PTA-Forum online
Selbstmedikation

Rauchfreier Start ins neue Jahr

09.01.2018  09:54 Uhr

Von Ulrike Viegener / »Mit dem Rauchen aufhören« steht auf der Liste guter Vorsätze für jedes neue Jahr ganz weit oben. Deshalb ist in den ersten Wochen 2018 in der Apotheke vermehrt mit Nachfragen nach Unterstützung beim Rauchverzicht zu rechnen. Nikotinersatzpräparate helfen beim Ausstieg, das große Problem ist und bleibt das Rückfallrisiko.

Jede einzelne Zigarette verkürzt das Leben­ um fünf Minuten, so dass Langzeitraucher damit rechnen müssen, dass sich ihre Lebenserwartung im Schnitt um 15 bis 20 Jahre verringert, betont Suchtexperte Professor Dr. Stephan Mühlig, Technische Universität Chemnitz. Die meisten Raucher wissen, dass sie ihrer Gesundheit großen Schaden zufügen – und hören trotzdem nicht mit dem Rauchen auf. Manche wollen es gar nicht, doch viele wollen es und schaffen es nicht. Das betrifft auch Menschen, die bereits infolge des Rauchens schwer erkrankt sind.

Rauchen ist eine schwer zu durchbrechende Sucht. Was gemeinhin unter­schätzt wird: Nikotin besitzt ein höheres Abhängigkeitspotenzial als Alkohol, Opiate, Kokain, Stimulanzien, Sedativa, Halluzinogene und Cannabis. Das hat das Forschungsprojekt »Analytical Epidemiology of Substance Abuse« ergeben. Danach birgt Nikotin das größte Risiko, abhängig zu werden, und gleichzeitig sind die Chancen, sich aus dieser Abhängigkeit wieder zu befreien, vergleichsweise am schlechtesten.

Dabei ist zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit zu unterscheiden. Die physische Abhängigkeit ist charakterisiert durch Toleranzentwicklung gegenüber der Droge und körperlichen Entzugssymptomen bei deren­ Absetzen. Die psychische Ab­hängigkeit äußert sich in zwanghaftem, mit Kon­trollverlust verbundenem Verlangen nach der Droge, die Lustgefühle verschafft, beziehungsweise Unlust­gefühle vermeiden hilft. Das Ausmaß der Abhängigkeit wird nicht etwa durch die konsumierte Drogenmenge bestimmt. Entscheidend ist vielmehr, wie stark der Betroffene die Droge benutzt, um das Fehlen adäquater psychischer Strategien zu kompensieren. Mit anderen Worten: Jemand, der weniger als ein Päckchen Zigaretten am Tag raucht, kann größere Probleme haben aufzu­hören, als jemand, dessen tägliches Pensum deutlich höher liegt.

Einfache Belohnung

Sucht funktioniert immer nach demselben Prinzip: Der Suchtstoff – in diesem Fall Nikotin – aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn und führt zur Ausschüttung von Dopamin, was mit Wohlgefühlen verbunden ist. Dieser Kick treibt den Drogenkonsumenten in die Abhängigkeit. Er will mehr davon – sein Körper allerdings will dies nicht: Um die drogeninduzierte Überflutung mit Dopamin auszugleichen, fährt er die körpereigene Dopaminproduktion herunter. Außerdem produziert der Körper Hemmstoffe, welche die Dopamin­wirkung abschwächen. Die Dopamin­rezeptoren, deren Anzahl steigt, be­finden sich jetzt in einer Art Hunger­zustand. Die Folge: Das körperliche Verlangen nach der Droge nimmt zu. Wird dem Körper die Droge ent­zogen, äußert sich das in Entzugserscheinungen. Charakteristische Symptome des Nikotinentzugs sind dysphorische Stimmung bis hin zur Depression, Schlaflosigkeit, Unruhe, Konzentra­tionsstörungen, Reizbarkeit, Angst­zustände, verminderte Herzfrequenz sowie Heißhunger und Gewichts­zunahme. Entzugserscheinungen setzen innerhalb von 24 Stunden ein, er­reichen ihren Höhepunkt in der ersten Woche und sind gegen Abend in der Regel am stärksten ausgeprägt. In den folgenden drei bis vier Wochen klingen die Entzugssymptome weitgehend ab. Die Veränderungen im Bereich des Dopamin­systems, die der körperlichen Abhängigkeit zugrunde liegen, sind also in relativ kurzer Zeit reversibel.

Wie kommt es dann aber, dass Raucher langfristig rückfallgefährdet sind? Bei Nikotinsüchtigen führt allein schon der Anblick oder das Foto einer Zigarette zu heftigen Akti­vitäten im Nucleus accumbens, wo Dopamin seine eupho­risierende Wirkung entfaltet. Gleichzeitig reagieren der Mandelkern sowie einige Bereiche der Großhirnrinde. Der Gedanke an die Droge oder eine schlechte Stimmungslage sind ebenfalls geeignet, diese Reaktionen auszulösen, die mit einem starken Verlangen nach der Droge einhergehen. Dieses Phänomen bleibt noch Jahre bis Jahrzehnte nach erfolg­reichem Drogenentzug bestehen.

Nicht alle Dopamin­rezeptoren, deren Zahl sich im Zuge der Drogensucht erhöht, werden nach dem Entzug wieder ab­gebaut, wie man inzwischen herausgefunden hat.

Schlafende Rezeptoren und Suchtgedächtnis

Ein Teil dieser Andockstellen wird nur in einen Schlafzustand versetzt. Jederzeit können sie wieder reaktiviert werden, und deshalb sind Betroffene auch nach mehrjähriger Abstinenz gegenüber der Droge nicht wirklich immun. Das psychologische Stichwort heißt Konditionierung: Für Raucher ist und bleibt die Zigarette mit positiven Gefühlen verbunden. Es hat sich ein sogenanntes Suchtgedächtnis herausgebildet.

Diese komplexen Zusammenhänge machen klar, warum es so schwierig ist, auf Dauer mit dem Rauchen aufzuhören. Nikotinersatzpräparate können helfen, den Entzug erfolgreich zu überstehen. Um langfristig auf der sicheren Seite zu sein, müsste es allerdings gelingen, das Suchtgedächtnis zu löschen, aber es ist fraglich, ob dies überhaupt möglich ist. Derzeit fährt die Verhaltenstherapie bei der Suchtentwöhnung mehrgleisig: Therapeuten versuchen einerseits, die Anfällig­keit gegenüber möglichen Auslösereizen zu verringern und andererseits die Fähigkeit zu stärken, der Sucht mit aktiven Kontrollmechanismen die Stirn zu bieten. Dabei wird der angestrebte Umgang mit der Droge regelrecht trainiert, in der Hoffnung, dass sich das neu erlernte Verhalten in Zukunft gegen­über eingefleischten Mustern als stärker erweisen wird. Langzeiterfolgsquoten um 30 Prozent gelten als gut.

Nikotinersatztherapie

Fragt ein Kunde nach Nikotinersatzpräparaten, sollten PTA immer dazu beraten, was diese Präparate leisten können und was nicht. Aufhörwillige sollten über den Suchtcharakter des Rauchens und ihre Langzeitanfälligkeit für den Glimmstängel unbedingt Bescheid wissen. Vielleicht geben Sie ihnen Adressen von »suchterfahrenen« Ärzten in Wohnortnähe mit auf den Weg, und auch Links zu seriösen Raucherentwöhnungsprogrammen sind eine gute Hilfe. Mit rein sachlicher In­formation über die Gesundheitsrisiken ist dem Rauchen nicht beizukommen, daran gibt es heute keinen Zweifel mehr.

Dass die Nikotinersatztherapie die Erfolgsquote der Raucherentwöhnung kurzfristig erhöht, ist durch wissenschaftliche Studien belegt. Mit diesen Präparaten schaffen es laut Studien 16 bis 18 von 100 Aufhörwilligen (im Vergleich zu 10 von 100 ohne). Die Langzeitergebnisse bleiben aber bescheiden. Die Rückfallquoten liegen ähnlich hoch wie ohne Nikotin­ersatztherapie.

Nikotinersatzpräparate setzen den Suchtstoff in geringer Dosis frei und vermeiden so einen radikalen Entzug von jetzt auf gleich. Sie dienen vor allem dazu, Entzugserscheinungen zu mildern. Nach relativ kurzer Zeit schaltet der Körper um, und im Dopaminsystem kehrt wieder Normalität ein. Die Nikotin­ersatz­therapie wird in der Regel über drei Monate hinweg durchgeführt, um die Zeit bis dahin zu überbrücken. Mit Blick auf die Langzeitergebnisse empfehlen Suchtexperten die Kombination der Nikotinersatztherapie mit einem verhaltenstherapeutischen Programm. Raucher, die mit guten Vorsätzen in die Apotheke kommen, sollten entsprechend beraten werden.

Pflaster oder Kaugummi?

Rezeptfreie Nikotinersatzpräparate ste­hen­ in verschiedenen Darreichungs­formen und Wirkstärken zur Verfügung: als Kaugummi, Lutsch- beziehungsweise Sublingualtabletten und Pflaster. Sie enthalten Nikotin in niedriger Dosis, so dass der Kick einer Dopaminüberschwemmung unterbleibt. Im Hinblick auf die Suchtproblematik erschei­nen Nikotinpflaster am besten geeignet, da sie den Wirkstoff kontinuierlich über mehrere Stunden freisetzen. Die Wirkdauer liegt zwischen 16 und 24 Stunden, wobei mit einem Wirkeintritt 30 bis 60 Minuten nach Aufkleben des Pflasters zu rechnen ist. Nikotinpflaster sind empfehlenswert bei mittelstarker bis starker Abhängigkeit und einem relativ hohen Konsum von mehr als 15 Zigaretten, die über den ganzen Tag verteilt geraucht werden.

Kaugummis dagegen eignen sich eher bei geringer Abhängigkeit und einem­ Konsum von weniger als 15 Zigaretten pro Tag. Vor allem Menschen, die in bestimmten Situationen zur Ziga­rette greifen und dann den schnellen Kick erwarten, profitieren von der raschen Nikotinanflutung über die Mundschleimhaut. Die Kaugummis sollten langsam und vorsichtig gekaut werden, bis der Nikotineffekt spürbar wird. Anschlie­ßend parkt man sie am besten vorübergehend in der Backentasche. So lassen sich die besten Effekte erzielen und Reizungen der Mundschleimhaut vermeiden. Die Anwendung sollte zwölf Wochen nicht überschreiten, wobei empfohlen wird, nach sechs bis acht Wochen die tägliche Kaugummizahl allmählich zu reduzieren.

Ähnlich schnell – nämlich innerhalb von 15 bis 30 Minuten – entfalten Lutsch- und Sublingualtabletten ihre Wirksamkeit, die ebenfalls eher bei unregel­mäßigen Rauchgewohnheiten zum Einsatz kommen. Auch bei der Inhalation von Nikotin aus entsprechenden Applikatoren gelangt der Wirkstoff nicht etwa über die Lunge, sondern über die Mundschleimhaut ins Blut. Bei sehr starken Rauchern mit ausge­prägter Abhängig­keit ist es eventuell sinnvoll, Nikotinpflaster mit schnell freisetzenden Präparaten zu kombinieren.

Säurehaltige Getränke behindern die Nikotinfreisetzung und sollen deshalb mit zeitlichem Abstand zu Ersatzpräparaten angewendet werden. Das Risiko, von Nikotinersatzpräparaten abhängig zu werden, gilt als gering. Bei Herzleiden sind diese Präparate nicht erlaubt.

Rezeptpflichtige Alternativen sind Bupropion und Vareniclin. Die Ent­deckung, dass Bupropion – ursprünglich als Antidepressivum entwickelt – die Rauchabstinenz erleichtern kann, war ein Zufallsfund. Bupropion steigert die Dopaminkonzentration im Gehirn und imitiert so die Wirkung von Nikotin, ohne an die Nikotinrezeptoren zu binden. Vareniclin dagegen ist ein partieller Nikotin-Rezeptorantagonist. Durch Rezeptorblockade verhindert diese Substanz, dass Nikotin seine Wirkung im Beloh­nungszentrum ent­falten kann. /