AOK schließt fragwürdigen Vertrag |
28.03.2007 10:18 Uhr |
AOK schließt fragwürdigen Vertrag
von Daniel Rücker, Eschborn
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Krankenkassen bei Pharmaherstellern Rabatte aushandeln. Die AOK ist dem Wunsch gefolgt und hat damit zahlreiche Probleme geschaffen.
Nach langem Hin und Her in der Diskussion um die Gesundheitsreform sind Rabattvereinbarungen dort angekommen, wo sie hingehören. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sieht vor, dass Krankenkassen und Pharmaunternehmen diese Vereinbarungen abschließen sollen.
Die ursprüngliche Regelung, auch die Apotheker zu Verhandlungen mit der Industrie zu Gunsten der Krankenkassen zu verpflichten, wurde kurz vor der Verabschiedung der Gesundheitsreform zur Zufriedenheit der Apotheker aus dem Gesetz gestrichen. Die Politik hatte erkannt, dass zwei Partner die Rabatte am sinnvollsten aushandeln: derjenige, der die Ware herstellt (das Pharmaunternehmen), und derjenige, der sie letztlich bezahlt (die Krankenkasse). Alle Beteiligten waren damit zufrieden. Bis die AOK einen Vertrag präsentierte, den viele Experten für misslungen halten.
Anfang Februar hatte die AOK Baden-Württemberg stellvertretend für alle 16 AOK-Landesverbände mit elf Pharmaherstellern Rabatte für die Lieferung von 43 Wirkstoffe vereinbart. Deutliche Preisnachlässe von bis zu 37 Prozent wollen die Unternehmen der AOK und ihren Versicherten gewähren. Die Rabatte zahlen die Hersteller über eine Rückvergütung direkt an die AOK. Als Gegenleistung für den Rabatt können die Hersteller auf steigende Umsätze hoffen, denn die Gesundheitsreform verpflichtet Apotheker und PTA dazu, die rabattierten Medikamente bevorzugt an die Versicherten abzugeben. Diese Verpflichtung hebelt sogar die bestehende Aut-Idem-Regelung aus.
So schön sich der Rabattvertrag liest, er hat leider gleich mehrere Haken: So betrug der Marktanteil der teilnehmenden Generikahersteller im vergangenen Jahr lediglich rund 2 Prozent. Demnächst sollen sie jedoch rund 25 Millionen AOK-Versicherte exklusiv mit 43 Wirkstoffen versorgen. Darunter sind auch so häufig verordnete Medikamente wie Omeprazol, Simvastatin und Ramipril. Viele Experten bezweifeln, dass die Hersteller tatsächlich genug Packungen liefern können. Zwar gehören zu den elf Firmen auch einige große ausländische Generikahersteller wie Teva (Israel), Actavis (Island) und Basics/Ranbaxy (Indien). Diese werden wahrscheinlich keine Probleme bekommen. Sorgen bereiten aber die deutschen mittelständischen AOK-Vertragspartner wie AAA-Pharma, Corax oder Biomo. Sollten die Unternehmen nicht lieferfähig sein, stecken Apotheker und PTA in einem Dilemma. Nach dem GVK-WSG müssen sie bei einer Verordnung das rabattierte Medikament abgeben. Was zu tun ist, wenn dieses nicht lieferbar ist, steht leider nicht im Gesetz. Schlimmstenfalls könnte die AOK das Rezept auf Null retaxieren. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) sucht in Gesprächen mit der AOK eine praktikable Lösung.
In diesen Gesprächen soll auch geklärt werden, ab welchem Zeitpunkt der Rabattvertrag umgesetzt werden muss. Schon jetzt ist klar, dass dies nicht, wie ursprünglich geplant, zum 1. April funktioniert. Alle notwendigen Daten müssen in die Apotheken-EDV integriert sein, bevor der Vertrag in der Praxis umgesetzt werden kann. Andernfalls müssten PTA oder Apotheker für jeden Patienten im Internet oder in langen ausgedruckten Listen recherchieren, ob die Krankenkasse für das verordnete Medikament einen Rabattvertarg mit irgendeinem Hersteller geschlossen hat. Für den AOK-Vertrag hat der DAV deshalb mit den Ortskrankenkassen eine Friedenspflicht bis Juli vereinbart. Bis dahin wird es keine Retaxationen geben.
Zudem bleibt der AOK-Vertrag sicher nicht die einzige Vereinbarung dieser Art. Vor zwei Wochen haben die Ersatzkassenverbände einen ähnlichen Vertrag ausgeschrieben. Er soll auch zum April in Kraft treten. Betriebskrankenkassen und andere werden folgen.
Für die Apotheken bringen Rabattverträge weitere Probleme mit sich: So wird die Lagerhaltung schwieriger, wenn immer mehr Kassen mit unterschiedlichen Herstellern Verträge schließen. Da eine Substitution nach dem Gesetz ausgeschlossen ist, muss die Apotheke Präparate eines Wirkstoffs von allen Herstellern vorrätig halten, die mit irgendeiner Kasse einen Vertrag geschlossen haben.
Außerdem dürfte es zumindest zu Beginn der Vertragslaufzeit zu Diskussionen mit den Patienten kommen. Viele Patienten müssen auf das Präparat eines anderen Generikaherstellers umgestellt werden. Falls der Arzt dies dem Patienten nicht erklärt hat, werden es PTA oder Apotheker tun müssen. Erleichtert wird diese Arbeit allerdings dadurch, dass für AOK-Versicherte bei allen rabattierten Medikamenten die Zuzahlung entfällt. Insofern besteht für den Patienten ein Anreiz zum Wechsel.
Für Apotheker und PTA gibt es noch einen Grund zum Ärgern: Sie haben mit dem AOK-Rabattvertrag zwar einige Arbeit, eine finanzielle Entschädigung gibt es dafür aber nicht. Diese bekommen die Ärzte, obwohl der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Achim Hoffmann-Goldmayer, bei einer Pressekonferenz in Stuttgart erklärte, der Rabattvertrag werde den Ärzten mittelfristig die Arbeit erleichtern. Dennoch erhalten die Ärzte zu Beginn der Vereinbarung zwei Drittel der gesamten Einsparungen und nach einem halben Jahr immer noch rund ein Drittel.
Es ist übrigens kein Wunder, dass die großen deutschen Generikahersteller wie Ratiopharm, Hexal oder Stada sich nicht an dem AOK-Rabattvertrag beteiligt haben. Die Vereinbarung bietet den Firmen keinen Vorteil. In anderen Branchen werden Rabatte an den Umsatz geknüpft, beim AOK-Vertrag nicht. Hersteller, die jetzt schon einen hohen Umsatz haben, können wegen der durch den Rabatt sinkenden Marge nur verlieren.
Dagegen haben Generikafirmen mit derzeit nur geringem oder gar keinem Umsatz in Deutschland durchaus Vorteile. Ihr Umsatz wird durch den Vertrag mit der AOK steigen. Die großen ausländischen Unternehmen nutzen den Vertrag als Türöffner in den deutschen Markt. Ob sich Krankenkassen, die ihre Beiträge von in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern erhalten, langfristig einen Gefallen damit tun, ist zweifelhaft.
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