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Visuelle Symptome

Augen auf bei Migräne

05.02.2018  10:34 Uhr

Von Michael van den Heuvel / Migräne geht nicht immer mit Kopfschmerzen einher. Patienten leiden mitunter an Augen­beschwerden. Neurologen unterscheiden die Migräne mit Aura, die Augenmigräne und die Migräne mit Netzhautbeteiligung. In der Pharmakotherapie bestehen jedoch keine Unterschiede.

Bis vor wenigen Minuten sah Anna K. noch alles scharf. Plötzlich veränderte sich ihr Visus drastisch. Sie konnte die Umgebung nicht mehr erkennen. Stattdessen berichtet die Patientin von einem Flimmern mit Lichtblitzen. Unvermittelt auftretende Sehstörungen sind immer Alarmzeichen. Sie zählen unter anderem auch zu den möglichen Symptomen eines Schlaganfalls. Bei Anna K. war die Erklärung jedoch harmloser. Bei ihr handelte es sich um eine Augen­migräne, auch ophthalmische Migräne genannt. Sie unterscheidet sich stark vom bekannten Krankheitsbild.

Jeder zehnte Erwachsene leidet mehr oder minder häufig an Migräne. Die Schübe kündigen sich oft durch Vorboten an, wie Stimmungsschwankungen, Heißhunger oder Unruhe. Dann folgen einseitige, pulsierende Kopfschmerzen, wobei die Seite wechseln kann. Zusätzlich treten vegetative Symptome auf: Übelkeit, Erbrechen, Licht- oder Geräuschempfindlichkeit. Ärzte sprechen von der gewöhnlichen Migräne.

 

Berichten Patienten von Licht­blitzen, nehmen gezackte Linien oder Farben wahr, wundern sich über ein Flimmern oder eine veränderte Wahrnehmung des Gesichtsfeldes, so geht die Migräne mit einer Aura einher. Aura­symptome halten im Schnitt 20 bis 30 Minuten, maximal aber eine Stunde lang an und sind vollständig reversibel. Danach folgt die Phase der migräne­typischen starken Kopfschmerzen.

 

Auch die vestibuläre, also den Gleichgewichtssinn betreffende Migräne geht mit veränderten Sinneswahrnehmungen einher. Dazu zählen schnelle, zuckende Augenbewegungen, der sogenannte Nystagmus. Hauptsymptome sind jedoch Schwank- oder Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen. Licht- und Lärmempfindlichkeit, Rückzugstendenz, Müdigkeit und Verschlechterung bei körperlicher Belastung kommen oft hinzu. Bei 30 Prozent aller vestibulären Migräneattacken treten keine Kopfschmerzen auf. Unabhängig von der genauen Form ist eine fachärztliche Abklärung der Beschwerden erforderlich.

 

Alles andere ausschließen

Anna K.s Ärzte diagnostizierten nach Ausschluss sonstiger Erkrankungen eine Augenmigräne. Bei ihr traten Sehstörungen beider Augen auf, was für eine Augenmigräne spricht. Augenschmerzen und starke Gesichtsfeld-Ausfälle, sogenannte Skotome, kamen hinzu. Manche Patienten beschreiben das Gefühl, als ob sie Scheuklappen tragen würden. Andere berichten eher über Flimmerskotome, Lichtblitze oder Doppelbilder. In seltenen Fällen treten optische Halluzinationen auf, die dann aber klar für eine Augenmigräne sprechen. Dabei nehmen die Betroffenen Teile ihrer Umgebung nicht wahr. Anna K. berichtete zudem über nur schwache Kopfschmerzen.

Die genannten Symptome machen eine Augenmigräne sehr wahrscheinlich. Während bei Migräne mit Aura die visuellen Ausfälle vor den eigentlichen Kopfschmerzen auftreten, können Kopfschmerzen bei der Augenmigräne komplett fehlen. Patienten verspüren starke Angst während der visuellen Beeinträchtigungen. Schwindel wie bei der vestibulären Migräne wird nicht beobachtet.

 

Berichten Patienten über Beschwerden, die wie bei Anna K. auf eine Augen­migräne hindeuten, sollten PTA oder Apotheker ihnen einen Besuch bei Fachärzten nahelegen. Neurologen greifen zu Verfahren der Bildgebung wie der Magnetresonanztomographie (MRT) beziehungsweise der Computertomographie (CT), um krankhafte Verän­derungen auszuschließen. Dazu gehören Tumoren, anatomische Anomalien in Blutgefäßen, Gehirnblutungen oder ischämische Schlaganfälle. Augenärzte erfassen den Augeninnendruck als Anzeichen eines Glaukoms. Mögliche Schäden an der Netzhaut identifizieren sie über Untersuchungen des Augenhintergrundes. Finden Mediziner keine organischen Veränderungen, spricht viel für Migräne.

 

Genaue Mechanismen unbekannt

Frauen erkranken deutlich häufiger an Augenmigräne als Männer. Das Verhältnis liegt bei etwa 3 zu 1. Meist sind Menschen zwischen 15 und 45 Jahren betroffen. Dabei kann sich das Erscheinungsbild ändern. Haben Patienten beispielsweise Migräne mit oder ohne Aura, tritt vielleicht nach Jahren die erste Augenmigräne auf. In anderen Fällen wandelt sich das Bild von der Augen­migräne zur gewöhnlichen oder klassischen Migräne.

 

Wie dieses spezielle Symptom entsteht, ist noch nicht bekannt. Forscher gehen davon aus, dass bei einer Migräne generell Fehlregulationen bestimmter Blutgefäße eine Rolle spielen. Durchblutungsstörungen im Bereich der Sehrinde könnten die Sehstörungen erklären. Möglich wäre jedoch auch, dass im Sehnerv ein Ungleichgewicht an erregenden und hemmenden Botenstoffen entsteht. Das würde erklären, warum das Gehirn Bilder nicht mehr richtig verarbeitet, obwohl die Augen einwandfrei funktionieren.

 

Steuerung gestört

Eine Sonderform stellt die ophthalmoplegische Migräne mit Kopfschmerzen bei gleichzeitiger reversibler Lähmung bestimmter Hirnnerven dar. Die Augenmuskeln lassen sich daraufhin nicht mehr steuern. Patienten leiden auch an erweiterten Pupillen und herabhängenden Augenlidern. Visuell zeigen sich Doppelbilder. Diese Kopfschmerzform tritt äußerst selten und meist bei Kindern auf.

 

Ob es sich tatsächlich um eine Migräne­form handelt, ist bei Neurologen umstritten. Gegen diese Annahme spricht, dass die Kopfschmerzen oftmals eine oder mehrere Wochen anhalten. Teilweise zeigten sich Auffälligkeiten bei der Magnetresonanztomographie, was bei Migräne nicht der Fall ist. Experten vermuten deshalb, ophthalmoplegische Migräne könnte möglicherweise auf eine wiederkehrende demyelinisierende Neuropathie hindeuten. Hierbei schädigt das Immunsystem aus unklaren Gründen die Myelinscheiden, eine Art Isolationsschicht von Nervenbahnen im Gehirn.

 

Retinal nur einseitig

Neben der ophthalmoplegischen Migrä­ne hat auch die retinale Migräne Gemeinsamkeiten mit der Augenmi­gräne. Sie betrifft die Netzhaut (Retina) und damit die Wahrnehmung visueller Reize. Charakteristisch sind visuelle Phänomene wie Skotome, Flimmern oder vorübergehende Blindheit, die einer Aura ähnelt.

 

Retinale Migräne beschränkt sich auf die Zeit der Migräneattacke und tritt im Unterschied zur Augenmigräne nur einseitig auf. Während der Sehstörungen oder bis zu 60 Minuten später setzt die Migränekopfschmerzphase ein.

 

Therapie gemäß Leitlinie

Leiden Patienten an Migräne mit Augenbeteiligung, sollten sie sich wenn möglich sofort in einen dunklen Raum zurückziehen. Bei Augenmigräne klingen Anfälle nach fünf bis zehn Minuten von selbst ab, ohne dass Kopfschmerzen auftreten. Da das Leiden Patienten im Alltag stark beeinträchtigt, sollte über eine systematische Pharmakotherapie nachgedacht werden.

 

Die Leitlinie rät im akuten Fall unabhängig vom Migränetyp zur Pharmakotherapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAID) und Triptanen. Migräne­prophylaktika der ersten Wahl sind die Betablocker Metoprolol und Propranolol, der Kalziumantagonist Flunarizin sowie die Antikonvulsiva Topira­mat und Valproinsäure. Im Bereich der Selbstmedikation kommen Pestwurz-Extrakte oder Magnesium infrage. Menschen mit Migräne müssen meist selbst mühsam heraus­finden, was bei ihnen eine Migräne­attacke provozieren kann. Im Falle der Augenmigräne gibt es Hinweise, dass Lichtreize einen Anfall triggern. /