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Selbstmedikation

Wenn jede Bewegung schmerzt

01.02.2009  11:43 Uhr

Selbstmedikation bei Wenn jede Bewegung schmerzt

von Birgit Masekowitz

In Deutschland klagen nahezu 20 Millionen Menschen über Schmerzen an den Gelenken. Am häufigsten betroffen sind Knie, Wirbelsäule und Hüfte, aber auch Finger- und Fußgelenke. Besonders in der kalten Jahreszeit verstärken sich bei vielen Menschen die Beschwerden. Für manche Patienten sind pflanzliche Wirkstoffe eine gut verträgliche Alternative oder Ergänzung zu den klassischen Schmerzmitteln. 

Das Symptom Gelenkschmerz tritt bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen auf. Unter dem Oberbegriff Rheuma fassen Mediziner alle Krankheiten des Bewegungsapparates zusammen, zum Beispiel der Gelenke, Gelenkkapseln, Knochen, Muskulatur oder Sehnen, die nicht durch eine Verletzung oder einen Tumor verursacht wurden. Am häufigsten treten Gelenkbeschwerden durch Verschleiß und Erkrankungen der Weichteile auf. Sehr viel seltener sind chronische entzündliche Krankheiten wie die rheumatoide Arthritis. Bei dieser handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, die eine chronische Entzündung der Gelenkinnenhaut hervorruft. Wird diese nicht gebremst, werden die Gelenkstrukturen zunehmend abgebaut und die Gelenke zerstört. Im Spätstadium der Erkrankung werden Organe wie Lunge, Herz, Augen und Haut befallen. 

Ebenso können Stoffwechselerkrankungen wie die Gicht (Arthritis urica) Ursache für Gelenkbeschwerden sein. Auch bei der Gicht entzünden sich die Gelenke und schmerzen. Auslöser ist ein erhöhter Harnsäurespiegel im Blut. Harnsäurekristalle lagern sich in peripheren Gelenken und Geweben ab und führen zu Gelenkdeformationen. Zudem schädigen sie die Niere. Betroffen sind zu 95 Prozent Männer, meist mittleren Alters. Im akuten Gichtanfall schmerzt plötzlich ein Gelenk sehr stark, ist gerötet, geschwollen und fühlt sich heiß an. Sehr oft ist das Großzehengrundgelenk betroffen. In der akuten Phase kann auch Fieber auftreten.

Hauptgruppen rheumatischer Erkrankungen

  • entzündlich-rheumatische, zum Beispiel rheumatoide Arthritis
  • degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen, die Arthrosen
  • weichteilrheumatische, die die weichen Teile der Gelenkumgebung, die Muskeln, Bänder, Sehnen und/oder Schleimbeutel betreffen
  • Stoffwechselerkrankungen, die rheumatische Beschwerden hervorrufen, zum Beispiel Osteoporose und Gicht

Arthrose ist der Oberbegriff für eine Gruppe degenerativer rheumatischer Erkrankungen. Zu starke oder falsche Belastung der Gelenke führt dazu, dass die schützende Knorpelschicht zerstört wird. Das kann soweit gehen, dass der Knochen teilweise oder ganz frei liegt. Zum Ausgleich bildet sich verstärkt Knochensubstanz, was zu typischen knotigen Verdickungen und Deformierungen der Gelenke führt. Die Patienten können sich nur eingeschränkt bewegen und leiden unter sogenannten Anlaufschmerzen, das heißt, vor allem morgens und nach längeren Ruhepausen scheinen die Gelenke wie eingerostet. Erst nach einer gewissen Zeit kommt die Beweglichkeit zurück. Zudem klagen die Betroffenen über Muskelverspannungen und Schwellungen im Bereich der betroffenen Gelenke. 

Schmerzen lindern

Wird die Ursache der Gelenkschmerzen nicht behandelt, können die Krankheiten die Gelenke zerstören und sich auf deren Umgebung ausweiten. Fragen Betroffene zunächst PTA oder Apotheker um Rat, sollten diese ihnen unbedingt empfehlen, einen Arzt aufzusuchen. Nach einer genauen Diagnose kann der Facharzt die geeignete Therapie einleiten. Bis zum Arzttermin können Medikamente aus der Selbstmedikation den Patienten helfen, häufig sind sie aber auch begleitend zu einer bestehenden Therapie sinnvoll.

Die Klassiker gegen Schmerzen sind nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Naproxen oder Ibuprofen. Diese wirken nicht nur analgetisch, sondern auch entzündungshemmend. Von allen vier Wirkstoffen gibt es eine Vielzahl rezeptfreier Präparate für die orale Anwendung. Um so wichtiger ist es, die Patienten bei der Abgabe eines dieser Analgetika über die Besonderheiten des jeweiligen Arzneistoffs zu informieren. Ständige Gelenkschmerzen veranlassen die Betroffenen, die Wirkstoffe über längere Zeit einzunehmen. Dadurch erhöht sich das Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Sehr häufig kommt es zur Schädigung der Magenschleimhaut mit Blutungen und Ulzerationen. Bei gleichzeitiger Anwendung von Glucocorticoiden ist das Risiko sogar noch größer. Diese Wechselwirkung sollten die Patienten kennen, denn Glucocorticoide werden häufig zur Therapie von entzündlichen Gelenkbeschwerden eingesetzt. Patienten mit einem Magen-Darm-Geschwür sollten keine NSAR einnehmen. Das Gleiche gilt für Asthmatiker. Außerdem können NSAR die Wirkung von ACE-Hemmern verringern. 

Analgetika topisch applizieren

Weniger problematisch ist es, wenn Patienten die NSAR topisch, in Form von Rheumasalben, -gelen oder -sprays anwenden. Je nach Art der Zubereitung dringen die Wirkstoffe sehr unterschiedlich in tiefere Gewebeschichten. Systemische Nebenwirkungen sind kaum zu erwarten, denn bei dieser Applikationsart liegen die Plasmaspiegel weit unter denen, die nach oraler Gabe gemessen werden. Allerdings reagiert die Haut mancher Patienten auf Salbe, Gel oder Spray allergisch. Obwohl Patienten Salben und Gele mit NSAR häufig anwenden, beurteilen Pharmakologen die therapeutische Wirksamkeit dieser Präparate kritisch. 

Als weiteres Analgetikum für die Selbstmedikation und alternativ zu den NSAR steht Paracetamol zur Verfügung. Es lindert leichte bis mittelstarke Schmerzen. Bei Patienten mit Leberschäden ist der Arzneistoff allerdings kontraindiziert. 

Eine besser verträgliche Alternative stellen pflanzliche Arzneistoffe dar. Am besten belegt ist die Wirksamkeit von Präparaten mit Extrakten aus der Weidenrinde und Teufelskralle. Aber auch Umschläge oder Wickel mit Senfsamen und Präparate mit Cayennepfeffer, Brennnessel oder Arnikablüten sind empfehlenswert. 

Weidenrinde gut verträglich

Für die Wirkung der Weidenrinde (Salicis cortex) machen Forscher hauptsächlich das Glykosid Salicin verantwortlich, das in der Leber zu Salicylsäure metabolisiert wird. Neben Salicin sind Polyphenole an der Wirkung beteiligt. Die Kommission E empfiehlt eine mittlere Tagesdosis von 60 bis 120 mg Gesamtsalicin. Die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) gibt 240 mg an. Dieser Empfehlung entsprechen zum Beispiel die Präparate Assalix®, Assplant® und Proaktiv®. Aufgrund einer längeren Metabolisierung tritt die Schmerzfreiheit allerdings nicht sofort ein. Im Gegensatz zu den NSAR kommt es kaum zu gastrointestinalen Nebenwirkungen, daher können die Patienten Arzneimittel mit Weidenrindenextrakt langfristig einnehmen. Weidenrinde beeinflusst auch nicht die Thrombozytenaggregation. 

Teufelskralle bessert Beweglichkeit

Ebenso wie die Weidenrinde erhielt die südafrikanische Teufelskralle (Harpagophytum procumbens) eine positive Bewertung der Kommission E und der ESCOP. Der Hauptwirkstoff der Teufelskralle ist das stark bittere Harpagosid. Der Extrakt aus der Arzneipflanze wirkt analgetisch, antiphlogistisch und aufgrund des bitteren Geschmacks des Harpagosids appetitanregend und choleretisch. Empfehlenswert ist Teufelskralle gegen Schmerzen in den Gelenken sowie bei Beschwerden in den Schultern oder im Rücken. Die Tagesdosis beträgt 50 bis 100 mg Harpagosid peroral.

Auch Teufelskralle eignet sich nicht zur Akuttherapie, da die Wirkung nicht sofort einsetzt. Das Phytopharmakon hilft jedoch gegen chronische Schmerzen und verbessert die Beweglichkeit. Die Zubereitungen sind in der Regel gut verträglich und zur Dauertherapie geeignet. Selten treten Durchfall, Übelkeit oder Schwindel auf. Die Einnahme von Teufelskralle-Präparaten erscheint auch begleitend zu ärztlich verordneten NSAR sinnvoll: Die Kombination ermöglicht es, die NSAR-Dosis zu reduzieren. Dadurch sinkt zusätzlich deren Nebenwirkungsrisiko. 

Den Gelenken einheizen

Bei degenerativen rheumatischen Erkrankungen helfen außerdem wärmende Salben oder Pflaster. Sie enthalten meist die Scharfstoffe des Cayennepfeffers, die Capsaicinoide. Nach Anwendung auf der Haut kommt es zunächst lokal zu einer Entzündung. Die Haut wird rot, brennt oder juckt. Anschließend lassen die Schmerzen nach. Produkte mit Capsaicinoiden sind zum Beispiel die ABC-Pflaster von Hansaplast. Die Variante „sensitiv“ enthält das etwas schwächer wirksame Nonivamid, ein synthetisches Analogon des Capsaicins. Diese Pflaster sollten PTA oder Apotheker Menschen mit empfindlicher Haut empfehlen oder Personen, die das erste Mal Schmerzpflaster verwenden und die Wirkung noch nicht einschätzen können. 

Die Pflaster werden direkt auf die schmerzenden Stellen geklebt und bleiben dort zwischen vier und zwölf Stunden. Pro Tag darf der Patient nur ein Pflaster benutzen, sonst drohen Haut- und Nervenschäden. Bei capsaicinhaltigen Salben sollten sich die Patienten direkt nach dem Auftragen die Hände waschen, damit sie die Scharfstoffe nicht versehentlich in Haut oder Schleimhäute reiben. Offene Wunden, Hautentzündungen oder -infektionen müssen zunächst abheilen, sonst verstärken die Capsaicinoide das Krankheitsgeschehen.

Im Unterschied zu den beschriebenen Produkten erzeugen Auflagen, die eine Mischung aus Aktivkohle, Eisenpulver, Salz und Wasser enthalten, zum Beispiel ThermaCare®, die heilende Wärme selbst. Je nach Anwendungszweck sind sie speziell geformt, beispielsweise auch passend für Knie erhältlich. 

Senf mal anders

Etwas aufwendiger ist die äußerliche Anwendung von Senfsamen in Form von Umschlägen oder Wickeln. Dazu sollten die weißen Senfsamen (Erucae Semen) verwendet werden, denn sie sind milder als die schwarzen. Die enthaltenen Senfölglykoside regen die Durchblutung an und wirken hautreizend. Die Kommission E empfiehlt die Anwendung bei degenerativen Gelenkerkrankungen und Weichteilrheumatismus. Zur Herstellung eines Senfwickels werden etwa 100 g Senfmehl mit lauwarmem Wasser angerührt, auf ein Leinentuch gestrichen und auf die Haut gelegt. Erwachsene können die Breiumschläge bis zu 15 Minuten einwirken lassen, sollten aber nach etwa 5 Minuten die Hautreaktion überprüfen. Bleiben die Umschläge länger auf der Haut, könnten sich Blasen, Geschwüre oder sogar Nekrosen bilden. PTA oder Apotheker sollten die Patienten darauf hinweisen, bei der Anwendung Augen und Gesicht zu schützen. Um Haut- und Nervenschäden zu vermeiden, sollten die Wickel maximal eine Woche angewendet werden. Nicht geeignet sind Senfwickel bei Kindern sowie bei -Patienten mit Hauterkrankungen.

Wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung eignen sich auch Arnikablüten zur Behandlung rheumatischer Beschwerden. Ihre Inhaltsstoffe verhindern indirekt die Ausschüttung entzündungsfördernder Zytokine. Die Anwendung ist von der Kommission E empfohlen und erfolgt äußerlich in Form wässriger und öliger Auszüge, Salben, Gele sowie Balsame. Bedenken sollten PTA und Apotheker aber das hohe Allergiepotenzial der Pflanze. Bei empfindlichen Personen bilden sich juckende Hautausschläge mit Bläschen. Bereits die Berührung der Pflanze kann eine Kontaktdermatitis auslösen. 

Ein ähnlicher Wirkmechanismus liegt bei Brennnesselkraut vor. Die innerliche und äußerliche Anwendung lindert rheumatische Beschwerden. Präparte mit Extrakten aus Brennnesselkraut sind gut verträglich und können langfristig eingenommen werden. Sie helfen, den Konsum chemisch-synthetischer Schmerzmittel zu reduzieren. 

Weihrauch neu entdeckt

Weniger bekannt ist, dass Weihrauchextrakt Gelenkbeschwerden mindert. Das Harz des Weihrauchbaumes enthält Boswelliasäuren. Diese hemmen die Bildung von Leukotrienen und wirken so antientzündlich. Erste klinische Untersuchungen zeigen gute Ergebnisse für die Behandlung von rheumatoider Arthritis, Osteoarthritis, Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Doch bislang reichen die Daten für eine Zulassung als Arzneimittel nicht aus. In Deutschland sind Weihrauchpräparate als Nahrungsergänzungsmittel auf dem Markt. 

Hagebutte gegen Arthrose

Der jüngste Neuzugang antirheumatisch wirkender Phytopharmaka ist ein standardisiertes Pulver aus Früchten und Schalen der Hagebutte. Als wirksamen Bestandteil identifizierten Forscher ein Galaktolipid, welches entzündungshemmend und antioxidativ wirkt. 

In zwei randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudien besserte Hagebuttenextrakt die Beweglichkeit der betroffenen Gelenke. Für die Zulassung als Arzneimittel sind weitere klinische Prüfungen erforderlich.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
birgit.masekowitz(at)gmx.de

Geeignete Fragen zu Beginnn der Beratung und mögliche Deutung der Antwort

  • Wann treten die Schmerzen auf? Schmerzen in der Nacht oder in Ruhephasen weisen auf eine Entzündung hin. Verstärkt Belastung die Beschwerden, deutet das auf eine degenerative Erkrankung hin. Schmerzen, die nach einer Mahlzeit, nach Alkoholgenuss oder Fasten auftreten, lassen eine Gicht als sehr wahrscheinlich erscheinen.
  • Gehen die Schmerzen vom Gelenk oder von den Weichteilen um das Gelenk herum aus?
  • Lindert Wärme oder Kälte die Beschwerden? Tut Wärme gut, handelt es sich wahrscheinlich um einen degenerativ bedingten Schmerz. Hilft dagegen Kälte, ist eher eine Entzündung der Grund.
  • Können Sie sich vor allem morgens schlecht bewegen? Wie lange? Gibt der Patient eine Morgensteifigkeit von mehr als einer Stunde an, so spricht dies für rheumatoide Arthritis, eine Morgensteifigkeit von weniger als fünf Minuten deutet auf Arthrose hin.
  • Haben Sie Fieber? Fieber weist auf eine bakterielle Gelenkentzündung hin.