Wenn das Immunsystem tobt |
03.04.2009 09:18 Uhr |
Wenn das Immunsystem tobt
PTA-Forum / Fast niemand kennt die hämophagozytische Lymphohistiozytose. Sie ist extrem selten und verläuft unbehandelt tödlich. Weltweit sind nur einige hundert Fälle bei Kindern dokumentiert. Wahrscheinlich gibt es eine hohe Dunkelziffer. Professorin Dr. Gritta Janka engagiert sich, diese Krankheit unter den Kinderärzten und allen im Gesundheitswesen Tätigen bekannt zu machen.
PTA-Forum: Könnten Sie die seltene Erkrankung hämophagozytische Lymphohistiozytose bitte kurz beschreiben?
Janka: Es handelt sich um einen angeborenen oder erworbenen Immundefekt, bei dem das Immunsystem nur noch mangelhaft Krankheitserreger abtötet. Daher kommt es zu einer anhaltenden und hochentzündlichen Reaktion im Körper. Durch die Entzündung werden Botenstoffe, sogenannte Zytokine, ausgeschüttet. Es bricht regelrecht ein Zytokinsturm im Körper aus, der die Symptome wie Fieber hervorruft. Außerdem verändern sich unter den Botenstoffen beispielsweise der Fettstoffwechsel und die Blutgerinnung, und die Blutzellen werden nicht mehr ausreichend vom Knochenmark ins Blut abgegeben.
Der Krankheit ihren Namen gegeben haben aktivierte Immunzellen im Knochenmark, die Lymphozyten und Histiozyten. Diese Histiozyten fressen normalerweise alte Blutzellen auf, dies nennt man Hämophagozytose. Durch die Aktivierung werden bei der HLH aber vermehrt auch junge Blutzellen phagozytiert.
PTA-Forum: Worin unterscheidet sich die hämophagozytische Lymphohistiozytose (HLH) von anderen Histiozytosen?
Janka: Es gibt bei Kindern noch eine zweite Histiozytose, die Langerhans-Zellhistiozytose. Die auslösenden Zellen sind in diesem Fall dendritische Zellen, die aber eine völlig andere Symptomatik verursachen.
PTA-Forum: Welche Symptome haben Kinder mit einer HLH?
Janka: Die Kinder haben hohes und anhaltendes Fieber, bestimmte Organe wie Milz und Leber sind vergrößert, und das Blutbild zeigt typische Veränderungen. Dabei sind mindestens zwei Zellreihen im Blut vermindert, meistens die Erythrozyten und Thrombozyten, also die roten Blutzellen und Blutplättchen. Außerdem können die Ferritin- und Triglyceridwerte erhöht sein, und die Gerinnung kann sich verschlechtern.
PTA-Forum: Warum ist es so schwierig, die Symptome richtig zu deuten?
Janka: Erkrankt ein Kind, sieht die HLH zunächst wie eine normale Infektion aus, die Kinder ja oft durchmachen. Auch bei einer normalen Infektion können die Blutwerte erstmal leicht verändert sein. Der Unterschied lässt sich nur dadurch richtig deuten, dass die Laborwerte stärker verändert sind, als man das von einer normalen Infektion kennt. Während sich eine normale Infektion durch eine Therapie oder wie bei einer Virusinfektion auch spontan mit der Zeit bessert, schreitet die HLH voran, und die Symptome werden eher heftiger.
PTA-Forum: Welche Formen der HLH sind derzeit bekannt?
Janka: Unterschieden werden die angeborene und die erworbene Form. Der angeborenen liegen Gendefekte zugrunde, deshalb spricht man auch vom familiären Typ. Die Gene werden autosomal-rezessiv vererbt, das heißt, beide Eltern müssen Träger der Gene sein, sonst bricht die HLH beim Kind nicht aus. Die erworbene HLH wird dagegen durch einen Infekt oder eine Grunderkrankung angestoßen. Gesunde Menschen werden dann vorübergehend immunologisch inkompetent.
PTA-Forum: Liegen auch der erworbenen HLH Gendefekte zugrunde?
Janka: Darüber wird noch spekuliert. Bislang ist noch unklar, ob den erworbenen Formen milde Gendefekte zugrunde liegen oder ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Inkompetenz des Immunsystems handelt. Ich halte die zweite Erklärung für wahrscheinlicher. Aber möglicherweise gibt es eine Art genetische Begünstigung für die Erkrankung.
PTA-Forum: Wie läuft ein Gentest praktisch ab?
Janka: Für den Test benötigt man eine Blutprobe, kein Knochenmark. Die Probe wird in einem spezialisierten Labor ausgewertet.
PTA-Forum: In welchem Alter macht sich die Erkrankung erstmalig bemerkbar?
Janka: Die angeborene Form bricht in 80 Prozent der Fälle im Säuglingsalter aus. Aber auch Erwachsene erkranken daran. Der älteste beschriebene Patient mit nachgewiesen angeborener Form war 62 Jahre alt. Die erworbenen Formen können in jedem Lebensalter auftreten.
PTA-Forum: Welche Diagnostik ist erforderlich?
Janka: Unbedingt erforderlich ist ein Blutbild, und spezielle Blutuntersuchungen wie Ferritinwerte und die Blutgerinnung. Das sind erstmal keine üblichen Untersuchungen bei einem Kind mit Fieber. Beobachtet man dann noch eine Verschlimmerung der Symptome, müssen weitere Untersuchungen folgen. Dabei testet man die Funktion des Immunsystems.
PTA-Forum: Was löst die erworbene HLH aus?
Janka: Beide Formen werden durch infektiöse Erreger, meistens durch Viren, selten durch Protozoen oder Pilze, getriggert. Seltener brechen erworbene Formen bei Kindern mit einer Autoimmunerkrankung aus. Bei Erwachsenen begünstigen neben Viruserkrankungen ebenfalls Autoimmunerkrankungen oder maligne Erkrankungen eine HLH, vor allem der Lymphknotenkrebs.
PTA-Forum: Ist Ihnen bekannt, ob auch Arzneistoffe die Histiozytose triggern können?
Janka: Es wird zwar bei den Autoimmunkrankheiten diskutiert, aber das glaube ich nicht. Bewiesen ist es nicht.
PTA-Forum: Wie sieht die Therapie HLH aus?
Janka: Die hohen Konzentrationen an Zytokinen müssen herunter geregelt werden. Geschieht das nicht, stirbt der Mensch an dem Zytokinsturm. Bei einer zusätzlichen Grunderkrankung muss diese natürlich auch therapiert werden. Bei den genetischen Formen rettet den Patienten letztlich nur eine Knochenmarktransplantation.
PTA-Forum: Welche Arzneistoffe setzen Sie ein?
Janka: Die Arzneistoffe müssen das Immunsystem dämpfen. Eine Immunsuppression gelingt mit Zytostatika, zum Beispiel Etoposid. Das ist für viele Eltern kaum nachvollziehbar, wenn wir ihr fieberndes Kind mit Zytostatika behandeln. Außerdem setzen wir noch Corticoide ein und Immunmodulatoren wie Ciclosporin oder Immunglobuline.
PTA-Forum: Welche Prognose haben die Patienten?
Janka: Bei den angeborenen Formen kann man mit dieser Therapie in 80 Prozent der Fälle das Immunsystem wieder einregeln, so dass eine Knochenmarktransplantation möglich wird. Die Transplantation überleben wiederum circa 80 Prozent. Für die erworbenen Formen gibt es eigentlich keine aussagekräftigen Zahlen, laut früheren Veröffentlichungen waren es 50 Prozent. Inzwischen könnte sich die Überlebenschance der Patienten dank entsprechender Therapien gebessert haben.
Vor 30 Jahren musste Professorin Dr. Gritta Janka miterleben, wie drei Geschwister an einer familiär bedingten hämophagozytischen Lymphohistiozytose (HLH) starben. Seit Jahren erforscht die Hämatologin diese Erkrankung an der Universitäts- und Poliklinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie in Hamburg-Eppendorf. Sie schätzt, dass pro 50000 Kinder eines an angeborener HLH erkrankt. Die erworbenen Formen kommen deutlich häufiger vor, und viele werden wohl nicht erkannt. Derzeit erfährt die Professorin von etwa 60 bis 70 angeborenen und erworbenen HLH-Fällen in Deutschland pro Jahr. Aktuell beteiligt sich die Medizinerin an einer internationalen HLH-Studie, deren Zentrum für Mitteleuropa an der Eppendorfer Klinik liegt. An dieser Klinik wird auch durch Professor Janka ein von der Europäischen Union finanziertes Projekt über HLH koordiniert, das über drei Jahre läuft und in dem neun Wissenschaftler aus sechs europäischen Ländern über die HLH forschen.