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Arzneimitteltherapie

Neuer Arzneistoff im Januar 2011

21.01.2011  14:00 Uhr

Von Sven Siebenand / Mehr als 20 neue Arzneistoffe kamen im vergangenen Jahr auf den deutschen Markt. Den Anfang im Jahr 2011 macht der Thrombozytenaggregationshemmer Ticagrelor. Damit gibt es für Patienten mit akutem Koronarsyndrom ein neues Medikament und für Clopi­dogrel und Prasugrel einen Konkurrenten.

Mit dem Begriff akutes Koronarsyndrom (englisch: Acute Coronary Syndrome, ACS) bezeichnen Mediziner verschiedene Stadien akuter Durchblutungsstörungen der Koronargefäße. Für die Betroffenen kann diese Situation lebensbedrohlich werden. Das Leitsymptom des ACS ist der akute Thoraxschmerz.

Neuer Plättchenhemmer

Mit der Zulassung von Ticagrelor (Brilique™ 90 mg Filmtabletten, AstraZeneca) steht Ärzten ab Anfang Januar eine neue Therapieoption für Erwachsene nach einem ACS zur Verfügung. Die Therapie mit Ticagrelor sollten sie mit einer einmaligen Initialdosis von 180 mg (zwei Tabletten) beginnen und dann mit 90 mg zweimal täglich fortsetzen. Die Tablette kann mit oder unabhängig von einer Mahlzeit eingenommen werden. Sofern keine speziellen Kontraindikationen vorliegen, sollten die Patienten ­neben Ticagrelor täglich auch Acetylsalicylsäure (ASS) einnehmen.

Der Hersteller empfiehlt, die Therapie bis zu einem Jahr fortzuführen, sofern nicht ein Abbruch notwendig wird. Laut Fachinformation kann der Arzt Patienten, die bisher mit Clopidogrel behandelt wurden, bei Bedarf direkt auf den neuen Wirkstoff umstellen. Der Wechsel von Prasugrel auf Ticagrelor wurde bislang nicht untersucht.

Ticagrelor ist ein Thrombozytenaggregationshemmer, der ähnlich wirkt wie Clopidogrel und Prasugrel. Der neue Arz­nei­stoff ist also auch ein sogenannter Adenosindiphosphat-(ADP)-Rezeptorantagonist. Indem er die Wirkung von ADP blockiert, stoppt Ticagrelor die Verklumpung der Blutplätt­chen. Damit reduziert er die Blutgerinnselgefahr und hilft so, einen weiteren Herzinfarkt oder neuen Schlaganfall zu vermeiden.

Anders als Clopidogrel und Prasugrel benötigt Ticagrelor nach oraler Einnahme keine metabolische Aktivierung, das heißt, er muss nicht erst in der Leber durch das Cytochrom-P-450-System bioaktiviert werden. Diese Tatsache ist sicher ein Vorteil, da somit die Gefahr der Wechselwirkungen sinkt. Zudem wirkt Ticagrelor am ADP-Rezeptor reversibel und nicht irreversibel wie die anderen beiden Substanzen. Vermutlich lässt sich dadurch die hemmende Wirkung des Ticagrelors auf die Thrombozyten besser steuern, zum Beispiel vor Operationen. Allerdings ergibt sich aus dieser Tatsache auch, dass die Patienten Ticagrelor zuverlässiger einnehmen müssen als die beiden irreversiblen Wirkstoffe. Die zweimal tägliche Einnahme könnte aus Compliance-Gründen ein Nachteil sein.

Vorsicht bei Asthmapatienten

Als häufigste Nebenwirkungen traten unter Ticagrelor Kurzatmigkeit und diverse Blutungen auf, zum Beispiel Nasenbluten, Blutungen im Magen-Darm-Trakt, in oder unter der Haut oder Blutergüsse sowie Blutungen an der Stelle eines operativen Eingriffs.

Ticagrelor ist kontraindiziert bei Patienten mit einer mittelschweren bis schweren Lebererkrankung oder bei denen eine Gehirnblutung einen Schlaganfall verursacht hat. Gegen eine Einnahme spricht auch, wenn Patienten aktuell innere Blutungen haben oder kürzlich hatten, wie Blutungen in Magen oder Darm aufgrund eines Geschwürs. Bei Asthmatikern und Patienten mit COPD in der Vorgeschichte ist ebenfalls Vorsicht geboten.

Ferner darf die neue Substanz nicht bei Patienten zum Einsatz kommen, die Arzneimittel mit einer starken blockierenden Wirkung auf das Enzym CYP3A4 einnehmen, zum Beispiel das Amtimykotikum Ketoconazol, das Antibiotikum Clarithromycin, die HIV-Medikamente Atazanavir und Ritonavir sowie das Antidepressivum Nefazodon. Die gleichzeitige Einnahme würde dazu führen, dass die Ticagrelor-Blutkonzentration erheblich ansteigt.

Achtung bei Kombinationen

Laut Fachinformation ist auch von der gleichzeitigen Gabe weiterer Arzneistoffe abzuraten, so zum Beispiel von starken CYP3A4-Induktoren wie Phenytoin und Carbamazepin, da diese die Konzentration und Wirksamkeit von Ticagrelor verringern können. Auch wird nicht empfohlen, Tica­grelor mit Simvastatin oder Lovastatin in einer Dosis von mehr als 40 mg zu kombinieren oder mit Arzneistoffen, die als CYP3A4-Substrat dienen und eine enge therapeutische Breite haben, zum Beispiel Cisaprid und Mutterkornalkaloide. Gleiches gilt übrigens auch für die Anwendung des Thrombozytenaggregationshemmers in der Schwangerschaft.

Aufgrund von Berichten über extreme Hautblutungen beim gleichzeitigen Einsatz von Ticagrelor und selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) wie Paroxetin, Sertralin und Citalopram, ist bei dieser Kombination ebenfalls große Vorsicht geboten. /

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siebenand(at)govi.de