Vererbtes Risiko |
16.01.2017 10:38 Uhr |
Von Carina Steyer / Die Ursache einer Darmkrebserkrankung bleibt meist ungeklärt. Doch bei einem Teil der Patienten lässt sich der Krebs auf eine genetische Veränderung zurückführen, die vererbt werden kann. Betroffene haben ein hohes Risiko, bereits in jungen Jahren zu erkranken. Sie profitieren von intensivierten Vorsorgeprogrammen.
In Deutschland ist Dickdarmkrebs mit knapp 65 000 Neuerkrankungen pro Jahr nach Brust- und Prostatakrebs die dritthäufigste Tumorerkrankung. Die meisten Dickdarmtumoren entstehen durch Zellveränderungen, die im Laufe des Lebens auftreten. Diese können in der Regel bei einer Vorsorgeuntersuchung frühzeitig erkannt und dann behandelt werden.
Foto: Your Poto Today
Anders sieht es bei vererbbaren Krebserkrankungen aus: Hier führt die Mutation eines Gens zu einem deutlich erhöhten Risiko für die Entstehung verschiedener Krebserkrankungen. Erblich bedingter Darmkrebs tritt häufig bereits zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf, einem Alter, in dem Vorsorgeuntersuchungen noch gar nicht empfohlen werden. Für Betroffene ist es daher wichtig, rechtzeitig ihre Veranlagung zu kennen. Durch ein intensives Vorsorgeprogramm kann eine Erkrankung dann meist verhindert werden.
Mediziner unterscheiden zwischen erblichem und familiär gehäuft auftretendem Darmkrebs. Etwa 5 bis 8 Prozent der Darmkrebsfälle sind erblich und werden durch Veränderungen eines einzelnen Gens verursacht. Die häufigste Form ist der erbliche Dickdarmkrebs ohne Polyposis (HNPCC = englisch: Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer, auch Lynch-Syndrom). Wie fast alle Darmkrebsformen entwickelt sich der HNPCC aus zunächst gutartigen Darmpolypen. Das Gefährliche an der Erkrankung ist die deutlich verkürzte Zeitspanne bis zur Entartung. Während es normalerweise fünf bis zehn Jahre dauert, bis aus einem Polyp ein Karzinom entsteht, reichen beim HNPCC ein bis zwei Jahre. Bei der zweithäufigsten erblichen Darmkrebsform, der Familiären Adenomatösen Polyposis (FAP), ist die Zahl der Polypen im Darm stark erhöht. Die ersten treten bereits im Teenageralter auf. Später bilden sich hunderte bis tausende, von denen sich jeder zu einem Karzinom entwickeln kann.
Neben dem erblichen Darmkrebs gibt es Darmkrebspatienten, bei denen Darmtumoren zwar familiär gehäuft auftreten, obwohl Mediziner (noch) keine genetischen Veränderungen nachweisen können. Diese Form wird als familiärer Darmkrebs bezeichnet. Ursache scheint ein Zusammenspiel aus Umweltfaktoren und mehreren Erbanlagen zu sein, die im Einzelnen jedoch nicht ausreichen, um Krebs auszulösen. Schätzungen zufolge sind rund 20 Prozent der Darmkrebspatienten dieser Gruppe zuzuordnen.
Intensivierte Vorsorge
Beim HNPCC liegt das Lebenszeitrisiko für Darmkrebs bei bis zu 80 Prozent. Gleichzeitig ist das Risiko für Tumoren der Eierstöcke, Gebärmutter, des Magens und des Dünndarms erhöht. Betroffene können an einem intensivierten Vorsorgeprogramm teilnehmen, das neben einer jährlichen Darmspiegelung ab dem 25. Lebensjahr auch eine körperliche und bei Frauen eine gynäkologische Untersuchung umfasst. Ab dem 35. Lebensjahr wird außerdem eine Spiegelung des Magens und Dünndarms sowie eine Endometrium-Biopsie empfohlen.
Wurde eine Genmutation für eine FAP nachgewiesen, liegt die Wahrscheinlichkeit zu erkranken bei annähernd 100 Prozent. Daher sind bereits im Jugendalter Vorsorgeuntersuchungen wichtig, um verdächtige Veränderungen im Darm frühzeitig entdecken und behandeln zu können. Zahlreiche Untersuchungen, darunter die erste Vorsorge-Darmspiegelung, werden ab dem zehnten Lebensjahr empfohlen und sollten jährlich wiederholt werden. Ab dem 25. Lebensjahr sollten außerdem Magen und Dünndarm regelmäßig gespiegelt werden. Experten empfehlen auch meist noch vor dem 20. Lebensjahr eine präventive Operation mit kompletter Dickdarmentfernung.
Früher Gentest
Grundsätzlich besteht bei erblicher Krankheitsdisposition immer auch ein »Recht auf Nichtwissen«. Die genetische Risikoabklärung für Krebserkrankungen wird bei Gesunden generell erst ab einem Alter von 18 Jahren vorgenommen. Die FAP bildet aufgrund des erhöhten Risikos und schnellen Voranschreitens jedoch eine Ausnahme. Auch um erblich unbelasteten Kindern und Jugendlichen das engmaschige Vorsorgeprogramm zu ersparen, haben Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder frühzeitig testen zu lassen.
Beim sogenannten familiären Darmkrebs ist das Risiko, zu erkranken, gegenüber Unbelasteten nur geringfügig erhöht. Eine intensive Vorsorge wie beim erblichen Darmkrebs ist nicht notwendig, allerdings wird empfohlen, die erste Darmspiegelung vor dem 55. Lebensjahr durchführen zu lassen. Als optimaler Zeitpunkt gelten zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des ersten Betroffenen, spätestens jedoch mit 40 bis 45 Jahren. Ist der Befund unauffällig, reicht eine Wiederholung nach zehn Jahren aus.
Psychische Belastung
Das Wissen um vermehrte Krebserkrankungen innerhalb der Familie kann stark verunsichern. In den Zentren für familiären Darmkrebs (siehe Kasten) erhalten Ratsuchende auch eine psychosomatische Beratung, in der Erlebnisse und Erwartungen im Zusammenhang mit der Erkrankung und eines möglichen Gentests besprochen werden können. Untersuchungen zeigen, dass im Vorfeld der Beratung die Stressbelastung der Betroffenen deutlich erhöht ist, danach aber wesentlich absinkt. Nur wenige entscheiden sich gegen eine genetische Untersuchung. In den meisten Fällen überwiegen für die Betroffenen die Vorteile: die Klarheit über das individuelle Risiko, die Möglichkeit einer intensivierten Vorsorge und eventuell Erleichterung, wenn sich herausstellt, dass die Veranlagung nicht geerbt wurde.
Wie Kinder und Jugendliche solche Situationen erleben, ist nicht umfassend untersucht. Auch gibt es keine einheitlichen Richtlinien, ob und in welchem Alter sie über ein erhöhtes Krankheitsrisiko informiert werden sollten. Im Fall der FAP ist aufgrund des frühen Beginns des Vorsorgeprogramms eine Aufklärung der Kinder, zumindest bezüglich der Untersuchungen, zwingend notwendig. Ob allerdings die tatsächliche Tragweite der Erkrankung besprochen wird, bleibt den Eltern überlassen.
Entscheiden sich Eltern für ein Gespräch mit ihren Kindern, raten die Experten, möglichst altersgemäß und ohne medizinische Fachausdrücke zu informieren. Auch später sei es wichtig, immer wieder Gesprächsangebote zu machen. Eltern sollten sich nicht aufdrängen, aber aufkommende Fragen ehrlich beantworten. Eine offene und positive Kommunikation scheint das beste Mittel zu sein, Kinder zu einem vernünftigen Umgang mit dem Erkrankungsrisiko zu führen, sodass sie als Erwachsene von der intensivierten Vorsorge oder der genetischen Untersuchung Gebrauch machen. /
In Deutschland gibt es sechs universitäre Zentren für familiären Darmkrebs (siehe www.krebshilfe.de).
Dort können sich Menschen beraten lassen, die eine erbliche Komponente hinter ihrer Krebserkrankung oder innerhalb der Familie vermuten. Meist häufen sich die Krebserkrankungen in einer Familie, aber auch andere Merkmale können auf erblichen Darmkrebs hinweisen. Ärzte raten häufig zu einer humangenetischen Beratung bei folgenden Konstellationen:
In den Zentren für familiären Darmkrebs beraten Humangenetiker, Gastroenterologen und Psychologen Betroffene gemeinsam und erstellen mit den Ratsuchenden einen Stammbaum, der sämtliche Informationen zu aufgetretenen Krebserkrankungen erfasst. Anschließend kann eine molekulargenetische Untersuchung folgen.