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Zytostatika

Pannen bei der Infusion

22.02.2007  08:43 Uhr

Zytostatika

Pannen bei der Infusion

von Gudrun Heyn, Berlin

Der Umgang mit Chemotherapeutika erfordert besondere Sorgfalt. Dennoch lassen sich Missgeschicke und Unfälle nie ganz ausschließen, zum Beispiel wenn die Arzneistoffe bei einer Infusion statt in die Vene ins umliegende Gewebe strömen. Wie das Risikopotenzial der modernen Krebsmittel bezüglich der Hautverträglichkeit einzuschätzen ist, erläuterte Apotheker Tilmann Schöning auf dem 5. PTA-Kongress im Rahmen des 15. Norddeutschen-Zytostatika-Workshops (NZW) in Hamburg.

Monoklonale Antikörper, Antimetaboliten und Enzyminhibitoren spielen in der Behandlung bösartiger Tumore und rheumatischer Erkrankungen eine immer wichtigere Rolle. »Im Umgang mit diesen Substanzen sollte jeder wissen, was zu tun ist, wenn einmal ein Missgeschick oder Unglück passiert«, forderte Schöning, Fachapotheker für klinische Pharmazie und verantwortlich für die zentrale Zytostatika-Zubereitung in der Apotheke des Universitätsklinikums Heidelberg.

Im Klinikalltag könne es vorkommen, dass bei einer Chemotherapie Arzneistofflösung während der Injektion oder Infusion versehentlich nicht in das Blutgefäß, sondern ins Gewebe sickert oder über die Haut läuft. Das bezeichnen Fachleute als Paravasat. Dies geschieht beispielsweise bei unsachgemäß gelegten Venenkathetern. Aber auch wenn ein Katheter herausrutscht, weil sich der Patient bewegt, gelangt Infusionslösung in das umliegende Gewebe. Je nach Arzneisubstanz entstehen dadurch schwere Schäden. Erste Symptome können sein: Schmerzen, Stechen, Brennen und Rötung der Haut am venösen Zugang und Verhärtung des Gewebes. Für die Patienten bedeutet ein Paravasat immer eine Unterbrechung der Chemotherapie, was der Tumorerkrankung wieder Vorschub leisten kann.

Derzeit fehlen sowohl Leitlinien als auch langjährige Erfahrungen im Umgang mit den neueren Chemotherapeutika. Deshalb fiele es oft schwer, das Risikopotenzial eines Zytostatikums abzuschätzen, wenn es in Gewebe fließt, stellte Schöning fest. Häufig müssten Arzt oder Apotheker daher anhand der chemischen Struktur einer Substanz beurteilen, ob sie die Haut schädigen könnte.

Risiko durch Hilfsstoffe

Aus Berichten ist bekannt, dass die Hautverträglichkeit eines Produktes auch von dessen Zusammensetzung mitbestimmt wird. So reagierten beispielsweise manche Patienten überempfindlich auf den für die Arzneistoffe Docetaxel und Paclitaxel verwendeten Lösungsvermittler. Bei Azathioprin führe allein der sehr hohe pH-Wert der Lösung schon zu starken Reizungen. Ebenso sei die Konzentration eines Stoffes manchmal entscheidend für seine Hautverträglichkeit. Hierfür nannte der Apotheker das Cisplatin als Beispiel: Liegt seine Konzentration über 0,4 mg/ml, werden Zellen dauerhaft zerstört (Nekrose), wenn die Lösung ins Gewebe gelangt.

Außerdem hängt es von der Reaktionsfreudigkeit eines Arzneimittels ab, wie groß sein Gefahrenpotenzial für die Haut ist. Das Risiko steigt, wenn besonders toxische Metaboliten aus dem Arzneistoff entstehen. Dies ist beispielsweise bei den Anthrazyklinen der Fall. Im Gewebe bilden sie reaktive, radikalische Zwischenprodukte, die die DNA schädigen. Doch dabei bleibt es nicht: Beim Untergang der Zelle werden die Radikale frei, so dass der Prozess im umliegenden Gewebe fortschreitet.

Geringe Gefährdung

Das Risiko für Hautschäden sei bei dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab (Avastin®) recht gering, informierte Schöning. Die Substanz bindet nicht an Zielstrukturen der Krebszelle, sondern an den Wachstumsfaktor VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), der von dem Tumor produziert wird.

Ebenfalls als unkritisch stufte der Apotheker den Antimetaboliten Pemetrexed (Alimta®) ein. Der Wirkmechanismus sei vergleichbar mit Methotrexat (MTX). Im Gegensatz zu MTX hemmt Pemetrexed mehrere Schlüsselenzyme des Purinstoffwechsels und wirkt daher sehr stark auf sich schnell teilende Zellen. Hautschäden durch Pemetrexed gelten auch in der Rheumatherapie als unwahrscheinlich.

Zu den neueren Substanzen mit geringem Risikopotenzial gehöre außerdem der Enzymhemmer Bortezomib (Velcade®). Wegen der relativ hohen Stabilität des Wirkstoffs seien größere Hautschäden nicht zu erwarten, so Schöning. Bortezomib entfalte seine Wirkung innerhalb der Zelle, indem er reversibel einen Enzymkomplex, das so genannte Proteasom hemmt. Ohne die Arbeit dieser Enzyme stirbt die Zelle, das heißt der Arzneistoff schickt die Zelle in den programmierten Zelltod, die Apoptose. Unerwünschte Nebenwirkungen, die die Haut betreffen wie Ausschlag, Juckreiz und Hautrötungen (Erytheme), seien selten. »Zu Paravasationen gibt es bislang nur wenige Fallberichte, bei denen aber keine bemerkenswerten Schädigungen aufgetreten sind«, informierte der Apotheker.

Zu den neueren Substanzen mit einem Gefährdungspotenzial gehören monoklonale Antikörper wie Rituximab (Mylotarg®) oder Gemtuzumab ozogamicin (MabThera®). Rituximab richtet sich gegen ein bestimmtes Protein auf der Oberfläche entarteter Krebszellen (B-Lymphozyten). Die Substanz besteht aus Peptidketten, die sich aus menschlichen Proteinen und aus Mausproteinen zusammensetzen. Daher kann es während der Therapie zu Immunreaktionen gegen die fremden Eiweiße kommen. Nach Angaben der Herstellerfirma wurden bisher jedoch noch keine relevanten Hypersensitivitätsreaktionen durch Paravasate beobachtet.

Während Rituximab ein chimärer Antikörper aus menschlichen und Maus-Proteinen ist, besitzt der humanisierte Antikörper Gemtuzumab nur noch einen sehr geringen Anteil an fremden Proteinen. Eine Immunreaktion ist daher kaum zu erwarten. Dennoch wird Gemtuzumab ozogamicin als potenziell hautschädigend eingeschätzt. Der Wirkstoff gehört zur Klasse der toxingekoppelten Antikörper. Der humanisierte Antikörper dient als Fähre, die das zytotoxisch wirksame Ozogamicin gezielt zu entarteten Leukämiezellen transportiert. Gelangt Gemtuzumab in das Blut, löst sich nur wenig Substanz. Da die Bindung zwischen Antikörper und Toxin im sauren Bereich einer Zelle nicht besonders stabil sei, müsse jedoch in der Haut mit größeren Schäden gerechnet werden, vermutete Schöning. Erfahrungsberichte gibt es dazu bislang noch nicht.«

Potenzielle Hautschäden

Als hautgefährlich eingestuft wird auch 90Y-Ibritumomab tiuxetan, das vor allem in der Nuklearmedizin eingesetzt wird. Der Antikörper Ibritumomab transportiert den Betastrahler Yttrium-90 spezifisch zu den Krebszellen der Non-Hodgkin-Lymphom-Erkrankten. Die radioaktive Substanz zerstört durch ihre Strahlung die Tumorzellen. Die Halbwertszeit des Strahlers Yttrium beträgt 92 Stunden, seine Reichweite etwa fünf Millimeter. Daher können bei einem Paravasat größere Hautschäden auftreten.

Aus Fallberichten ist bekannt, dass die Größe der entstehenden Wunde im Wesentlichen von der ausgetretenen Flüssigkeitsmenge abhängt. Zur Behandlung des entstandenen Hautschadens gibt es derzeit noch keinen Standard. In der Regel wird das abgestorbene Hautmaterial abgetragen und die Wunde anschließend mit Kolloidpflaster versorgt. Außerdem benötigen die betroffenen Patienten unbedingt eine Schmerztherapie.

Schnelles Handeln gefragt

Tritt ein Paravasat während einer Infusion auf, muss so schnell wie möglich versucht werden, über den liegenden Zugang etwas von dem Chemotherapeutikum wieder zurückzusaugen. Als Allgemeinmaßnahme nannte der Apotheker, das Paravasatgebiet viermal täglich für kurze Zeit zu kühlen. Durch die Kälte zieht sich das Gewebe zusammen, und das Zytostatikum kann sich nicht weiter über die Blutgefäße verbreiten. Dabei sei es sehr wichtig, trocken zu kühlen, denn feuchte Kältekompressen weichten das betroffene Areal noch weiter auf. Dadurch werde möglicherweise noch mehr Gewebe zerstört.

Kommt es bei der Therapie mit Vinca-Alkaloiden zu einem Paravasat, darf das Gebiet auf keinen Fall gekühlt werden. Die Substanzen seien zu aggressiv, informierte Schöning. »Hier setzt man eher darauf, dass die Substanz schnell über die Blutgefäße abtransportiert wird.«
Werden Substanzen versehentlich im Zimmer des Kranken verschüttet, dürfen sich nur ausgebildete Fachkräfte an der Reinigung beteiligen, nachdem sie Schutzkleidung angezogen haben. Sollten durch ein Missgeschick Chemotherapeutika außerhalb der Sicherheitsräume der Krankenhausapotheke verschüttet werden, sollten eine PTA oder ein Apotheker – ebenfalls in Schutzkleidung – in aller Ruhe das Gebiet absperren und andere Mitarbeiter bitten, den Raum zu verlassen. Viele Zytostatika und monoklonale Antikörper ließen sich durch einen alkalischen Seifenreiniger deaktivieren, so Schöning.

 

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
gheyn(at)gmx.de