Wickeln will gelernt sein |
21.02.2007 10:44 Uhr |
Wickeln will gelernt sein
von Charlotte Engl, Ravensburg
Die Therapie mit Wickeln und Umschlägen hat eine lange Tradition. Dennoch ist die Kenntnis, bei welchen Erkrankungen Wickel helfen, oft in Vergessenheit geraten. Auch die Technik, Umschläge richtig anzulegen, beherrschen nur noch wenige Menschen. Aus diesem Grund hatte PTA Martina Pfister zu zwei Fortbildungsabenden mit dem Titel »Wickel-Workshop«in Ravensburg und Dornstadt bei Ulm eingeladen.
Die Haut ist die größte Grenzfläche zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, erläuterte der Referent Markus Seibert von der Firma Retterspitz und führte den interessierten PTAs auch das Anlegen von Wickeln vor. Umschläge als Therapiemaßnahme seien nicht veraltet, sondern wirksam und verursachten keine Nebenwirkungen.
Retterspitz ist das zweitälteste Mittel in der Apotheke. Margarete Retterspitz geb. Riegel (1851 bis 1905) übernahm das Retterspitz-Rezept von ihrem ersten Mann, Georg Weber, der früh verstarb. Dieser hatte wiederum vermutlich von einem bis heute unbekannten Apotheker die Rezeptur des Heilwassers erhalten. In zweiter Ehe verheiratet mit Friedrich Retterspitz fertigte das Ehepaar ab 1895 das Heilwasser in Würzburg und verkaufte es in mehr als 60 Apotheken. 1902 erwarb Apotheker Hans Scheck die Rezeptur von Margarete Retterspitz nach einem erfolgreichen Selbstversuch: Das Mittel hatte sein Magenleiden kuriert. Ab 1920 ergänzt »Retterspitz innerlich« die äußerliche Variante.
Retterspitz ist ein Komplexmittel aus Thymol, Rosmarinöl, Zitronensäure, Weinsäure, Alumen und Arnikatinktur. Desweiteren enthält die Rezeptur noch andere ätherische Öle und denaturiertes Hühnerei als Hilfsstoffe. Der pH-Wert des Präparats ist auf 2,3 eingestellt, und die trüb-milchige Lösung wird entweder unverdünnt oder bis 1:1 verdünnt angewendet.
Pflanzliches Antiseptikum
Thymol, der Hauptinhaltsstoff des Thymiankrauts, mache Retterpitz zu etwas besonderem, so Seibert. Aufgrund seiner Wirkungen bezeichnete der Referent Thymol als pflanzliches Antiseptikum und »Breitbandantibiotikum«. Thymol hat einen hohen Phenol-Koeffizienten von etwa 30. Dieser Koeffizient gilt als Maßstab für die bakterizide Wirkung und gibt an, wie viel mal stärker wirksam die Substanz ist im Vergleich zu Phenol, das heißt Thymol ist etwa 30-mal stärker wirksam als Phenol. Thymol wirke bakterizid, fungizid, analgetisch, als Radikalfänger und stark entzündungshemmend, informierte der Referent. Studien belegten unter anderem, dass die Ausschüttung von Prostaglandinen und Leukotrienen gehemmt wird. Neben den Inhaltsstoffen spiele die Anwendungsform eine wichtige Rolle. Die Anwendung mit Hilfe von Textilien und die Handhabung ist als Retterspitz-Naturheilverfahren bekannt.
Wickel aus mehreren Lagen
Ein Wickel besteht aus mindestens zwei Lagen. Es dürfen aber durchaus mehr sein, beispielsweise wenn der Anwender den Wickel nach zehn Minuten nicht selbst wieder erwärmen kann, er stark fröstelt oder sein Kreislauf schwach ist. Die unterste Lage getränkt mit dem Retterspitz-Gemisch sollte aus Leinen sein. Sie wird so durchnässt, dass sie nicht mehr tropft, und dann ausgewrungen. Das sei fast das Wichtigste, denn sonst kühle sie zu stark. Über diese erste Lage folgt Molton zum Fixieren und Isolieren. »Bitte darauf achten, dass der Innenwickel nicht mehr zu sehen ist«, mahnte Seibert. »Dann kann die Außenlage ihre Wärmefunktion gut erfüllen.«
Der Wickel sollte faltenfrei auf der Haut liegen und etwa zwei Stunden einwirken. Auf eine kurze Kältephase folgt der Umkehrpunkt, und die »Wohlfühlphase« beginnt. Dann reagiert der Körper mit gesteigerter Durchblutung, die Hauttemperatur steigt an und die Extraktstoffe aus dem Wickel werden freigesetzt. So entstehe die typische »Retterspitz-Dunstatmosphäre«.
Bis der Wickel komplett getrocknet ist, stellt sich immer wieder erneut ein Gleichgewicht aus Kühlung, Durchblutung und Verdunstung ein. Diese Phase empfindet der Behandelte als sehr angenehm, da die gewickelte Region gut durchblutet ist.
Hilfreich bei Schwellung und Schmerz
An zwei PTAs demonstrierte Seibert die Wickeltechnik. Er umwickelte einen entzündeten Insektenstich und behandelte Schmerzen am Ellenbogen. Beide »Probandinnen« konnten erfolgreich nachvollziehen, dass sich ein Wickel für die Kardinalssymptome Hitze, Schmerz, Schwellung und Rötung optimal eignet und beschrieben nach der Anwendung am Ende des Workshops eine deutliche bis vollständige Linderung der Beschwerden.
Retterspitz sei ideal bei Traumen, Ödemen, Hämatomen, Ekzemen, Akne und Milchstau-Mastitis, so Seibert. Damit stehe ihm in der Hausapotheke ein fester Platz zu. Doch auch im Leistungssport, bei den Spielern der ersten Fußball-Bundesliga oder bei der Wildwasser-Nationalmannschaft werde Retterspitz zum Wohl der Sportler angewendet, ebenso in Reha-Kliniken und Kliniken, beispielsweise zur postoperativen Wundversorgung an Stelle von Rivanol. Überall dort werden Schwellungen und Beschwerden des Bewegungsapparates mit Retterspitz behandelt.
Am Ende des Workshops waren sich die anwesenden PTAs einig: Martina Pfister hatte wieder einmal ein interessantes Thema gefunden. Die überraschend große Zahl der Teilnehmerinnen bewies das Interesse an einer guten Beratung, auch in punkto »alte Hausmittel«.
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