Wort für Wort barrierefrei |
16.01.2017 10:38 Uhr |
Von Barbara Erbe / Persönlicher Kontakt, Vertrauen und eine verständliche Wortwahl sind bei der Beratung in der Apotheke enorm wichtig – besonders beim Umgang mit Kunden, die Probleme mit Schrift und Sprache haben. Das sind immerhin bis zu 40 Prozent aller Erwachsenen.
Wer von »barrierefreiem Zugang« spricht, denkt meist an Rampen für Rollstuhlfahrer oder verbreiterte Türen. Aber so wie jede Treppe für Gehbehinderte eine Herausforderung darstellt, seien für Menschen mit geringer Lesekompetenz viele Texte ein ernsthaftes Hindernis, betont Professor Dr. Sven Nickel, Leiter des Fachbereichs Deutschdidaktik an der Universität Bremen. 7,5 Millionen sogenannte funktionale Analphabeten leben Studien der Universität Hamburg zufolge in Deutschland.
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Diese sind keine Analphabeten im wörtlichen Sinn: Sie können einzelne Wörter oder kurze Sätze lesen, scheitern aber am Erfassen längerer Formulierungen oder ganzer Texte. Weitere 13,3 Millionen Menschen haben laut Untersuchungen große Probleme beim Lesen und Rechtschreiben. »Das bedeutet, dass insgesamt rund 40 Prozent aller Erwachsenen maximal auf Grundschulniveau lesen und schreiben«, betont Nickel. Unter-18-Jährige, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen oder mit geistigen Beeinträchtigungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ihnen allen ist es kaum möglich, einen Beipackzettel oder einen Medikationsplan zu lesen und dessen Inhalt zu erfassen, beispielsweise auch nicht eine auf einem Rezept vermerkte Abkürzung wie »7 Tg. 3 x tägl. 5 Tr.«.
Klar und einfach
»Wer nicht gut lesen kann, braucht aber trotz allem Informationen zu seinen Medikamenten«, betont Friedemann Schmidt, Präsident der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in einer Pressemitteilung. Welches Medikament etwa – bei mehreren Packungen – gegen welche Krankheit wirkt und wie es dosiert wird, solche Fragen fange die persönliche Beratung in der Apotheke auf. Damit das funktioniert, zeigt der bundesweite Verein Netzwerk Leichte Sprache eine Reihe von Möglichkeiten auf, nicht nur die Schrift- sondern auch die gesprochene Sprache im Alltag verständlicher zu machen (siehe Kasten). »Davon profitieren letztlich alle«, ist die ehrenamtliche Geschäftsführerin Gisela Holtz überzeugt, »auch diejenigen, die schwierigen und komplizierten Formulierungen durchaus gewachsen wären.« Dafür hat sie ein markantes Beispiel parat: Eine österreichische Organisation begann vor einigen Jahren, Gesetzestexte in Leichte Sprache zu übersetzen. Dabei stellte sie fest, dass eines der zu übersetzenden Gesetze in sich widersprüchlich war. »Das fiel erst auf, als sie versuchten, das Ganze klar und verständlich zu formulieren.«
Klar und verständlich formulieren kann aber auch ganz schön schwer sein, vor allem wenn es um Fachliches aus der Medizin geht, das es zu übersetzen gilt. Um sicherzugehen, dass ein Kunde verstanden hat, was bei der Einnahme des jeweiligen Mittels zu beachten ist, sollten PTA oder Apotheker deshalb möglichst viel Blickkontakt halten und durch Nachfragen sicherstellen, dass die Botschaft angekommen ist. Ein guter Einstieg ist eine Frage, wie »Hat der Arzt Ihnen gesagt, wie Sie die Tropfen einnehmen müssen?« Je nach Kundenantwort kann es dann sinnvoll sein, die Anweisungen zur Einnahme nochmals gemeinsam durchzugehen und dabei Grundsätzliches deutlich zu betonen, beispielsweise: »Es ist ganz wichtig, dass Sie dieses Mittel immer zum Essen/vor dem Schlafengehen/um dieselbe Uhrzeit/mit einem Glas Wasser nehmen, denn sonst wirkt es nicht.«
Gezielt nachfragen
Die Herausforderung im Gespräch mit Menschen mit Lernschwierigkeiten, Migranten mit geringen Deutschkenntnissen oder Menschen mit Gehörproblemen sei dabei, »langsam, einfach und ruhig zu sprechen, aber nicht besonders laut und erst recht nicht kindlich«, betont Holtz. Da es häufig vorkomme, dass Betroffenen ihre Verständnisschwierigkeiten peinlich seien, neigten sie entsprechend dazu, vorschnell »jaja« zu sagen, auch wenn sie wenig oder nichts verstanden hätten. »Hier gilt es, gezielt, aber nicht schulmeisterlich nachzufragen, zum Beispiel: ›Wann möchten Sie denn jetzt die erste Tablette nehmen?«, so Holtz.
Die Leichte Sprache ist in den vergangenen Jahren von Menschen mit Lernschwierigkeiten zusammen mit dem Netzwerk Leichte Sprache weiterentwickelt worden. Inzwischen ist aus dem losen Netzwerk der Verein Netzwerk Leichte Sprache geworden.
Wer miteinander spricht, findet früher oder später eine gemeinsame Sprache. Wenn einer vorträgt und der andere zuhört, ist das seltener der Fall. Holtz berichtet, kürzlich habe ein ihr bekanntes Ehepaar eine Diabetesschulung besucht, um mit der Krankheit im Alltag besser klarzukommen. Anschließend hätten die beiden bekundet, »überhaupt nichts verstanden« zu haben, erinnert sich die Vereinsvorsitzende. »So etwas darf nicht sein. Gerade im Gesundheitswesen muss man so sprechen, dass die Leute das verstehen.«
Ein weiterer wichtiger Aspekt sei die Tatsache, dass heute deutlich mehr Menschen mit geistiger Behinderung in Privathaushalten lebten als noch vor 20 Jahren, als sie hauptsächlich in Institutionen untergebracht waren. »Es ist gut, dass man inzwischen mehr auf die Selbstständigkeit dieser Menschen achtet. Für sie gilt ganz besonders: Je besser sie die Dinge erklärt bekommen, desto mehr können sie selbst machen.«
Auch in der Apotheke sage man viel zu schnell: »Das können Sie da und dort alles noch mal nachlesen«, so Nickel. Genau das täten medizinische Laien aber oft ungern oder gar nicht. Deshalb rät er PTA, davon auszugehen, dass ein Zettel im Zweifelsfall eher nicht gelesen wird: »Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass schriftliche Informationen nicht unbedingt für sich sprechen.«
Erst recht nicht Beipackzettel, die noch nie den Ruf hatten, gut verständlich zu sein. Beipackzettel in Leichter Sprache mit fett gedruckten Kernbotschaften für häufig verkaufte Mittel, das wäre ideal – da sind sich Nickel und Holtz einig. Auch einfache Informationen über Volkskrankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck wären für viele Patienten eine große Erleichterung. So lange es das alles (noch) nicht gibt, hilft es aber auch schon, bei Bedarf wichtige Stellen des Beipackzettels mit dem Kunden gemeinsam durchzugehen und mit Leuchtstift zu markieren. Allerdings sind dem natürlich zeitliche Grenzen gesetzt, beispielsweise in der Husten- und Schnupfensaison oder während der täglichen Rush Hour. Hier könnte man interessierten Kunden aber immer noch anbieten, zur Beratung zu einer ruhigeren Stunde wiederzukommen. /