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Arzneimittel

Industrie macht sich Sorgen um Selbstmedikation

31.01.2008  08:36 Uhr

Arzneimittel

Industrie macht sich Sorgen um Selbstmedikation

Daniel Rücker, Eschborn

Niemand bestreitet den Nutzen von Selbstmedikations-Arzneimitteln. Dennoch hat ihr Image in den vergangenen Jahren gelitten. Jetzt will die Pharmaindustrie gegensteuern.

Eigentlich müsste die Wertschätzung für nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel allerorten hoch sein. Sie verursachen keine Kosten für die Krankenkassen, belasten deshalb auch nicht das Budget der Ärzte und helfen den Patienten in der Regel ohne schwere Nebenwirkungen. Doch die Realität sieht anders aus. Seit der Gesundheitsreform 2004 werden OTC-Arzneimittel bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr grundsätzlich von den Krankenkassen bezahlt. Da gleichzeitig die Preisbindung fiel, werden sie in einigen Apotheken verramscht. Für viele Patienten sind sie deshalb heute ganz normale Konsumprodukte wie Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel aus dem Supermarkt.

Da Selbstmedikations-Arzneimittel aus der Apotheke jedoch häufig teurer sind als freiverkäufliche Medikamente aus dem Supermarkt, kaufen die Kunden die billigeren Produkte bei den Discountern. Das dritte Quartal 2007 war deshalb für die Hersteller von Selbstmedikations-Arzneimitteln kein gutes Quartal. Mit 987 Millionen Euro gaben die Menschen in Deutschland für diese Produktgruppe in Apotheken erstmals seit langer Zeit weniger als 1 Milliarde Euro aus.

Den Kunden sind die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Arzneimitteln aus der Apotheke und denen aus dem Supermarkt nicht bekannt. Da sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für beide mit der Reform 2004 weiter angenähert haben, halten sie beide Produktgruppen für vergleichbar. Umfragen haben gezeigt, dass Verbraucher die Wirksamkeit von Selbstmedikations-Arzneimitteln heute deutlich schlechter bewerten als vor vier Jahren. »Was die Kassen nicht erstatten, kann auch nicht helfen«, lautet die sachlich falsche Vermutung.

Sicherheit kostet

Die Ausgrenzung der Selbstmedikations-Arzneimittel aus der Erstattungsfähigkeit hatte keine Qualitätsgründe. Die Arzneimittel sind nur deshalb nicht verschreibungspflichtig, weil sie sicherer sind. Sie haben kaum Nebenwirkungen, und die Gefahr ist geringer, dass sie falsch angewendet werden können. In jedem Fall sind sie nicht mit den freiverkäuflichen Arzneimitteln aus dem Supermarkt zu vergleichen. Diese sind grundsätzlich weniger wirksam und haben nicht den aufwändigen Zulassungsprozess durchlaufen wie verschreibungs- und apothekenpflichtige Medikamente. Da freiverkäufliche Arzneimittel wesentlich geringere gesetzliche Anforderungen erfüllen müssen, können sie auch deutlich preisgünstiger sein als apothekenpflichtige. Der Vorwurf, die Apotheke sei eben per se teurer als Supermärkte, greift nicht.

Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) hat nun Vorschläge veröffentlicht, wie das angekratzte Image der Selbstmedikation aufpoliert werden kann. So sollen Ärzte in Zukunft noch mehr Grüne Rezepte verwenden und so den Patienten dokumentieren, dass auch nicht-erstattungsfähige Medikamente ein wichtiger Bestandteil der Therapie sind.

Außerdem sollen nach den Vorstellungen des BAH Krankenkassen Wahltarife anbieten, die die Erstattung der Medikamente vorsehen. Dabei denkt der Pharmaverband nicht nur an Phytopharmaka, für die es heute schon Wahltarife gibt, sondern an alle OTC-Präparate. Dazu müsste die Regierung allerdings erst das Gesetz ändern.

Wissen stärken

Darüber hinaus sollen die Menschen in Deutschland umfassender über den richtigen Umgang mit der eigenen Gesundheit und dabei auch über die Möglichkeiten der Selbstmedikation informiert werden. Schon die Schulen sollten sich dieser Aufgabe annehmen, fordert der BAH. Auch die Krankenkassen seien in der Pflicht.

Der BAH weiß, dass das Schicksal der OTC-Arzneimittel maßgeblich von den Apotheken abhängt. Die kompetente Beratung der Patienten durch PTA und Apotheker sei bei erklärungsbedürftigen Produkten zwingend notwendig, so der Verband. Dies lasse sich nur gewährleisten, wenn die Trennung zwischen freiverkäuflichen und apothekenpflichtigen Medikamenten beibehalten wird.

Der BAH macht sich aus gutem Grund Sorgen um die Apothekenpflicht. Großen Handelskonzernen ist sie ein Dorn im Auge. Sie würden auch gerne Aspirin, Thomapyrin oder Umckaloabo verkaufen, dürfen es aber nicht. Deshalb plädieren sie für eine Abschaffung der Apothekenpflicht. Dass dann Patienten potente Arzneimittel ohne entsprechende Beratung bekämen, ist ihnen egal. Bei manchen Politikern stoßen sie auf offene Ohren. Die Apothekenpflicht für nicht-rezeptpflichtige Arzneimittel ist in Europa eine absolute Seltenheit. In den meisten EU-Staaten sind nur rezeptpflichtige Medikamente apothekenpflichtig.

 

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