Vom Körnchen bis zum Kiesel |
Annette Immel-Sehr |
04.01.2017 11:17 Uhr |
Gallensteine / Foto: Your Photo Today
Viele steinartige Ablagerungen oder Ausfällungen bleiben oft lange Zeit unbemerkt. Andere Konkremente reizen das umliegende Gewebe und rufen eine Entzündung hervor. Verstopfen sie einen Abflusskanal oder reißt sogar Gewebe, wird es besonders schmerzhaft.
Gallensteine sind oft der Grund für Operationen an der Gallenblase, die hierzulande zu den häufigen chirurgischen Eingriffen zählen. Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass Gallensteine grundsätzlich gefährlich sind. Vielmehr machen sie sich nur selten bemerkbar: Bei etwa 80 von 100 Menschen mit Gallensteinen verursachen sie 15 Jahre lang keine Beschwerden.
Krankheit des Überflusses
Ärzte sprechen von Cholelithiasis, wenn sich in der Gallenblase oder im Gallenblasengang Konkremente befinden. An Gallensteinleiden erkranken vor allem Menschen in Ländern mit einem hohen Lebensstandard. Wie bei den anderen sogenannten Wohlstandskrankheiten gehören Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen und mangelnde Bewegung zu den Risikofaktoren. Ältere Menschen sind häufiger betroffen als junge, Frauen etwa doppelt so oft wie Männer: Ab dem Alter von 40 Jahren haben schätzungsweise mehr als 20 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer Gallensteine. Als Grund für den Unterschied zwischen den Geschlechtern vermuten Wissenschaftler, dass Estrogene das Risiko für Gallensteine erhöhen. Zudem spielt die genetische Veranlagung eine Rolle. Die unterschiedlichen Risikofaktoren enthält der Kasten.
Risikofaktoren für die Bildung von Gallensteinen:
Entstehungsgeschichte
Die Gallenflüssigkeit – häufig auch nur als »Galle« bezeichnet – ist für die Fettverdauung erforderlich. Sie besteht zu mehr als 80 Prozent aus Wasser sowie aus Gallensäuren, Elektrolyten, Lipiden, Glykoproteinen, Phospholipiden und Cholesterol. Die Galle wird in den Leberzellen produziert und von dort über den Gallengang in den Dünndarm abgegeben. Zudem dient die Gallenflüssigkeit der Ausscheidung von Steroidhormonen und Bilirubin, dem Abbauprodukt des Hämoglobins. Nicht benötigte Gallenflüssigkeit wird in der Gallenblase gespeichert und dort eingedickt. Bei Bedarf zieht sich die Gallenblase zusammen und drückt Galle in den Gallengang.
Bei bestimmten Erkrankungen verändert sich die Zusammensetzung der Galle. So enthält sie bei einer Hypercholesterolämie vermehrt Cholesterol und bei der hämolytischen Anämie viel Bilirubin. Führen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn zu vermehrten Gallensalzverlusten, können in der Galle cholesterolhaltige Konkremente entstehen. Denn Gallensäuren sind wichtig, um Cholesterol in Lösung zu halten. Auch sogenannte Crash-Diäten können eine Gallensteinbildung auslösen, da sich durch die Stoffwechselumstellung die Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit ändert. Ebenso fördert eine verminderte Kontraktion der Gallenblase die Steinbildung. Dann steigt durch die längere Verweildauer der Gallenflüssigkeit in der Gallenblase die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung eines Steins. 80 Prozent der Gallensteine bestehen aus Cholesterol, circa 20 Prozent hauptsächlich ausBilirubin und Calcium. Diese hießen dann Pigmentsteine.
Die Größe der Gallensteine variiert von einigen Millimetern bis zu wenigen Zentimetern. Sie liegen einzeln, zu mehreren oder als feiner Gallensand beziehungsweise Gallengrieß vor. Manchmal verursachen Gallensteine Übelkeit und Erbrechen sowie wiederkehrende Schmerzen in der Magengrube und im rechten Oberbauch, die in Schulter oder Rücken ausstrahlen. Bei einem Zehntel der Betroffenen lösen sie sehr schmerzhafte Gallenkoliken aus. Diese entstehen, wenn die Steine die Gallenblase verlassen oder in den Gallenwegen weiterwandern. Blockieren Steine den Abfluss der Gallenflüssigkeit, führt die steigende Bilirubinmenge im Blut zur Gelbsucht (Ikterus). Dann sind Haut und Augenweiß gelblich verfärbt.
Aus den Leberzellen gelangt die Gallenflüssigkeit über den Gallengang in Zwölffingerdarm und Dünndarm. Nicht benötigte Gallenflüssigkeit wird in der Gallenblase gespeichert.Grafik: Stephan Spitzer
Als häufigste akute Komplikation des Gallensteinleidens gilt die Cholezystitis – eine durch die Steine verursachte Entzündung der Gallenblase. Außerdem können Gallensteine eine akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse hervorrufen.
Minimaler Eingriff
Gallensteine lassen sich mittels Sonografie (Ultraschall) gut erkennen. Solange sie keine Beschwerden verursachen, ist keine Behandlung erforderlich – als Ausnahme gelten Steine mit mehr als drei Zentimetern Durchmesser. In diesem Fall wird der Arzt dem Patienten raten, den Gallenstein entfernen zu lassen, da große Gallensteine – vor allem bei Männern – das Risiko für ein Gallenblasenkarzinom erhöhen. Auch bei wiederkehrenden Beschwerden sollten die Gallensteine operativ entfernt werden. Dies geschieht heute meist minimal-invasiv. Die früher übliche Stoßwellentherapie, bei der die Gallensteine zertrümmert wurden, hat an Bedeutung verloren.
Ebenfalls nur noch selten werden Gallensteine mit Medikamenten aufgelöst, denn das Verfahren ist langwierig und funktioniert nur bei kleinen, reinen Cholesterolsteinen. Eingesetzt wird dazu in erster Linie Ursodesoxycholsäure. Die Substanz hemmt die biliäre Cholesterolsekretion sowie die intestinale Cholesterolresorption. Die Therapie erfordert Geduld: Nach sechs Monaten sind erst etwa 60 Prozent der Patienten steinfrei. Der Arzneistoff eignet sich auch zur Prophylaxe, um bei einer Gewichtsreduktion die Steinbildung zu verhindern.
Die operative Entfernung von Gallensteinen ist heute dank des medizinischen Fortschritts ein minimal-invasiver Eingriff.
Foto: Your Photo Today
Choleretika verordnen Ärzte Patienten mit Gallensteingrieß, da sie die Sekretion von Gallenflüssigkeit fördern. Bedingung ist allerdings, dass kein Gallenstein den Gallenkanal verschließt. Daher sollten Patienten zunächst an den Arzt verwiesen werden, wenn sie in der Apotheke nach einem Choleretikum fragen. Als Choleretika kommen neben Hymecromon (4-Methylumbelliferon), das zusätzlich spasmolytisch wirkt, verschiedene Arzneidrogen in Betracht, vor allem Curcumawurzel, Artischockenblätter, Löwenzahnwurzel, Schöllkraut, Schafgarbenkraut und Wermutkraut. Bei den äußerst schmerzhaften Koliken verordnen Ärzte Analgetika und krampflösende Medikamente.
Damit nicht erneut Gallensteine entstehen, sollten die Patienten auf ihr Körpergewicht, ausreichend körperliche Bewegung und eine ballaststoffreiche Kost achten, da Ballaststoffe die Resorption von Cholesterol im Darm hemmen und damit indirekt die Gefahr einer Steinbildung in der Gallenflüssigkeit senken.
Steine im Harn
Wenn das Löslichkeitsprodukt bestimmter Substanzen überschritten wird, fallen auch im Harn mikroskopisch kleine Kristalle aus, die zu sichtbaren Konkrementen anwachsen können. Kleine Körner werden meist unbemerkt mit dem Harn ausgeschieden. Bilden sich jedoch größere Zusammenschlüsse, entstehen sogenannte Harnsteine, die je nach ihrer Lokalisation als Nieren-, Harnleiter- oder Blasensteine bezeichnet werden.
Etwa 70 Prozent aller Harnsteine bestehen aus Calciumoxalat. Seltenere Grundstoffe sind Harnsäure, Calciumphosphat, Magnesium-Ammonium-Phosphat und Cystin. Gefördert wird die Steinbildung durch einen niedrigen pH-Wert des Urins und Kristallisationskeime wie Bakterien oder Epithelbestandteile.
Schätzungsweise 4 Prozent der deutschen Bevölkerung haben Nierensteine, Männer häufiger als Frauen. Ursache für Blasensteine sind meist Blasenentleerungsstörungen. Die Bildung von Nieren- und Harnleitersteinen wird dagegen durch eine genetische Veranlagung, Stoffwechselstörungen wie Gicht und unzureichende Flüssigkeitszufuhr gefördert.
Auch die rapide Gewichtsabnahme und Nahrungsmittel mit hohem Purin- oder Oxalatgehalt wie Innereien, Spinat und Pilze erhöhen bei gefährdeten Personen das Harnstein-Risiko. Seltener sind anatomisch bedingte Abflusshindernisse oder die angeborene Stoffwechselerkrankung Cystinurie der Grund für die Nierensteinbildung, siehe dazu auch den Beitrag Cystinurie: Aminosäuren im Urin.
Akute Koliken
Je nach Größe und anatomischer Gegebenheit verengen Harnsteine das Nierenbecken, den Harnleiter oder verschließen diese sogar. Die Folgen sind Entzündungen, Gewebeschäden und Schmerzen. In den meisten Fällen verursachen Nierensteine nur geringe Beschwerden, manchmal ziehende Schmerzen in den Flanken. Dagegen können Steine in den Harnleitern sehr schmerzhaft sein und eine Nierenkolik auslösen mit charakteristischerweise plötzlich einsetzenden, heftigen Schmerzen in wehenartigen Wellen. Die akute Kolik erfordert sofortige ärztliche Behandlung. Zu allererst wird der Urologe dem Patienten ein Analgetikum und ein Spasmolytikum verabreichen. Dann wird er mit Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen die Größe und Lokalisation des Steins bestimmen. Sein weiteres Vorgehen hängt vom Befund ab: Entweder warten, dass der Stein spontan abgeht, oder den Stein medikamentös auflösen, zertrümmern oder operativ entfernen.
Langwierige Litholyse
Bis zu 80 Prozent der Harnsteine verlassen den Körper von selbst über die ableitenden Harnwege. Zur Unterstützung sollte der Patient viel trinken. Je nach Fall verschreibt der Arzt auch krampf- und schmerzlösende Medikamente, beispielsweise Spasmolytika wie Trospium, Atropin oder Butylscopolamin. Bei Harnsäuresteinen – und auch nur bei diesen – ist die medikamentöse Auflösung mit Kalium-Natrium-Hydrogencitrat möglich. Diese langwierige Therapie wird auch als Chemolitholyse bezeichnet.
Verlassen die Steine nicht wie erhofft den Körper, führt der Urologe meist ambulant und ohne Narkose eine extrakorporale Stoßwellen-Lithotripsie durch. Dabei werden die Harnsteine von außen durch Energiewellen zertrümmert. Große Nierensteine erfordern ein aufwändigeres Verfahren: Dann legt der Urologe von außen einen Kanal, um die Steine mit einem Instrument zu zerkleinern und zu entfernen. Bei Harnleitersteinen kann er den Stein durch ein Endoskop in der Harnröhre entfernen. Dank dieser minimal-invasiven Verfahren sind offene Nierensteinoperationen heute nur noch selten erforderlich.
Die Rolle der Ernährung
Die Gefahr ist relativ hoch, dass sich nach der Behandlung erneut Harnsteine bilden. Daher sollten die Patienten als wichtigste Prophylaxe-Maßnahme ihre Ess- und Trinkgewohnheiten dauerhaft ändern, unter anderem täglich zwei bis drei Liter trinken. Ob jemand genügend getrunken hat, ist am Urin erkennbar. Ist dieser fast farblos, stimmt die Trinkmenge. Denn bei ausreichend starker Verdünnung des Urins kann kein Nierenstein entstehen. Weiterhin helfen zur Prophylaxe viel Bewegung, eine eiweißarme, ballaststoffreiche Ernährung und der Abbau von Übergewicht.
Kieselsteine werden durch den gegenseitigen Abrieb im fließenden Wasser mit den Jahren immer kleiner. Im Unterschied dazu wachsen im Körper entstandene Steine nach und nach zu größeren Konkrementen an.
Foto: Your Photo Today
Bei Veranlagung zu Calciumoxalat-Steinen sollten Betroffene den Verzehr Oxalat-reicher Lebensmittel einschränken, wie Rhabarber, Spinat, Kakao und Nüsse, sowie möglichst keinen schwarzen Tee trinken. Früher sollten diese Patienten sich streng calciumarm ernähren. Heute ist bekannt, dass bei Calciummangel die Oxalatkonzentration im Urin steigt. Dagegen wird bei ausreichender Calciumzufuhr ein Großteil des Oxalats bereits im Darm durch Bildung von unlöslichem Calciumoxalat abgefangen.
Harnsäuresteine entstehen meist durch eine bestimmte Ernährungsweise. Harnsäure ist das Endprodukt des Purinstoffwechsels, daher fördert eine purin- und proteinreiche Ernährung die Harnsäurebildung und säuert zudem den Harn an. Experten empfehlen den Betroffenen, zur Rezidivprophylaxe weniger Fleisch zu essen oder sich vegetarisch zu ernähren. Da sich Harnsäuresteine besonders gut in saurem Urin bilden, senkt die Alkalisierung des Harns das Rezidivrisiko, beispielsweise mit Kalium-Natrium-Hydrogencitrat.
Konkremente im Darm
Die sogenannten Enterolithen, steinartige Konkremente im Darm, bestehen aus stark eingedickten Faeces, um die herum sich Schichten aus Schleim und weiterem eingetrocknetem Stuhl abgelagert haben. Derartige Kotsteine können sich bei chronischer Verstopfung entwickeln. Da der Darminhalt kaum weitertransportiert wird, nimmt sein Wassergehalt kontinuierlich ab.
Kotsteine lagern sich bevorzugt in den Sackgassen des Darms ab: in Aussackungen der Dickdarmwand oder im Wurmfortsatz – besser bekannt als Blinddarm. Manche Kotsteine setzen sich auch im Enddarm fest.
Im schlimmsten Fall verschließen Kotsteine den Darm lebensbedrohlich oder verursachen einen Durchbruch der Darmwand. Sehr harte Steine kann der Arzt manchmal durch die Bauchdecke ertasten. Sonst ist die Diagnose schwierig, da er Enterolithen im Ultraschall nicht eindeutig erkennt. Oft werden sie erst entdeckt und entfernt, wenn sie bereits zu Komplikationen wie Darmverschluss oder Blinddarmentzündung geführt haben.
Kotsteine im Enddarm sind meist gut mit dem Finger tastbar und lassen sich manchmal manuell entfernen oder durch mehrfache Einläufe auflösen. Sie manuell auszuräumen, ist für den Patienten meist sehr unangenehm, manchmal schmerzhaft und mit einem Verletzungsrisiko für den Schließmuskel verbunden. Nach Beseitigung der Kotsteine sollten die Patienten auf regelmäßigen Stuhlgang achten, um deren erneute Bildung zu verhindern.
Nur in Einzelfällen entstehen Speichelsteine in der Drüse unter der Zunge.
Foto: Science Photo Library/Dr. Marazzi, P.
Speichelsteine
Speichelsteine, medizinisch als Sialolithen bezeichnet, sind kleine Steinchen in den Drüsen des Mundbereichs. Die calciumhaltigen Steine können stecknadelkopfgroß sein, aber auch größer als eine Bohne werden. Wie und warum Speichelsteine entstehen, ist weitgehend unbekannt. Meist treten sie bei 30- bis 40-jährigen Erwachsenen auf. In 70 bis 90 Prozent der Fälle bilden sich die Steine in einer Unterkieferspeicheldrüse, in 10 bis 20 Prozent in einer Ohrspeicheldrüse, selten bis sehr selten in einer Unterzungenspeicheldrüse und in den kleinen Speicheldrüsen der Mund- und Rachenschleimhaut.
Die meisten Sialolithen werden unbemerkt über die Ausführungsgänge der Drüsen ausgespült. Bleiben sie allerdings darin stecken und verstopfen den Gang, entzündet sich die Speicheldrüse, rötet sich und schwillt schmerzhaft an. Ärzte sprechen dann von einer Sialolithis. PTA und Apotheker sollten Patienten mit einer geschwollenen Speicheldrüse an den HNO-Arzt verweisen. Denn als Ursache kommen außer einem festsitzenden Speichelstein auch andere Erkrankungen infrage, beispielsweise Mumps. Verursacht tatsächlich ein eingeklemmter Speichelstein die Beschwerden, kann der Arzt dem Patienten zeigen, wie er den Stein durch leichte massierende Bewegungen lösen und in Richtung Drüsenausgang bewegen kann. Häufig wird der Stein dann mit dem Speichel ausgespült.
Bleibt diese Methode erfolglos, wird der Arzt den Stein wahrscheinlich auf minimal-invasivem Weg mit dem Verfahren der Speichelgang-Endoskopie entfernen oder die Engstellen unter endoskopischer oder Ultraschallkontrolle dehnen. Ein solcher Eingriff geschieht meist ambulant unter örtlicher Betäubung. Ein weiteres Verfahren ist die minimal-invasive endoskopische Litothripsie, bei der der Stein durch Stoßwellen zerstört wird. /
Steine im Körper
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