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Burn-out

Mein Weg aus dem Seelentief

09.01.2018  09:53 Uhr

Von Narimaan Nikbakht / Stine König fühlte sich erfüllt in ihrem Job. Stress und Erschöpfung ignorierte sie. Selbst als eine private Krise hinzukam, powerte sie weiter – und landete fertig und verzweifelt in einem Burn-out. Wie sie wieder Kraft und Zuversicht fand, lesen Sie hier.

November 2007. Es war kurz nach 16 Uhr, als nichts mehr ging: Stine Königs­ Herz raste, am ganzen Körper brach ihr der Schweiß aus, sie spürte Panik in sich aufsteigen, wollte nur noch weg.

Bis dahin hatte die 39-Jährige als Leiterin eines Pflegedienstes in einem Pflegeheim gearbeitet, ihr Tag umfasste nicht selten an die 14 Stunden. An diesem Abend aber fuhr sie nicht wie gewohnt nach Hause, sondern machte sich plötzlich wie ferngesteuert auf den Weg zur Hamburger Köhlbrandbrücke. Was sie dort noch stoppte, sich das Leben zu nehmen, wie der Vater ein Jahr zuvor, war der plötzliche Gedanke an die Großmutter: »Das konnte ich ihr unmöglich auch noch antun – erst den Sohn und nun auch noch die Enkelin zu verlieren«, erinnert sich König. Also bog sie damals ab und fuhr direkt zu ihrem Hausarzt. Kaum stand sie vor ihm, konnte sie nicht mehr aufhören zu weinen.

Als König 2006 in dem Pflegeheim als Leiterin einstieg, war sie von Beginn an 50 bis 60 Stunden pro Woche im Einsatz. Oft riefen die Kollegen aus dem Nachtdienst an, um Fragen zu klären, wenn jemand plötzlich verstorben war oder Kollegen sich unerwartet krankgemeldet hatten. »Doch ich war voller Leidenschaft für den Job, arbeitete enga­giert und zuverlässig. Schließlich war das meine Berufung«, erzählt König­. Zu diesem Zeitpunkt ahnte sie noch nicht, dass sie sich bereits in einer Schieflage befand. Es begann schleichend: König fühlte sich zunehmend müde und ausgelaugt – aber wenn es privat sorgenfrei läuft, steckt man so einiges an beruflichem Stress weg. »Ich war zwar allein­stehend, hatte aber eine wunderbare Familie, mit der ich mich gut verstand. Was ich nicht einplante war, was passiert, wenn privat eine Krise eintritt und man alle Kraft braucht, um diese zu überwinden«.

Die Zäsur erfasste sie im Oktober 2006: Ihr Vater nahm sich das Leben. »Ich war fassungslos und voller Trauer, da wir uns immer sehr nahe standen. Zugleich musste ich nun zwischen Hamburg und Bayern hin- und herpendeln, um nach seinem Tod alles Nötige bezüglich Beerdigung, Haushaltsauflösung und Nachlass zu regeln und mich um die Familie zu kümmern.« Sämt­liche Energie ging dabei verloren. Doch eine Pause er­laubte sich König nicht. »Ich hatte nur einen Gedanken: Ich muss jetzt der Fels in der Brandung sein«, sagt sie.

An Arbeit war nicht mehr zu denken

Neben der familiären Belastung verschärfte sich die Situation im Job. ­Königs Stellvertreterin wollte deren Platz einnehmen. Täglich hatte sie nun fortan mit Intrigen bei der Arbeit zu kämpfen: Dienstpläne wurden ohne Absprache geändert, Gesprächsver­suche wurden ignoriert, und der Geschäftsführer mit kleinen Bemerkungen gegen sie aufgebracht. »Nun begleitete mich auch noch der Kampf um meine Position. Und ich strengte mich noch mehr an, um meinen guten Ruf zu verteidigen«, erzählt König. Signale ihres Körpers, wie Magen-, Kopfschmerzen und Schlaf­losigkeit, ignorierte sie. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und funktionierte noch knapp vier Monate weiter. Dann konnte sie einfach nicht mehr. Zu düster und ausweglos schien ihr die eigene Situation.

»Als ich schließlich heulend vor meinem­ Hausarzt stand, überblickte der die Situation sofort, und zum ersten­ Mal hörte ich den Begriff Burn-out. Er befahl mir regelrecht, mich bei der Arbeit krankschreiben zu lassen, um mir therapeutische Hilfe zu holen. Und das war genau der richtige Weg. Denn schon beim Gedanken an meine Arbeit wurde ich von Panikattacken ergriffen. Ich konnte mich weder rühren noch überhaupt in die Richtung dorthin fahren«, so König weiter.

Aufstieg aus dem Tal

Zweimal wöchentlich suchte sie nun ihren Hausarzt auf und einmal pro Woche begab sie sich in die Hände einer Therapeutin. In der Gesprächstherapie begriff sie, dass sie nicht wehleidig oder zu sensibel ist, sondern dass es vielen Menschen so geht wie ihr, und dass es keine Schande ist, Grenzen zu setzen oder zu zeigen, dass man auch mal schwach ist. »Ich fühlte mich verstanden und angenommen und schöpfte zum ersten Mal etwas Hoffnung«, erinnert sie sich. Dennoch mussten ihr in den ersten Monaten die engsten Freunde sehr zur Seite stehen, damit sie ihren Tag geregelt bekam. Sie kauften für sie ein, bereiteten ihr das Essen zu, pflegten die Wohnung und immer wieder auch König selbst. »Manchmal fehlte mir selbst dafür die Kraft, und dann waren sie es, die mir das Bade­wasser einließen«, sagt König.

Ganze sechs Monate blieb sie krankgeschrieben. Die Therapie übernahm ihre Kasse. Dafür musste sie regel­mäßig zu Gesprächen in die Haupt­stelle gehen und eine Beraterin rief immer mal wieder an und versuchte, sie zum Arbeiten zu motivieren. Stine aber brauchte ihre Zeit, um wieder ganz sie selbst zu werden. Danach ging sie zu ihrem Arbeitgeber zurück und bat um die Versetzung in ein anderes Haus. Zudem gab sie ihre leitende Po­sition auf. »Inzwischen war mir klar gewor­den, dass kein Geld der Welt diese Verantwortung und hohe Über­stunden­zahl Wert ist«, erzählt sie.

Nach Plan B kam Plan C

Ihr neuer Plan ging etwa sechs Wochen lang gut, dann gab es einen Notfall bei einer älteren Heimbewohnerin, und König fand sich erneut von einer Panik­attacke überwältigt. »Starr vor Angst stand ich da und war unfähig, der alten Dame in irgendeiner Weise zu helfen. Ab da war mir klar, dass meine Be­rufung zur Altenpflege vorbei war«, erinnert sie sich. Und machte nach dieser Erkenntnis einen Termin beim Arbeitsamt aus, in der Hoffnung, dort Be­ratung zu finden.

»Ich wollte wissen, was ich außer Altenpflege mit meiner Ausbildung und meinen zusätzlichen Qualifikationen machen könnte.« Doch noch heute sieht König den ungläubigen Blick der Beraterin vor sich. »Wie? Sie haben doch einen festen Job?!«, sagte diese. Und: »Ich verstehe nicht, was Sie wollen? Sie sind in einer un­befristeten Anstellung und können doch auch in eine leitende Funktion?«. Um es kurz zu machen: Sie konnte oder wollte Königs Situation nicht ver­stehen.

Doch dann kam der Zufall zu Hilfe: ein Freund erzählte ihr von einer offenen Stelle in einer Behinderten­einrichtung. Hier konnte sie fünf Jahre lang in einer Hausgemeinschaft für Menschen mit Behinderung als Pflegefachkraft arbeiten, wobei der Haupt­­teil in der pädagogischen Arbeit lag. Mehr und mehr festigte sich ihre berufliche Situation und damit auch ihre persön­liche. »Ich lernte meinen heutigen Ehemann kennen, 2012 heirateten wir und bekamen einen Sohn.«

Mit der Geburt ihres Sohnes verspürte sie eine neue Stärke, und in ihr wuchs die Sehnsucht, zu ihren beruf­lichen Wurzeln zurückzukehren. »In den ersten Monaten nach der Elternzeit habe ich mich gewehrt, wieder in eine Leitungsfunktion zu gehen, dann aber doch zugestimmt.«

Heute versucht König, die Freizeit mit ihrer Familie zu genießen, aber auch etwas für sich allein zu tun. »Auch wenn ich durch meine Therapie sehr selbstreflektiert bin, falle ich doch hin und wieder in mein altes starkes Pflichtgefühl hinein, das eigent­lich nur Nahrung für ein Burn-out ist. Dann muss ich mich daran erinnern, dass ich wieder die starke Superfrau spiele, die ihre Bedürfnisse und Gefühle beiseiteschiebt, nur, um für andere da zu sein.«

Zum Glück hat König einen Mann, der so oft wie möglich versucht, ihr Freiräume zu schaffen, damit sie Zeit für sich selbst hat. Dann näht und werkelt sie vor sich hin oder legt einfach nur die Beine hoch. »Oder ich fahre mit meiner Vespa durch die Gegend, füttere die Möwen am Hamburger Hafen und lasse mir den Wind um die Nase wehen. In solchen Momenten bin ich glücklich und kehre gestärkt und voller Energie zu meiner Familie und meinem Beruf zurück – bereit für den nächsten Schritt.« /