Beeren für den Darm |
25.01.2013 16:18 Uhr |
Von Monika Schulte-Löbbert / Der Echte Kreuzdorn ist ein Verwandter des Faulbaums und ebenso wie dieser schon seit Jahrhunderten in der Volksmedizin als Abführmittel bekannt. Seine Beeren helfen bei akuter Verstopfung, führen aber bei Überdosierung zu Übelkeit und Erbrechen. Noch heute werden aus den Beeren bestimmte Pflanzenfarben hergestellt.
Der Echte oder Purgier-Kreuzdorn, Rhamnus catharticus L., stammt aus der Familie der Kreuzdorngewächse (Rhamnaceae). Seine natürliche Verbreitung reicht von Europa, Nordwestafrika bis nach Westasien. In Gebirgslagen über 1600 Metern fehlt er, ebenso in weiten Teilen Skandinaviens und auf der iberischen Halbinsel. Er bevorzugt sommerwarme und trockene Standorte mit kalkhaltigen, lockeren, steinigen Lehmböden. Als Licht- oder Halbschattenbaumart gedeiht er in Auwäldern und Hecken, an Wald- und Wegrändern sowie an felsigen Hängen.
Mancher volkstümliche Name bezieht sich auf das Aussehen der Pflanze, andere auf deren Eigenschaften beziehungsweise die Wirkung ihrer Früchte.
Meist wächst der Kreuzdorn als sommergrüner, sparriger Strauch bis zu einer Höhe von drei Metern. In der eher seltenen Baumform erreicht er auch Höhen von bis zu zehn Metern und kann rund 100 Jahre alt werden. Der meist krumme Stamm öffnet sich zu einer unregelmäßigen und stark verästelten Baumkrone. Zunächst ist die Rinde des jungen Kreuzdorns glatt und bildet erst im Alter eine feinrissige Borke. Die kreuzweise angeordneten Zweige enden meist in Dornen, sodass die Pflanze mit deutschem Namen »Kreuzdorn«, volkstümlich auch Stechdorn oder Wegdorn heißt. Die fein gesägten, elliptischen Blätter sitzen gegenständig an den Zweigen. In ihren Blattachseln erscheinen in den Monaten Mai und Juni unscheinbare, gelbgrüne Blütenbüschel in Trugdolden.
Die erbsengroßen Früchte sind anfangs grün und bei voller Reife im September und Oktober schwarz-violett gefärbt. Am Scheitel der unreifen Früchte sind zwei sich kreuzende Furchen erkennbar, auf die sich der deutsche Name ebenfalls bezieht. Bei den beerenartigen Früchten handelt es sich botanisch um Steinfrüchte. Reife Früchte schmecken bitter und sind ungenießbar, unreife Früchte hingegen giftig. Nach dem Verzehr verursachen sie – vor allem bei Kindern – Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Nierenreizung als Vergiftungserscheinungen.
Als Abführmittel dienen die ganzen, reifen, getrockneten Früchte. Dieser Wirkung verdankt der Kreuzdorn auch seinen botanischen Namen »Rhamnus catharticus«. Der Artname »catharticus« griechischen Ursprungs und geht auf das Wort »kathairein« (reinigen oder purgieren) zurück, da die Früchte zur »Darmreinigung« verwendet wurden. Der Gattungsname »Rhamnus« stammt vom griechischen »rhamnos«, mit dem antike Heilkundler wie Theophrastos (2. Jh. v. Chr.) und Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) allerdings verschiedene Rhamnusarten bezeichneten. Sie nutzten vermutlich Rhamnus oleoides, den Olivenblättrigen Kreuzdorn, der im Mittelmeerraum beheimatet ist.
Der Volksmund kennt viele verschiedene Namen für die Pflanze, zum Beispiel Färbebaum, Gelbbeeren, Hirschdorn, Hexendorn, ja sogar Scheißbeerenbaum. Manche Bezeichnung bezieht sich auf das Aussehen des Strauches, andere wiederum auf dessen Eigenschaften beziehungsweise die Wirkungen seiner Beeren.
Mit Honig gekocht
Im Unterschied zu den Medizinern der Antike kannten die Angelsachen Rhamnus catharticus gut. Als »Hartsthorn« oder »Waythorn« benennen sie den Kreuzdorn in ihren Arzneibüchern. Im Rezeptbuch »Meddygon Myddfai« (13. Jh.) aus Südwales wird der Saft der Kreuzdornbeeren, mit Honig gekocht, als Abführmittel empfohlen. Die erste Beschreibung und Abbildung von Rhamnus catharticus stammt von Hieronymus Bock (1498 bis 1554). Auch in den Kräuterbüchern der späteren Jahrhunderte gelten Kreuzdornbeeren als gut wirksam bei Verstopfung sowie bei Wassersucht und Gicht.
Der deutsche Botaniker Valerius Cordus (1515 bis 1544) verwendet den Kreuzdorn als Färbemittel und gibt ihm den Namen »Cervi spinae« (lateinisch für Hirschdorn). In Italien heißt er noch heute »spina cervina«. Unter der Bezeichnung »Baccae Spinae cervinae« wurden die Beeren auch früher in der Apotheke geführt und in das erste deutsche Arzneibuch, die Pharmacopoea Germanica von 1872, aufgenommen. In den aktuellen Arzneibüchern werden Kreuzdornbeeren nicht mehr aufgeführt, zuletzt noch im DAB 8 (Deutsches Arzneibuch, 8. Ausgabe). Die einzige offizielle Monographie »Rhamni cathartici fructus (Kreuzdornbeeren)« stammt aus dem Jahre 1993 von der Kommission E des früheren Bundesgesundheitsamtes. Die Volksmedizin empfiehlt die Beeren noch als harntreibendes und blutreinigendes Mittel.
Wirkt erst im Dickdarm
Als Laxans genutzt werden entweder die getrockneten reifen Früchte von Rhamnus catharticus Linné oder deren Zubereitungen in wirksamer Dosierung. Die Droge wird aus Russland und Polen importiert und stammt vorwiegend aus Wildbeständen.
Für ihre abführende Wirkung sind vor allem die Anthrachinonglykoside (bis 5 Prozent) verantwortlich, besonders Franguline und Glucofranguline mit Emodin und Emodinanthron als Aglykone. Die Droge enthält außerdem Gerbstoffe, Flavonoide, ferner Mono- und Oligosaccharide, Pektine und etwas Ascorbinsäure.
Kreuzdornbeeren gehören zur Gruppe der resorptionshemmenden Abführmittel. Das Wirkprinzip entspricht dem der Faulbaumrinde. Die Anthraglykoside sind nur die »Pro-Drugs«, die erst im Dickdarm enzymatisch zu Anthronen abgebaut werden. Diese aktiv wirksamen Substanzen stimulieren die Kontraktion und damit die Motilität des Dickdarms. Daraus resultiert eine beschleunigte Darmpassage der Nahrung und aufgrund der verkürzten Kontaktzeit eine verminderte Flüssigkeitsresorption. Zusätzlich wird der aktive Transportmechanismus für Chloridionen angeregt und infolge dessen mehr Wasser und andere Elektrolyte in den Darm abgegeben. Auf diese Weise wird der Stuhl weich bis flüssig.
Nur kurzfristig anwenden
Die Kommission E empfiehlt die Droge nur zur kurzfristigen Anwendung bei Obstipation. Für diese Indikation liegen klinische Studien vor. Die Droge hilft bei akuter Verstopfung sowie bei Erkrankungen, bei denen eine Darmentleerung mit weichem Stuhl erwünscht ist. Menschen mit Analfissuren oder Hämorrhoiden sowie nach rektal-analen operativen Eingriffen sollen die Droge allerdings nicht anwenden.
Als Gegenanzeigen gelten laut Fachinformation der Standardzulassung (Stand: Mai 2000) Ileus (Darmverschluss), akut-entzündliche Erkrankungen des Darms, zum Beispiel Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Appendizitis (Blinddarmentzündung), abdominale Schmerzen unbekannter Ursache, schwere Wasser- und Elektrolytverluste. Außerdem sollen Kinder unter zehn Jahren, Schwangere und Stillende die Droge nicht anwenden.
Als Nebenwirkungen traten in Einzelfällen krampfartige Magen-Darm-Beschwerden, insbesondere bei Patienten mit Colon irritabile, auf. Eine Überdosierung führt zu Erbrechen, Bauchschmerzen und Durchfällen.
Bei Langzeitanwendung kann es zu Elektrolytverlusten, insbesondere von Kalium, kommen. Dieser Kaliumverlust kann wiederum zu Störungen der Herzfunktion und zu Muskelschwäche führen, die bei gleichzeitiger Einnahme von Herzglykosiden, Saluretika und Nebennierenrinden-Steroiden noch verstärkt werden.
Die eher unscheinbaren Blütenstände des Kreuzdorns erscheinen im Mai und Juni, die erbsengroßen Beeren reifen in den Monaten September und Oktober.
Fotos: Thomas Schöpke
Zur Teebereitung wird 1 Teelöffel zerkleinerte Droge (= etwa 3,8 g) mit kochendem Wasser übergossen und nach 10 bis 15 Minuten abgeseiht. Der Teeaufguss sollte abends vor dem Schlafengehen getrunken werden, denn die Wirkung setzt nach etwa acht bis zwölf Stunden ein. Die maximale tägliche Aufnahme von nicht mehr als 30 mg Hydroxyanthracenderivat wird schon durch die Einnahme von zweimal täglich einer Tasse eines Teeaufgusses aus je zwei Gramm Kreuzdornbeeren erreicht. Oft reicht jedoch schon eine geringere Menge als die übliche Tagesdosis aus, um einen weich geformten Stuhl zu erhalten. Deshalb sollten PTA oder Apotheker bei der Abgabe von Kreuzdornbeeren darauf hinweisen, die individuell erforderliche Dosis zu ermitteln.
Nicht nur für Kreuzdornbeeren, sondern für alle stimulierenden Abführmittel, gilt der wichtige Hinweis, dass sie ohne ärztlichen Rat nicht länger als ein bis zwei Wochen eingenommen werden dürfen. Wer stimulierende Abführmittel über diese Zeit hinaus anwendet, kann die Darmträgheit verstärken. Menschen mit Verstopfung sollten nur dann Kreuzdornbeeren anwenden, wenn die Obstipation weder durch Quellstoffpräparate noch durch eine Ernährungsumstellung zu beheben war.
Die Homöopathie verwendet die frischen reifen Früchte. Als Anwendungsgebiete gelten Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes sowie des Stütz- und Bewegungsapparates. Gebräuchlich ist die Potenz D3 und die dreimal tägliche Einnahme von zehn Tropfen.
Im Aberglauben gilt der Kreuzdorn als ein Mittel zur Abwehr von Dämonen und Hexen. In einigen Gegenden stecken die Bauern noch heute in der ersten Mainacht Kreuzdornzweige vor die Ställe, um das Vieh vor bösen Geistern zu schützen.
Nicht neben Haferanbau
Neben seiner medizinischen Nutzung ist der Kreuzdorn auch im Naturschutz von Bedeutung. Vielen Vogelarten dient er als Nahrungspflanze und Nistgehölz. Unerwünscht ist er allerdings in der Nähe von Haferanbaugebieten. Der Purgier-Kreuzdorn ist der Zwischenwirt des orangefarbenen Hafer-Kronenrostes (Puccinia coronifers), eines bedeutenden Schädlings des Getreides.
Hoch geschätzt wird Kreuzdorn wiederum in der Holzverarbeitung. Sein Holz besitzt einen rötlich- bis dunkelbraunen Kern und einen schmalen gelblichen Splint. Es ist sehr hart, schwer spaltbar und äußerst dauerhaft. Wegen seiner schönen Farbe und der feinen Maserung wird das Holz für Drechslerarbeiten, in der Tischlerei und für Einlegearbeiten verwendet, auch ausgefallene Schmuckteile lassen sich daraus herstellen.
Leuchtende Aquarellfarbe
Früher hatten Kreuzdornbeeren noch größere Bedeutung in der Herstellung von Pflanzenfarbstoffen. Je nach Reifegrad werden aus den Früchten Farben von Gelb (unreif) über Grün (reif) bis Purpur (überreif) erzielt. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert war das sogenannte Saftgrün beliebt. Es wurde aus dem Saft reifer Kreuzdornbeeren gewonnen und wird noch heute als Aquarellfarbe unter dieser Bezeichnung angeboten.
Noch im 19. Jahrhundert war es selbstverständlich, Farben aus Pflanzen oder Erdmineralien herzustellen. Mit dem Aufblühen der chemischen Industrie ging das Wissen über diese althergebrachte Farbherstellung fast verloren. Inzwischen beleben zahlreiche Initiativen von Umweltverbänden diese alte Tradition wieder neu. So fördert beispielsweise ein Projekt der Dritte-Welt-Organisation »Weltbilder« Färber-Gärten. In diesen Gärten wachsen Pflanzen wie der Kreuzdorn, aus denen Malfarben gewonnen werden. Informationen zu einem solchen Färber-Garten finden Interessierte unter www.zukunftspfad-nrw.de/3PR-Faerber. /
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