Die richtige Dosis finden |
14.12.2012 19:15 Uhr |
Von Ursula Sellerberg / Zahlreiche Wissenschaftler haben sich intensiv mit der abführenden Wirkung von Sennesfrüchten und -blättern beschäftigt. Bei der Abgabe sollten PTA und Apotheker die Patienten über die Dosierung und Anwendungsdauer informieren. Die wichtigste Regel: Ohne ärztlichen Rat dürfen sie die beiden Drogen sowie senneshaltige Präparate nicht länger als ein bis zwei Wochen in individuell angepasster Dosis anwenden.
Erstmals wird Senna in den arabischen Medizinbüchern des 9. und 10. Jahrhunderts erwähnt. Der Prophet Mohammed soll gesagt haben: »Haltet euch an Sennesblätter und Kümmel, denn beide heilen jede Krankheit, ausgenommen den Tod.« Die Araber verwendeten die Früchte gegen Augenleiden, Magenerkrankungen und Infektionskrankheiten wie Lepra.
Sowohl die Blätter als auch die Früchte des Sennesstrauchs helfen bei Obstipation.
Foto: Thomas Schöpke
Nach und nach fand die Pflanze Eingang in die Klosterheilkunde des Mittelalters. Damals schätzten die Menschen ihre reinigende Wirkung. Die indische Volksmedizin empfiehlt Sennesblätter bei Lebererkrankungen und Gelbsucht, bei Blutarmut, Vergiftungserscheinungen und Typhusfieber. Im Europa des 16. Jahrhunderts sollten Sennesblätter bei Lungen- und Leberleiden helfen. Erstmals als Abführmittel empfahl der Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) Sennesblätter, kombiniert mit Lauch oder Wermut.
Zwei Stammpflanzen
Sennesblätter und -früchte können von Cassia angustifolia oder Cassia senna (auch C. acutifolia genannt) aus der Familie der Caesalpiniaceae stammen. Cassia angustifolia liefert die »Tinnevelly Senna« und wird in Arabien und Südindien kultiviert. Cassia senna ist in Nordafrika beheimatet, sie liefert die Alexandriner- oder Khartum-Senna.
Der Sennesstrauch wird bis zu 1,5 Meter hoch. Seine Blätter sind paarig gefiedert und ganzrandig, die Hülsenfrüchte nierenförmig gebogen, die fünf bis zehn Samen von einer pergamentartigen Hülle umgeben. Die Droge wird heute vor allem aus Indien und dem Sudan importiert.
Die für Senna typischen Anthrachinone kommen auch in anderen Drogen, beispielsweise in Faulbaumrinde, Rhabarberwurzel oder Aloe vor. Sie bestehen aus einem Grundgerüst (Aglykon), an das Zuckerreste gebunden sind. Sennesfrüchte und -blätter enthalten ein Gemisch aus Sennosiden, einer Untergruppe der Anthrachinone. Die Zusammensetzung dieses Gemischs unterscheidet sich je nach Pflanzenteil und Stammpflanze. Die Früchte der Alexandriner-Senna enthalten laut Europäischem Arzneibuch mehr Sennoside (3,4 Prozent) als die der Tinnevelly-Senna (2,2 Prozent). Aus diesem Grund wurden für die Früchte zwei Monographien formuliert. Die Qualität der Blätter von beiden Stammpflanzen unterscheidet sich jedoch nicht, sie werden in einer Monographie zusammengefasst. Darüber hinaus enthalten die Drogen unter anderem Schleimstoffe, Flavonoide und geringe Mengen an ätherischem Öl.
Zuverlässig wirksam
Die Anthranoide sind für die abführende Wirkung der Drogen und ihrer Extrakte verantwortlich. Dabei wirken die Fruchtdrogen etwas milder als die Blattdrogen, trotz des leicht höheren Gehalts an Anthranoiden. Dies liegt daran, dass die Früchte das weniger stark wirkende Aloe-Emodin enthalten.
Die Anthranoide werden nicht im Magen-Darm-Trakt resorbiert. Erst im Dickdarm spalten Bakterien die Zuckerreste ab. Die entstandenen Aglyka wirken durch direkten Kontakt mit der Darmschleimhaut im Dick- und Enddarm abführend (Kontaktlaxans). Alle Laxantien vom Anthranoidtyp wirken dreifach: Erstens stimulieren sie die Darmbewegungen, daraus resultiert eine schnellere Darmpassage. Als Folge der verkürzten Kontaktzeit werden zweitens weniger Wasser und Mineralstoffe aus dem Darm resorbiert (antiresorptiver Effekt). Drittens stimulieren die Anthrachinone die Abgabe von Wasser und Mineralstoffen aus der Darmwand in das Darminnere (sekreta- oder hydragoger Effekt). Indem beide Effekte den Wassergehalt im Darm erhöhen, wird der Stuhl weicher und voluminöser.
Am besten abends
Die Wirkung setzt nach etwa acht bis zwölf Stunden ein. Daher können PTA oder Apotheker im Beratungsgespräch empfehlen, das Arzneimittel abends einzunehmen, damit die erwünschte abführende Wirkung morgens erfolgt.
Sennesblätter zählen zu den häufig genutzten Abführdrogen. Sie sind zugelassen zur kurzfristigen Anwendung bei Verstopfung. Die Kommission E hat im Jahr 1993 die kurzzeitige Anwendung von Sennesblättern oder -früchten bei gelegentlich auftretender Verstopfung befürwortet. Dieser Einschätzung stimmte auch der europäische Dachverband der nationalen Gesellschaften für Phytotherapie, die ESCOP, im Jahr 1997 zu.
Kurzfristig bedeutet laut Standardzulassung, dass die Drogen ohne ärztlichen Rat nicht länger als ein bis zwei Wochen eingenommen werden sollen. Eine Langzeitanwendung ist nach Rücksprache mit dem Arzt möglich. Außerdem werden Sennesblätter eingesetzt, wenn ein weicher Stuhl erwünscht ist, etwa bei Hämorrhoiden oder nach Operationen im Analbereich.
Foto: Ullrich Mies
Als Nebenwirkungen können krampfartige Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Eine Überdosierung kann schmerzhafte Darmkrämpfe oder schwere Durchfälle verursachen. Bereiten Patienten die Nebenwirkungen Probleme, hilft oft eine Dosisreduktion. Auf die harmlose Nebenwirkung, dass sich der Harn gelb oder rot färbt, sollten PTA oder Apotheker die Patienten im Beratungsgespräch hinweisen, um Irritationen zu vermeiden.
Bei Missbrauch Teufelskreis
In älteren Lehrbüchern beschreiben die Autoren einen Teufelskreis aus Abführmitteleinnahme, Kaliumverlust und Darmträgheit. Dieser Teufelskreis tritt vor allem dann auf, wenn Patienten Abführmittel einnehmen und gleichzeitig wenig essen, beispielsweise um Gewicht zu verlieren. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch spielt der Elektrolytverlust praktisch keine Rolle. Erst ein Missbrauch beziehungsweise chronischer Gebrauch kann laut Standardzulassung zu einem Verlust von Kalium führen mit der Folge, dass die Herzfunktion gestört wird und Muskelschwäche auftritt. Der Kaliummangel könnte auch die Wirkung von Herzglykosiden und Antiarrhythmika beeinflussen. Die gleichzeitige Einnahme anderer Medikamente, beispielsweise Cortison-ähnlicher Substanzen, könnte den Kaliummangel zusätzlich verstärken. Durch den Gewöhnungseffekt kann die Darmmuskulatur gehemmt werden, sodass der Betreffende die Dosis des Abführmittels kontinuierlich steigert und der beschriebene Teufelskreis entsteht.
Unabhängig vom Kaliummangel sind bei Senna auch andere Wechselwirkungen denkbar: Durch die beschleunigte Darmpassage kann die Resorption der Medikamente, die im Darm resorbiert werden, herabgesetzt sein.
Patienten mit Darmverschluss oder akut-entzündlichen Erkrankungen des Darms wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sowie Bauchschmerzen unbekannter Ursache dürfen keine Sennesblätter, -früchte oder Präparate mit deren Extrakten einnehmen. Aus grundsätzlicher Vorsorge sollten Kinder unter 10 Jahren und Schwangere sowie Stillende die Droge nicht einnehmen. Bei Schwangeren könnte die Droge die Durchblutung im kleinen Becken anregen. Auch Stillende sollten kein Senna nehmen, da kleine Mengen der Anthrachinone in die Muttermilch übergehen. Abführende Wirkungen wurden bei Säuglingen aber nicht beobachtet.
Nur jeden zweiten Tag
Sennesblätter, -früchte und ihre Extrakte sind in vielen Abführmitteln in Form von Dragees, Granulaten, Tabletten oder Tropfen enthalten. Manche Hersteller kombinieren die Droge auch mit anderen Anthranoiddrogen oder mit Quellstoffen wie Flohsamen.
Zur Teezubereitung sind Teebeutel der losen Droge vorzuziehen, da die empfohlene Tagesdosis an Sennosiden bei maximal 30 Milligramm liegt. Das entspricht etwa zwei Tassen eines Teeaufgusses von 0,75 Gramm der Blätter (= ein halber Teelöffel) und einer Tasse bei den Früchten. Die richtige Dosis sollte jeder Anwender individuell ermitteln: Ziel ist ein weich geformter, aber nicht flüssiger oder durchfallartiger Stuhl. Jeder sollte mit einer geringen Dosis beginnen und diese nach und nach bis zur gewünschten Stuhlkonsistenz steigern. Oft reicht es völlig aus, nur jeden zweiten oder dritten Tag ein Abführmittel einzunehmen, um die Verstopfung zu beheben.
Nebenwirkung Krebs?
In der Vergangenheit wurde immer wieder diskutiert, ob Anthrachinone Krebs erzeugen können. PTA oder Apotheker sollten verunsicherte Patienten im Beratungsgespräch beruhigen: Umfangreiche klinische Untersuchungen ergaben, dass kein Zusammenhang zwischen der Einnahme anthrachinonhaltiger Abführmittel und Dickdarmkrebs besteht.
Die meisten Menschen nehmen Abführmittel in der Selbstmedikation ein. Daher kommt dem Apothekenteam bei der Beratung eine besondere Rolle zu, auch wenn viele Patienten das Gespräch über das Tabu-Thema Verstopfung eher meiden. Medikamente sollten sie erst dann in der individuell richtigen Dosierung einnehmen, wenn alle nicht-medikamentösen Mittel erfolglos geblieben sind. Immer gilt zuerst: mehr bewegen, viel trinken und sich ballaststoffreich ernähren. /
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