehandelt meist innerhalb von 36 Stunden mit dem Tod.
Die Lungenpest ist die ansteckendste und zugleich am wenigsten verbreitete Form der Pest. Oft ist sie eine Komplikation der fortgeschrittenen Beulenpest oder Folge einer Tröpfcheninfektion. Auf diese Weise kann sich die Pest von Mensch zu Mensch verbreiten.
Nach einer sehr kurzen Inkubationszeit von ein bis zwei Tagen beginnt die Krankheit heftig mit starkem Fieber, Schüttelfrost und Muskelschmerzen. Außerdem leiden die Patienten unter schmerzhaftem Husten und Atemnot. Der schwarze, blutige Auswurf der Kranken ist hochinfektiös. Unbehandelt führt die Lungenpest in über 90 Prozent der Fälle zum Tod. Die Patienten bekommen hohes Fieber, werden lethargisch, verwirrt, entwickeln Krämpfe und fallen in ein Delirium. Sie sterben meist nach zwei bis fünf Tagen an einem Lungenödem und Kreislaufversagen.
Da die Patienten zunächst über Magenschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall klagen, werden die ersten Symptome der Infektion häufig falsch interpretiert. Zur sicheren Diagnose erfolgt der Erregernachweis im Blut, Sputum oder Lymphknoteneiter sowohl unter dem Mikroskop als auch durch Anlegen einer Kultur.
Schnelle Therapie
Möglichst innerhalb der ersten acht Stunden nach der Infektion sollte der Patient mit Antibiotika behandelt werden. Schon der Verdacht auf eine Ansteckung begründet die sofortige Therapie mit Streptomycin, als Mittel der Wahl, Tetracyclinen oder Chloramphenicol. Der Patient muss das Antibiotikum mindestens zehn Tage lang einnehmen oder noch weitere drei Tage, nachdem er fieberfrei wurde. Die Breitbandantibiotika senkten die Letalität der Beulenpest seit 1965 auf etwa 10 Prozent, die Heilungschancen bei der Lungenpest liegen bei circa 80 Prozent.
Die beste Prophylaxe ist, den Erreger zu meiden. Daher werden Patienten bei Verdacht auf eine Pesterkrankung isoliert und in einer Spezialklinik behandelt. In Deutschland hat das Gesundheitsamt laut gesetzlicher Bestimmungen das Auftreten von Pest »unverzüglich an die zuständige oberste Landesbehörde und diese unverzüglich dem Robert-Koch-Institut zu melden. Das Robert-Koch-Institut hat die Meldung entsprechend den internationalen Verpflichtungen an die Weltgesundheitsorganisation zu übermitteln.«
In § 2 der Internationalen Gesundheitsvorschriften steht: »Bei der Ankunft eines Eisenbahnzugs, Straßenfahrzeugs oder sonstigen Beförderungsmittels, in dem sich eine Person befindet, die an Pest leidet, oder wenn ein solches Fahrzeug beziehungsweise Beförderungsmittel als pestverseucht oder -verdächtig anzusehen ist, sind folgende Maßnahmen anzuordnen:
Prophylaxe ist möglich
Wer aktuell nach Madagaskar reisen möchte, kann sich unter anderem unter www.fit-for-travel.de über die Pestfälle in den betroffenen Provinzen informieren. Die Experten dieser Website schätzen die Gefahr für Reisende wie folgt ein: »Für Reisende stellt die Pest nur in absoluten Sonderfällen ein Risiko dar, zum Beispiel bei Trekking- und Abenteuertouren in touristisch nicht erschlossene Infektionsgebiete.« Nach dem Flohstich in einem Pest-Risikogebiet beziehungsweise nach direktem Kontakt mit einem Lungenpest-Erkrankten können die Reisenden, nach Absprache mit dem Arzt, vorbeugend Antibiotika einnehmen.
Bei beruflicher Exposition können auch Entwicklungshelfer vorbeugend Antibiotika nehmen. Noch eine weitere Information zu Madagaskar: Das Gesundheitsministerium der Tropeninsel hat ein Expertenteam in den betroffenen Distrikt entsandt. Dieses soll die Behandlung der Patienten überwachen sowie die örtlichen Mitarbeiter in Krankenhäusern und Behörden beraten.