PTA-Forum online
Antaphrodisiaka

Fragwürdige Mittel gegen Liebeslust

21.01.2011  14:40 Uhr

Von Ernst-Albert Meyer / Mit zahlreichen Heilpflanzen hofften die Menschen früher, Libido und Potenz dämpfen zu können. Pflanzliche Antaphrodisiaka haben eine lange Tradition, aber nach heutigen Untersuchungen nicht die erwünschte Wirkung. Die modernen Androgenrezeptor-Antagonisten sind theoretisch die Nachfolger dieser traditionsreichen Keuschheitsmittel.

Nicht nur im Mittelalter standen die Kirchenväter dem Sex äußerst feindlich gegenüber. Kleriker müssen aufgrund ihres Gelübdes lebenslang auf Sex verzichten und sprachen daher für die Gläubigen zahlreiche Verbote aus. Wie schwer den Menschen die sexuelle Enthaltsamkeit schon damals fiel, lässt sich aus kirchlichen Schriften entnehmen. Die Autoren schildern wiederholt ihren inneren Kampf gegen »Fleischeslust und unzüchtige Begierde, sündliche Werke und heimliche Buhlerei«. Viele Mönche und Nonnen sahen ihre Schwierigkeiten, tugendhaft zu bleiben, als Zeichen eines Kampfes, den Christus und der Teufel um ihre Seele führten. Um ihr sexuelles Verlangen abzutöten, arbeiteten sie bis zur Erschöpfung, geißelten sich, schliefen auf hartem Lager und suchten Kraft in Gebeten. Eine große Hilfe versprachen sich die Menschen damals von den sogenannten Antaphrodisiaka, Pflanzen, die den Ruf hatten, den Geschlechtstrieb zu dämpfen.

Die Popularität der pflanzlichen Keusch­heits­mittel belegt auch die Tatsache, dass sie in bekannten Kräuterbüchern, beispielsweise von Hieronymus Bock (1498 von 1554) und Pietro Andrea Mattioli (1500 von 1577) ausführlich beschrieben werden. So empfiehlt Bock diese Pflanzen »allen closter- und ordensleuth, welche keusch sein wöllen und reynlichkeit zu halten vermessentlich geloben, stets in ihrer speiß und trank brauchen«. Dass damals viele Mönche und Nonnen ihrer Fleischeslust ungehemmt frönten und damit dringend der Antaphrodisiaka bedurften, war allgemein bekannt und ist durch Berichte von Kirchenvertretern belegt. So schreibt der Probst Gerloh von Reischertsberg (1093 bis 1164): »Die Scham verbietet es zu sagen, was sie (die Mönche und Nonnen) sich im Geheimen erlauben; arg genug ist, was offen am Tag ist.«

Es leuchtet ein, dass die Kirchenvertreter der »Fleischeslust« außerhalb der Ehe ablehnend gegenüber standen, hatten sie doch selbst Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit gelobt. Deshalb wachte besonders im Mittelalter die Kirche streng über das Sexualleben der Menschen.

Die Frau als »Waffe« des Teufels

Vor allem die Frauen galten als »unrein« und gegenüber den Versuchungen des Teufels als besonders anfällig. In den Augen der Kirchenväter benutzten die Frauen den Sex als »heimtückische Waffe«, um Männer in Versuchung zu führen und sie vom rechten Weg abzubringen. Der Geschlechtsakt, so verkündeten sie, führe die Menschen von Gott weg. Nur Sex für Ehepaare fand die Zustimmung der Kirche, denn die Ehe war als Sakrament abgesegnet und somit gottgefällig.

Außerehelicher Verkehr wurde somit zur Sünde erklärt und der eheliche sollte ausschließlich der Fortpflanzung dienen, nicht aber die »Wollust« befriedigen. Mönche und Nonnen waren dem Keuschheitsgelübde verpflichtet und für die weltliche Geistlichkeit galt das Zölibat. Die Frauen mussten selbstverständlich »unberührt« in die Ehe eintreten. Aber auch die Ehepaare hatten es schwer: An bestimmten Feiertagen, vor der Beichte, während der Fastenzeit und 20 Tage vor Weihnachten war sogar den Verheirateten der Sex untersagt. So kamen im Jahr rund 5 Monate der Enthaltsamkeit zusammen. Außerdem durften Geschiedene keine zweite Ehe eingehen. Leibeigene benötigten die Erlaubnis ihres Herrn zur Eheschließung. Viele Ungebundene und Selbstständige konnten nicht heiraten, weil ihnen die materielle Basis fehlte. Nach vorsichtigen Schätzungen durfte rund ein Drittel der Frauen und Männer in früheren Zeiten ihren sexuellen Bedürfnissen nicht nachgeben. Die Kirche achtete konsequent auf die Einhaltung ihrer »Keuschheits-Regeln« und bestrafte streng alle Verstöße, wie die mittelalterlichen Bußbücher verraten.

Weiß wie die Unschuld

Noch heute heiraten die meisten Frauen in einem weißen Brautkleid. Manche werden dessen Symbolcharakter nicht mehr kennen. Denn die weiße Farbe symbolisierte allen, dass die Braut als Jungfrau die Ehe einging. Die Farbe »weiß« als Symbol der weiblichen Unschuld leitet sich von der See- oder Teichrose (Nymphea alba), auch Seejungfer genannt, ab. Ihre weißen Blüten galten immer schon als Symbol der Reinheit und Keuschheit. Diese Eigenschaften wurden auch durch die Signaturenlehre begründet und machten die Seerose zu einem begehrten Antaphrodisiakum.

Schon in der Antike galt Nymphea alba als »Keuschheits­mittel«. So schreibt Plinius (23/24 bis 79), der Autor der »Naturalis historia«, dass bei Einnahme der Blüten und Samen als »Medizin« zwölf Nächte lang keine wollüstigen Träume aufkommen würden. Diese Wirkung bestätigt auch fast zeitgleich der griechische Arzt Dioscurides: »Die Wurzel ist auch gut, getruncken, wider die unkeuschen Träume, denn sie schafft sie gänzlich ab; bringt aber, etliche Tag davon getruncken, den Menschen von seiner Männlichkeit.«

Vor allem Mönche und Nonnen sollten regelmäßig die Samen und Wurzeln der Seerose verzehren, um ihren Geschlechtstrieb zu dämpfen. Damals waren die Menschen davon überzeugt, dass die Seerose in der Lage ist, »die sexuellen Gelüste, die in jedem Menschen lebendig sind, völlig auszulöschen.«

Wie fest die Seerose als Antaphrodisiakum im Volksglauben bis heute verankert ist, belegt der noch in Frankreich gebräuchliche Spruch über einen sexuell nicht besonders aktiven Menschen: »Il a bu de l’eau de volet!« (Er hat Seerosenwasser getrunken). Obwohl als Antaphrodisiakum berühmt, ist die Seerose pharmakologisch völlig wirkungslos.

Eine herausragende Stellung unter den »Keuschheits-Pflanzen« nimmt der Mönchspfeffer (Vitex agnus castus) ein – auch Keuschlamm genannt. Mönchspfeffer ist ein bis 6 m hoch werdender, sommergrüner Strauch mit kleinen violetten, blauen, rosafarbenen oder weißen Blüten, die ährenartige Blütenstände bilden. Dieser ursprünglich im Mittelmeerraum bis Westasien beheimatete Strauch wurde damals in allen Klostergärten kultiviert. Mit den nach Pfeffer riechenden und schmeckenden Früchten würzte man kräftig in der Klosterküche, denn so schreibt Bock: »Er (der Mönchspfeffer) löscht aus des Fleisches Lust und Begierde«. Und Mattioli bemerkt: »Er nimmt die Begierde zum Venushandel und solches tut nicht allein der samen, sondern auch die blätter und blumen, nicht aber so man sie isset, sondern auch wenn man sie im Bett unterstreuet«. Nonnen bereiteten sich aus den Blättern einen Tee, mit dem sie die »heimlichen Orte« wuschen.

Heute werden aus den pfefferartigen Früchten Extrakte hergestellt, die sich als pflanzliche Arzneimittel (wie Agnolyt® Madaus, Agnucaston®, Mönchspfeffer- ratiopharm®, Sarai®) bei Zyklusstörungen, prämenstruellem Syndrom und Spannungsgefühlen in den Brüsten (Mastodynie) bewährt haben. Homöopathen setzen Agnus castus bei Patienten mit großer Angst und Verzweiflung, depressiver Stimmungslage, Menstruationsbeschwerden sowie gesteigerter, aber auch mangelnder Libido ein.

 

Gartenraute nur für Männer

In den Klöstern stellten die Mönche neben anderen alkoholischen Getränken auch den »Vinum rutae« aus Gartenraute (Ruta graveolens) her, den sie gegen die »Gliedsteifheit« tranken. Dafür benutzten sie die ganze duftende, graugrün gefärbte Staude mit den gelben Blüten. Tabernaemontanus (1522 bis 1590), Autor des »Neuw Kreuterbuchs«, berichtet von einer unterschied­lichen Wirkung der Gartenraute auf die beiden Geschlechter: »Rauten gegessen und getruncken dämpft und trücknet aus den natürlichen Samen und vertreibt die unmäßige Unkeuschheit; ist eine heilsame und gesunde Artzney vor die Geistlichkeit … den weibern aber mehrert sie die Lust zur Unkeuschheit, deretwegen die geistlichen Weibspersonen, Jungfrauen und Wittiben (Witwen) den Gebrauch der Rauten fliehen sollten.« Das Mittel Ruta setzen Homöopathen heute bei Verletzungen, Prellungen, Quetschungen, Zerrungen und rheumatischen Beschwerden ein.

Kampfer gegen die Begierde

Der aus dem Holz des Kampferbaumes (Cinnamomum camphora) gewonnene Kampfer wurde ebenfalls als Antaphrodisiakum empfohlen. Vor allem sein durchdringender Geruch sollte »unsittliche gelüste« vertreiben, »wenn man solchen am Halse trägt, um den Geruch davon stets zu empfinden.« Mattioli rät: »Kampfer benimmt die unkeuschen Gelüste, so man ihn mit Rautensaft auf das Gemächt streicht, auch so man dazu riecht.«

Heute wird Kampfer therapeutisch innerlich und äußerlich angewendet. Lokal appliziert wirkt er aufgrund seiner hyperämisierenden Eigenschaften hautreizend, durchblutungsfördernd und schmerzstillend. Als Kampferspiritus oder in Fertigpräparaten wie Camphodern® N Emulsion oder Pectocor® M Creme hat sich Kampfer bei rheumatischen Beschwerden, Myalgien, Neuralgien oder zur Massage bewährt. Innerlich tonisiert Kampfer bei Menschen mit hypotonen Zuständen den Kreislauf (Korovit Kreislauf-Kapseln®).

Fehlurteile über den Salat

Wer gern einen frischen Blattsalat (Kopfsalat, Gartenlattich, lat. Lactura sativa) isst, kommt kaum auf die Idee, damit sein Liebesleben negativ zu beeinflussen. Hingegen waren sich die Autoren alter Kräuterbücher einig: Kopfsalat (Lattich) dämpft die Libido und verringert die Zeugungskraft. So behauptet Bock: »dass Lattich stets als Kost gebraucht die Geilheit vertreibt.« Die Griechen und Römer waren auch schon dieser Meinung, wie Dioscurides bestätigt. Und dies, obwohl sie den Kopfsalat anbauten und ihn als Heilpflanze schätzten: So soll Kaiser Augustus durch eine Salat-Kur von seinem Leberleiden geheilt worden sein. Aber keine Angst, Salat-Freunde und Vegetarier! Der Kopfsalat gilt heute als gesunde Kost und beeinträchtigt nicht das Sexualleben.

Traditionsreich, aber wirkungslos

Die Liste der Pflanzen, die früher als Keuschheitsmittel Verwendung fanden, lässt sich beliebig fortsetzen: über Baldrian, Hopfen, Linsen, Sauerampfer und Dill bis hin zu rotem Fingerhut und Zaunrübe. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben allerdings, dass alle diese Mittel wirkungslos sind und den Namen Antaphrodisiaka nicht verdienen. Im Unterschied dazu heben die »modernen Antaphrodisiaka«, die Androgenrezeptor-Antagonisten, nachweislich die Wirkung des Testosterons beziehungsweise des 5-Alpha-Dihydrotestosterons auf und unterdrücken so Spermiogenese und Libido. Als erstes Antiandrogen wurde Cyproteronacetat (zum Beispiel in Androcur®) in die Therapie eingeführt. Der Arzneistoff ist ein Progesteron-Derivat, das sowohl antiandrogen als auch gestagen wirkt. Durch die gestagene Wirkung hemmt Cyproteronacetat die Freisetzung von luteinisierendem Hormon (LH) und damit auch die Testosteron-Produktion. Diesen Wirkstoff verordnen Ärzte bei Patienten mit Prostatakarzinom und bei Männern, deren Sexualität abnormal oder krankhaft gesteigert ist. /

E-Mail-Adresse des Verfassers

MedWiss-Meyer(at)t-online.de