Geruchsintensives Allheilmittel |
15.12.2014 10:16 Uhr |
Von Ernst-Albert Meyer / Knoblauch ist eine uralte Kulturpflanze aus dem Mittelmeerraum, die früher eine viel größere Bedeutung besaß als heute. Jahrtausende lang galten die Knoblauchzehen als wertvolles Medikament sowie als Nahrungs-, Zauber- und Liebesmittel.
Schon in der Antike wussten die Heilkundigen, dass bestimmte Pflanzen vor Seuchen schützen oder sich zur Therapie von Infektionskrankheiten eignen. Das bestätigen nicht nur ägyptische Papyri, sondern auch der griechische Historiker Herodot (circa 484 bis 420 v. Chr.). In seinem Reisebericht über Ägypten erwähnt er, dass die beim Pyramidenbau eingesetzten Sklaven, Handwerker und Bauern zusätzlich zu ihrer Nahrung regelmäßig Knoblauch und Meerrettich erhielten. Damit wollte man dem Ausbruch des gefürchteten Sumpffiebers (Malaria) unter den Arbeitern vorbeugen.
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Von Ägyptern geschätzt
Aus Gräberfunden und bildlichen Darstellungen wird deutlich, welche herausragende Rolle Knoblauch in Ägypten spielte. So berichtet der römische Schriftsteller Plinius (23 bis 79 n. Chr.), die Ägypter müssten ihre Eide unter Anrufung von Knoblauch leisten. Den ägyptischen Priestern war es allerdings verboten, Knoblauch zu essen, da er angeblich »unkeusche Gelüste« weckt.
Als Experte für die Heilpflanzen seiner Zeit gilt der griechische Arzt Dioskurides (1. Jh. n. Chr.). Er diente als Militärarzt in den römischen Legionen und lernte so viele Länder kennen. Dort interessierte er sich für die heimische Pflanzenwelt, insbesondere für den Knoblauch, und schrieb seine Erfahrungen nieder. Dioskurides empfahl Knoblauch für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Beschwerden, beispielsweise als Wurm treibende und diuretisch wirkende Pflanze. Vor allem mit Wein getrunken sei Knoblauch ein gutes Mittel gegen Schlangenbisse und äußerlich aufgelegt gegen Hundebisse. Gemischt mit Öl und Salz könne Knoblauch Hautausschlag vertreiben, so Dioskurides. Und die äußerliche Anwendung einer Mischung aus Knoblauch und Honig wirke gegen Flechten, Leberflecke, Aussatz und helfe bei Haarausfall. Gegen die häufig auftretenden Zahnschmerzen riet Dioskurides ebenfalls zum Knoblauch: »Die Schmerzen sollen verschwinden, wenn man eine Knoblauchabkochung zusammen mit Kienholz und Weihrauch in den Mund nehme.«
Gegen Pest und Cholera
In Deutschland muss der Knoblauch schon vor der Eroberung durch die Römer bekannt gewesen sein. Die beiden althochdeutschen Worte »klobelouh« oder »clovolouh« enthalten das alte »clobo«, was »gespaltener Stock« bedeutet, sicherlich ein Hinweis auf die wie gespalten aussehenden Knoblauchzehen.
In jeden Bauerngarten gelangte der Knoblauch im Mittelalter über die Klostergärten und entwickelte sich zum Universalheilmittel der Landbevölkerung. Neben den Anwendungsgebieten der antiken Autoren stärke Knoblauch laut Empfehlung des Kräuterbuch-Autors Konrad von Megenberg (1309–1374) die Stimme, fördere die Verdauungstätigkeit und verhindere die Wirkung schädlicher Getränke im Magen (Antidot). Die Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–1179) empfahl Knoblauch gegen die Gelbsucht. Der Schweizer Arzt Paracelsus (1493–1541) hielt Knoblauch vor allem für ein »giftwidriges Mittel«, wobei er Pest und Cholera zu den Giften zählte.
In manchen Ländern nimmt die Bevölkerung noch heute den aus Knoblauchzehen gepressten Saft gegen Bandwürmer ein. Gegen Spulwürmer müssen Kinder Milch trinken, in der Knoblauchzehen gekocht wurden. Bei Atembeschwerden und Husten gilt Knoblauch ebenfalls als bewährte Volksmedizin. Mit frischer Butter zerrieben und äußerlich aufgetragen sollen Knoblauchzehen bei Geschwüren helfen.
Liebesmittel pro und contra
Über die Wirksamkeit des Knoblauchs als Aphrodisiakum gehen die Meinungen auseinander. Die alten Griechen sahen in Knoblauch wegen seines starken, unangenehmen Geruchs eher einen »Liebestöter«. Das machten sie sich zunutze, um ihre Frauen zur Treue zu zwingen: Bevor ein griechischer Mann ausging, ließ er seine zu Hause bleibende Frau Knoblauch essen. So hoffte er, der starke Knoblauchgeruch würde jeden Liebhaber vertreiben. Was aber passierte, wenn der Liebhaber ebenfalls Knoblauch gegessen hatte, ist nicht überliefert!
Eine ganz andere Vorstellung von der Wirkung des Knoblauchs beschrieb der italienische Arzt Matthiolus (1501–1571) in seinem Kräuterbuch: »Wer an natürlichen oder ähnlichen Werken (gemeint sind die ehelichen Werke) nichts schaffen kann, der esse oft Knoblauch…er bekommt wieder Lust und Kraft.« Der Arzt Leonhart Fuchs (1501–1566) schloss sich dieser Meinung an: »Machet ... lust zu den ehelichen Werken.«
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Schutz vor Vampiren
Die Römer der Antike vertrieben mit Knoblauch ihre Hausgeister, die Lemuren. Im Mittelalter war der Glaube weit verbreitet, dass wer Knoblauch bei sich trägt, »zu dem haben die bösen Geister keinen Zutritt.« Deshalb legte man auch Knoblauch und Petersilie in ein Leinentüchlein gebunden unter das Bettlaken der Wöchnerinnen. So konnten die Hexen den Frauen nicht schaden.
Und außerdem galt Knoblauch als sicheres Mittel, um Vampire und andere Blutsauger zu vertreiben. Die Regisseure einiger Vampirfilme sorgen auch heute noch dafür, dass dieser Aberglaube nicht in Vergessenheit gerät. Die Bevölkerung des Erzgebirges weihte Knoblauch am Tage vor Dreikönig (6. Januar) und nagelte ihn dann an die Türen mit der sicheren Überzeugung: Das »nimmt die Krankheiten weg.« Um das Vieh vor Seuchen zu schützen, hängten die Bauern Zöpfe aus Knoblauch im Stall auf.
Der Knoblauch-Boom
In einer Zeit wachsender Begeisterung der Deutschen für Naturmedizin erregte am 25. Oktober 1981 die Meldung des St. George’s Hospital in London große Aufmerksamkeit. Die Nachricht lautete: Knoblauch wirkt vorbeugend gegen Arteriosklerose. Diese Indikation nahm die Kommission E beim ehemaligen Bundesgesundheitsamt (BGA) später in ihre Monographie »Allii sativi bulbus« auf. Nach Meinung dieser Experten eignet sich Knoblauch zur Vorbeugung altersbedingter Gefäßveränderungen sowie als ergänzende Therapie bei erhöhten Blutfettwerten.
Da sehr viele Menschen in den Industrieländern an den Folgeerkrankungen der Arteriosklerose sterben, rückte der Knoblauch in Deutschland bald in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Redakteure von Fachzeitschriften und der Laienpresse, Funk und Fernsehen nahmen sich ausführlich des Themas an und verbreiteten die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Unterstützt von intensiver und oft emotional gefärbter Werbung, die Gesundheit im Alter und längeres Leben bei gleichzeitig sexueller Leistungsfähigkeit versprach, entstand der Mythos Knoblauch.
In allen deutschen Apotheken standen die Knoblauch-Präparate griffbereit in der Freiwahl und die Umsatzzahlen explodierten geradezu. So nahmen zum Beispiel um 1990 mehrere Millionen Deutsche täglich ein Knoblauch-Präparat ein. Doch das ist schon fast Pharmaziegeschichte. Heute ist Knoblauch vor allem als Gewürz mit gesund erhaltenden Eigenschaften weltweit sehr beliebt, sodass die Preise heftig gestiegen sind. /