Mit Probiotika gegen Darmkrebs |
31.01.2008 08:51 Uhr |
Mit Probiotika gegen Darmkrebs
Gudrun Heyn, Verona
Dass Probiotika möglicherweise vor Dickdarmkrebs schützen, scheint kein leeres Versprechen der Joghurt-Industrie zu sein. Immer mehr Studien belegen positive Effekte bestimmter Bakterienstämme auch bei schweren Erkrankungen.
Dickdarmkrebs ist in Europa die dritthäufigste Tumorerkrankung. In der Sterblichkeitsstatistik rangiert das Kolonkarzinom sogar an zweiter Stelle. Mehr als 200.000 Menschen erliegen jährlich dieser Krebsart. Etwa 5 Prozent der Patienten erkranken aufgrund einer erblichen Veranlagung. »Bis zu 80 Prozent der Dickdarmtumore könnten verhindert werden, wenn die Menschen ihre Lebensgewohnheiten ändern«, sagte Professor Dr. Kristin Verbeke von der Catholic Leuven University in Belgien auf dem 4. Internationalen Yakult Symposium in Verona.
Studien belegen, dass vor allem der Lebensstil in den westlichen Industriestaaten das Tumorrisiko erhöht. Besonders gefährlich sind hoher Alkoholkonsum, Übergewicht und Bewegungsmangel sowie der häufige Verzehr von Fleisch. »Möglicherweise lässt sich jedoch das Darmkrebs-Risiko deutlich reduzieren, wenn man die Zusammensetzung der Darmflora verändert«, sagte Verbeke.
Mehr als 500 verschiedene Bakterienarten leben natürlicherweise im menschlichen Verdauungstrakt. Sie zerkleinern Nahrung, bilden Vitamine wie Vitamin B12 und sekundäre Gallensäuren. Letztere beteiligen sich an der Verdauung und inaktivieren krebserregende Substanzen. Außerdem machen die Toxine bestimmter Bakterienstämme andere Mikroorganismen, die über den Magen in den Darm gelangt sind, unschädlich.
Tumorrisiko unter Laborbedingungen
Auch das Entstehen von Kolonkarzinomen scheinen die Darmbakterien zu beeinflussen. In Tierversuchen entwickelten Mäuse, die in einer keimfreien Umgebung aufwuchsen, nur selten Hyperplasien. So bezeichnen Wissenschaftler die ungewöhnlich starke Vermehrung von Zellen. Im Unterschied dazu traten bei mehr als der Hälfte der Mäuse, deren Darm von natürlichem Bakterien besiedelt war, bösartige Veränderungen auf.
Ein Gramm Dickdarminhalt des Menschen enthält etwa 1011 Bakterien. Entsprechend viele Stoffwechselprodukte fallen an, darunter auch giftige oder erbgutschädigende Substanzen. Besonders in Einbuchtungen der Darmschleimhaut können diese zu Zellmutationen führen oder den Verlust einzelner Gene bewirken. Dann fängt das Gewebe an zu wuchern und bildet schließlich gestielte Geschwulste, die Polypen. Entfernen Chirurgen diese Polypen rechtzeitig, bleibt der Mensch gesund. Über einen langen Zeitraum, teilweise mehr als 10 Jahre, entwickeln sich aus solchen Vorstufen jedoch metastasierende Tumore.
Protektive Mechanismen
Inzwischen belegt eine große Anzahl von Studien, dass Probiotika die Darmflora positiv beeinflussen. Zu ihnen gehören Mikroorganismen wie Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus casei defensis, Lactobacillus casei shirota, Bifidobacterium lactis und Bifidobacterium longum. Damit sie ihre gesundheitsfördernde Wirkung entfalten können, muss der Mensch in ausreichender Menge probiotisch fermentierte Milchprodukte essen. Dann gelangen ausreichende Mengen der Mikroorganismen lebend in den Darm.
Dort entfalten Probiotika folgende Schutzmechanismen: Sie drängen schädliche Bakterien zurück und reduzieren die Konzentration toxischer Stoffwechselprodukte. Beispielsweise senkt die vierwöchige Zufuhr von Laktobacillus casei shirota (LcS) deutlich die Konzentration von Ammonium im Urin. Außerdem unterdrücken Probiotika die Aktivität schädigender Enzyme. In Studien hemmten LcS und Bifidobacterium breve die hydrolytischen Enzyme Beta-Glucoronidase und Beta-Glucosidase, die von Darmbakterien ausgeschieden werden. Durch die Aktivität dieser beiden Enzyme können krebserzeugende Substanzen entstehen.
Ein weiterer Effekt der Probiotika ist die Immunmodulation. Probiotische Keime fördern beispielsweise die Bildung kurzkettiger Fettsäuren. Die Fettsäure Buttersäure provoziert bei wuchernden Krebszellen den Zelltod. Buttersäure senkt außerdem die Konzentration proentzündlicher Zytokine wie Interferon-a und Interleukin 12 und erhöht die Konzentrationen antientzündlicher Botenstoffe wie Interleukin-10 und -18. In Tierversuchen steigerte sie zudem die Aktivität natürlicher Killerzellen, deren Aufgabe es ist, von Viren befallene Zellen und Tumorzellen spontan aufzulösen.
Probiotika bilden nur dann genügend Buttersäure, wenn ihnen ausreichend Stärke zur Verfügung steht. Daher ist gleichzeitig eine Ernährung mit reichlich Kartoffeln, gekochten grünen Bohnen und Bananen empfehlenswert. Wissenschaftler der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel fanden heraus, dass Probiotika nur über einen Zeitraum von 3 Wochen die Produktion kurzkettiger Fettsäuren anregen. Die Langzeitgabe von Probiotika über 12 Wochen zeigte dagegen keinen positiven Effekt. Dies mag auch der Grund dafür sein, warum sich die Ergebnisse vieler internationaler Studien widersprechen. Unbestritten ist jedoch, dass Probiotika den Transit verdauter Nahrungsreste durch den Darm beschleunigen. Dadurch verkürzen sie die Kontaktzeit giftiger Stoffe mit der Darmschleimhaut.
Selbst in das Frühstadium der Krebsentstehung greifen probiotische Bakterien ein. Dabei schützen einzelne Stämme die DNA: In Laborkulturen mit Fäkalwasser senkten Bifidobacterium lactis (BB12) und Lactobacillus plantar dessen erbgutschädigende Aktivität. Die Wirkung ließ sich jedoch nur durch eine ausreichend hohe Dosis Probiotika erzielen. Auch im Tierversuch war ein Schutzeffekt nachweisbar: Erhielten Ratten das Probiotikum Lactobacillus acidophilus vor der Gabe einer erbgutschädigenden Substanz, wurde gegenüber einer Vergleichsgruppe deutlich weniger DNA zerstört.
Außerdem erwies sich die Kombination aus einem Probiotikum und einem Präbiotikum als sehr potent. Gaben Forscher den Versuchstieren zuerst eine Woche lang die darmkrebserregende Substanz Azoxymethan und danach Bifidobacterium longum und das »Bakterienfutter« Inulin, verhinderte diese Kombination kleinere kanzerogene Vorstufen bis zu 80 Prozent und größere Veränderungen bis zu 60 Prozent.
Dagegen wirkte Streptococcus thermophilus in Studien nicht protektiv. Dieses Bakterium kommt bei der Herstellung herkömmlicher Joghurts häufig zum Einsatz. Mit diesem Keim ließ sich weder die DNA-Zerstörung verhindern, noch die Aktivität erbgutschädigender Substanzen herabsetzen.
PTA-Forum / Eine neue Studie bestätigt die Wirksamkeit des Probiotikums Saccharomyces boulardii bei Kleinkindern mit akuter Diarrhö. Dr. Gladys Villarruel und ihre Kollegen vom Hospital Privado Materno Infantil in Salta, Argentinien, erhoben ein Jahr lang die Daten von 100 Kleinkindern im Alter zwischen 3 und 24 Monaten. Alle Kinder hatten seit mindestens einem und maximal sieben Tagen eine milde Diarrhö. Als Basistherapie diente Glucose-Elektrolyt-Lösung, die Versuchsgruppe wurde zusätzlich mit Saccharomyces boulardii behandelt. Die unter Einjährigen erhielten einmal, ältere Kinder zweimal täglich das Probiotikum Perenterol® mit 250 mg Saccharomyces boulardii.
Das Studienergebnis: Am vierten Tag betrug die Stuhlfrequenz in der Probiotikum-Gruppe 2,5 und in der Kontrollgruppe 3,5 Stühle. Auch verkürzte das Probiotikum bei der Verumgruppe die Dauer des Durchfalls auf 4,7 Tage im Vergleich zu 6,2 Tagen bei der Kontrollgruppe. Der Therapieeffekt war signifikant stärker, wenn die Kinder das Probiotikum bereits innerhalb der ersten 48 Stunden der Diarrhö erhielten.
Probiotische Joghurtdrinks mit Lactobacillus casei defensis verhindern Durchfälle, die mit einer Antibiotikabehandlung einhergehen. Zu diesem Ergebnis kam eine britische Studie unter Leitung von Dr. Mary Hickson vom Charing Cross Hospital in London. In einer randomisierten und placebokontrollierten Doppelblind-Studie senkte das probiotische Getränk Actimel® die Durchfallrate um 22 Prozent. Die kürzlich im British Medical Journal veröffentlichte Studie wurde mit 135 Krankenhauspatienten im Alter von über 50 Jahren durchgeführt, das Durchschnittsalter betrug 74 Jahre. Die Patienten erhielten Antibiotika perioperativ oder wegen einer Atemwegsinfektion. Etwa die Hälfte der Patienten trank während der Antibiotikatherapie und eine Woche danach zweimal täglich 100 ml ein probiotisches Getränk mit Kulturen von Lactobacillus casei denfensis, L. bulgaricus und Streptococcus thermophilus. Die Patienten der Kontrollgruppe tranken ein Milchprodukt ohne Probiotika.
Hickson berichtete bei einer Veranstaltung von Danone in Hamburg, dass sich die Durchfallhäufigkeit zwischen beiden Gruppen signifikant unterschied. Nur 7 von 57 Patienten (12 Prozent) in der Therapiegruppe bekamen Durchfall, in der Placebogruppe erkrankten 19 von 56 Patienten (34 Prozent) an Diarrhö. Quelle: Ärzte-Zeitung online
Effekte beim Menschen
Nun zeigen auch erste Ergebnisse einer Studie am Menschen, wie Probiotika das Darmkrebs-Risiko reduzieren. Im SYNCAN-Projekt untersuchten Forscher aus sechs Ländern mittels Blut-, Fäkalwasserproben und Biopsien die Wirkungen von Pro- und Präbiotika zur Prävention von Dickdarmkrebs. In die Studie wurden nur Menschen aufgenommen, bei denen entweder Polypen oder bereits Darmkrebstumore entfernt worden waren und die damit ein sehr hohes Risiko für weitere Wucherungen hatten. Alle Studienteilnehmer erhielten jedoch keine weitere Therapie. Die Hälfte der Teilnehmer bekam über 12 Wochen ein Placebo, die andere Hälfte die synbiotische Kombination aus den Probiotika Lactobacillus rhamnosus GG (LGG) und Bifidobacterium lactis (BB12) sowie als Präbiotikum mit Oligofruktose angereichertes Inulin. In der Verumgruppe veränderte sich im Gegensatz zur Placebogruppe die Darmflora: Während die Anzahl der Bifidobakterien und Laktobazillen stieg, nahm die Zahl problematischer Keime wie Clostridium perfringens und coliformer Bakterien dramatisch ab. Gleichzeitig sanken sowohl die Zellteilungsrate in den Einbuchtungen der Darmschleimhaut als auch die DNA-Zerstörungen in den Darmzellen.
Erstaunlich war, dass die Polyp-Patienten und die Krebspatienten zum Teil unterschiedlich auf die Synbiotika-Einnahme ansprachen: Nur bei den Polyp-Patienten sank die zellschädigende Wirkung des Fäkalwassers. Die Hoffnung: Je weniger Epithelialzellen geschädigt werden und absterben, umso seltener wuchert das Gewebe.
Auch beim Blasenkrebs gibt es inzwischen Studien mit Betroffenen. Japanische Forscher beobachteten die Überlebenszeit von Patienten mit nicht muskulären Tumoren, die mehr als 80 Prozent der Blasenkrebserkrankungen ausmachen. Allen Teilnehmern war der Tumor transurethral entfernt worden. Erhielten sie ein Jahr lang Laktobacillus casei shirota (LcS), stieg die Zeit ohne Neuerkrankung von 195 Tagen bei Placebo auf 350 Tage.
Überlebensrate erhöht
In einer anderen Studie erhielten die Teilnehmer ein Jahr lang LcS zusätzlich zu einer Chemotherapie mit Epirubicin. In Kombination mit dem Zytostatikum stieg die 3-Jahres-Überlebensrate der Patienten auf 71 Prozent gegenüber knapp 60 Prozent bei der Monotherapie. Alle Studienteilnehmer vertrugen die Probiotika sehr gut. Auch wurden keine Interaktionen mit Arzneimitteln beobachtet.
Tipp: Damit die gesunden Bakterien ihre volle Wirkung entfalten können, sollten die Mikroorganismen nicht zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Nüchtern getrunken oder verspeist, ist ihre Verweilzeit im Magen nur kurz und die Säureproduktion des Magens auf einem Tiefpunkt. So kann ihnen die geringe Säure kaum etwas anhaben.
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