Für ein Jahr ein Star |
09.01.2018 09:54 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler / Andorn, Ingwer und Rizinus: Diese drei Pflanzen stehen 2018 für ein Jahr im Rampenlicht. Sie sind die Arzneipflanze, die Heilpflanze und die Giftpflanze des Jahres.
Vor allem wegen ihrer (kultur-)historischen Bedeutung hat der Studienkreis »Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde« an der Universität Würzburg eine heute kaum noch bekannte Pflanze zur Arzneipflanze des Jahres 2018 gewählt: Andorn oder Marrubium vulgare L. aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae).
Andorn kommt heute noch gegen Bronchitis zum Einsatz.
Foto: Okapia/imageBroker/BAO
Andorn ist ein stattliches Gewächs: Die unverzweigten Stängel werden bis zu 80 cm hoch. Mit seinen kugeligen vielblütigen Scheinquirlen steht er zwischen Ackerminze und Melisse. Die Blätter sind jedoch kleiner, rundlich bis herzförmig. Sie haben auf der Oberseite ein tief eingesenktes Nervennetz und sind unterseits stark filzig behaart. Andorn stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, hat sich aber bis nach Südskandinavien hin ausgebreitet. Das sind Auswilderungen aus dem früher weit verbreiteten Anbau als Heilpflanze.
Unter den Lippenblütlern sticht Andornkraut durch seine Inhaltsstoffe hervor: kräftige Bitter- und Gerbstoffe wie den Diterpen-Bitterstoff Marrubiin und Lamiaceen-Gerbstoffe, aber nur wenig ätherisches Öl. Das blieb den alten Heilkundigen nicht verborgen. So schrieb der berühmte Abt und Dichter Walahfrid Strabo im 9. Jahrhundert: »Er duftet süß, schmeckt aber scharf.«
Andorn als traditionelles Arzneimittel
Nach Angaben des Ausschusses für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA kann Andornkraut verwendet werden als schleimlösendes Mittel bei erkältungsbedingtem Husten, bei leichten Verdauungsstörungen wie Blähungen und Völlegefühl sowie bei vorübergehender Appetitlosigkeit.
Die Experten berufen sich dabei auf die langjährige traditionelle Verwendung der Pflanze. Die Bitterstoffe und ätherischen Öle könnten den Appetit und die Schleimabsonderung in den Atemwegen anregen. Die Patienten sollen aber zum Arzt gehen, wenn Husten länger als eine Woche oder Verdauungsstörungen und Appetitlosigkeit länger als zwei Wochen anhalten.
Als traditionelles Arzneimittel wird ein Andorn-Fluidextrakt bei Patienten ab zwölf Jahren mit Husten, verschleimten und verkrampften Bronchien eingesetzt. Andorn kann auch als Tee zubereitet werden.
Gegen Attacken der Stiefmutter
Die Experten vom Würzburger Studienkreis betonen die historische Bedeutung des Andorns: Von der Antike bis weit in die Neuzeit hinein sei er eine der beliebtesten Heilpflanzen in Europa gewesen. Andorn wurde vor allem bei Lungenerkrankungen und hartnäckigem Husten eingesetzt, aber auch bei Brüchen, Verstauchungen, Krämpfen und Erkrankungen der Sehnen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in Frankreich sogar über eine Wirkung bei Malaria diskutiert.
Abt Walahfrid Strabo preist Andorn nicht nur bei »starken Beklemmungen der Brust«, sondern auch als Mittel gegen Giftanschläge, etwa durch böse Stiefmütter: »Sollten die Stiefmütter in feindseliger Absicht Gifte zubereiten und in das Getränk mischen oder Eisenhut zum Verderben in trügerische Speisen mengen, so vertreibt ein Trank des heilkräftigen Andorn, unverzüglich eingenommen, die lebensbedrohenden Gefahren.« Wenn das kein Grund für die Auszeichnung als Arzneipflanze des Jahres ist . . .
Ingwer: vielfältige Heilkraft
Vor allem als Gewürz lieben viele Menschen den Ingwer (Zingiber officinale R.). Er ist die Heilpflanze des Jahres 2018. Konrad Jungnickel, Vorsitzender des NHV Theophrastus, erklärt dazu: »Wir wollen vor allem die arzneilichen Effekte dieses in der asiatischen Küche üblichen Gewürzes bekannter machen«. Denn das Rhizom dieser Zingiberacee, die ätherische Öle und diverse Scharfstoffe enthält, wirkt krampflösend, entzündungshemmend und schmerzstillend.
Selbst gezogene Schärfe: die Ingwerknolle
Foto: Shutterstock/anat chant
Ingwer ist eine der wichtigsten Pflanzen in der traditionellen indischen Medizin (Ayurveda). Hier unterscheiden die Ärzte zwischen den Wirkungen des frischen Ingwers, zum Beispiel bei Brechreiz, und des getrockneten, zum Beispiel bei Atemwegserkrankungen. Auch in China und Indonesien werden Zubereitungen volksmedizinisch eingesetzt.
In Europa konnte das kräftige Gewürz rasch überzeugen. So schrieb der griechische Arzt Dioskurides im 1. Jahrhundert nach Christus den Ingwerknollen »erwärmende, die Verdauung befördernde Kraft« zu und befand: »Sie regen den Bauch milde an und sind gut für den Magen.« Im Mittelalter verwendete ihn Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) bei Magen-Darm-Beschwerden. Der Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) setzte ihn innerlich bei Fieber und als Allheilmittel sowie äußerlich als Pflaster bei Brüchen und stumpfen Verletzungen ein.
Die Experten vom NHV Theophrastus verweisen auf Studien, die die vielseitigen Effekte wissenschaftlich belegen. So lindere Ingwer Brechreiz und Erbrechen und helfe bei Reisekrankheit, rege die Darmperistaltik an, fördere die Speichel-, Magensaft- und Gallensekretion und verhindere Völlegefühl nach üppigem Essen. Die Erfahrungsmedizin nutzt ihn bei Erkältung und Husten, Migräne, Menstruations- und Rückenschmerzen.
Im Handel sind diverse Fertigpräparate, zum Beispiel gegen Reiseübelkeit, erhältlich. Bei Magen-Darm-Problemen wie Appetitlosigkeit, Blähungen, Übelkeit und Reisekrankheit hilft auch ein Ingwertee oder das Kauen von kandierten Rhizom-Stückchen.
Gewürz mit Pepp
Wer das Gewürz liebt, sollte unterschiedliche Provenienzen testen, da die Sorten unterschiedlich schmecken, empfehlen die Experten vom NHV. Dabei soll Ingwer-Rhizom aus Nigeria am schärfsten sein, das aus Australien am mildesten. Ingwer bereichert sowohl herzhafte Gerichte wie Suppen, Fleisch- und Fischgerichte als auch Süßspeisen wie Gebäck und Kuchen. In England gehört »Ginger« zu vielen traditionellen Speisen und Getränken, zum Beispiel zu Gingerbread (Lebkuchen), Marmelade, Worcestersauce und Ginger Beer.
Reizvoll für Hobbygärtner ist es, Ingwer im Topf heranzuziehen. Die Pflanzen-Experten vom NHV erklären, wie es geht: Ein Stück frisches Ingwer-Rhizom, das mindestens ein »Auge« haben muss, aus dem die Pflanze später treibt, wird in einen breiten Topf mit durchlässiger Gartenerde gelegt und dünn mit Erde bedeckt. Bis zum Austrieb kann man den Topf mit Klarsichtfolie überspannen. Wichtig sind stets feuchte Erde ohne Staunässe, ein heller, nicht zu sonniger Platz und möglichst gleichbleibende Temperatur.
Wenn das Laub nach etwa acht Monaten zu welken beginnt, ist Erntezeit. Die Autorin hat das selbst einmal ausprobiert und erntete ein kleines, aber super-scharfes Rhizom.
Rizinus: Vorsicht Gift
Seit 2004 ruft der Botanische Sondergarten Wandsbek jedes Jahr zur Wahl einer Giftpflanze auf. Diesmal wurde die Rizinus-Pflanze (Ricinus communis L.), auch Wunderbaum oder Palma Christi genannt, zur Giftpflanze des Jahres 2018 gekürt. Der dekorative, bis zu zwei Meter hohe und breite Halbstrauch wird in Deutschland heutzutage einjährig gezogen und ist eine schöne Zierpflanze in Parkanlagen und großen Gärten.
Rizinus kann tödlich wirken.
Foto: Okapia/ Walter Hanf
Seit Jahrtausenden wird das fette Öl aus den Samen des Wunderbaums medizinisch verwendet. Im Körper entsteht unter anderem freie Rizinolsäure, die abführend wirkt und die Wehentätigkeit anregt. Zudem enthalten die Samen das hochgiftige Rizin.
Öl nur kurzfristig
Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel bei der EMA schrieb 2016, dass Erwachsene kaltgepresstes Öl bei gelegentlicher Verstopfung kurzfristig, das heißt ohne ärztlichen Rat, maximal eine Woche lang einnehmen können. Zugleich weisen die Experten auf Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und schweren Durchfall sowie Kontraindikationen, zum Beispiel entzündliche Krankheiten des Dickdarms, ungeklärte Bauchschmerzen und schwere Austrocknung hin. Schwangere und stillende Frauen dürfen Rizinusöl nicht anwenden.
Der Rizinus-Strauch gehört zu den sehr stark giftigen Pflanzen. Der Botanische Sondergarten nennt als Symptome einer Rizin-Vergiftung: hohes Fieber, Kreislaufkollaps, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall, Übelkeit und Erbrechen. Unbehandelt könne nach etwa 48 Stunden der Tod eintreten. Beim geringsten Verdacht einer Vergiftung sollte man daher unverzüglich zum Arzt gehen. /