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Rotaviren

Gefährlich für die ganz Kleinen

25.04.2007  21:27 Uhr

Rotaviren

Gefährlich für die ganz Kleinen

von Brigitte M. Gensthaler, München

In vielen Kinderarztpraxen drängen sich Mütter mit Säuglingen und Kleinkindern, die an starkem Brechdurchfall, Fieber und Bauchschmerzen leiden. Haben Rotaviren die Beschwerden ausgelöst, gibt es keine ursächliche Therapie; Flüssigkeitszufuhr ist dann besonders wichtig.

Weltweit gelten Rotaviren als die häufigsten Erreger von Magen-Darm-Infektionen (Gastroenteritis) bei Kindern unter fünf Jahren. In Entwicklungsländern sterben viele Kleinkinder an den massiven Brechdurchfällen, denn sie trocknen quasi aus. Dieses Schicksal bleibt schwer kranken Kindern in Industrieländern erspart, da sie meist im Krankenhaus intensiv betreut werden.

Rotaviren sind auch in Deutschland überall verbreitet und hoch ansteckend. Bis zum Alter von drei Jahren hat praktisch jedes Kind eine Infektion durchgemacht, berichtete Privatdozent Dr. Johannes Liese bei einer Pressekonferenz des Deutschen Grünen Kreuzes in München.

Nur in den ersten drei Lebensmonaten erkranken Babys selten, denn Stillen und die mütterlichen Antikörper, die in ihrem Blut zirkulieren (»Nestschutz«), schützen sie vor der Virusattacke.

Danach nehmen die Infektionen deutlich zu; am häufigsten sind sie zwischen dem 6. und 24. Lebensmonat, erklärte der Kinderarzt vom Dr. von Haunerschen Kinderspital in München. Dass auch ältere immungeschwächte Menschen gehäuft erkranken, wird zum Beispiel aus Alten- und Pflegeheimen gemeldet.

Virus-Hochsaison im Frühjahr

Die Erkrankung hinterlässt eine sogenannte Teilimmunität, das heißt, dass spätere Infektionen in der Regel weitaus milder oder sogar ganz beschwerdefrei verlaufen. Dies gilt für größere Kinder und Erwachsene.

Übertragen werden Rotaviren auf fäkal-oralem Weg (verunreinigte Gegenstände, Körperkontakt) und in der akuten Infektionsphase auch durch Tröpfchen, zum Beispiel beim Husten oder Niesen. Schon 10 bis 100 Viren reichen aus, um die Erkrankung zu verursachen. Hochsaison haben Rotaviren in gemäßigten Klimazonen wie Deutschland in den Monaten Februar bis April.

In dieser Zeit kommt es auch in Krankenhäusern gehäuft zu Rotavirus-Infektionen, denn die Patienten stecken sich gegenseitig an. Wird die Gastroenteritis im Krankenhaus »erworben«, sprechen Mediziner von einer nosokomialen Infektion. »Sieben von zehn nosokomialen Brechdurchfällen bei Kindern gehen auf das Konto von Rotaviren«, berichtete Liese. Dies verlängert den Aufenthalt im Krankenhaus durchschnittlich um fünf Tage.

Bei Säuglingen und Kleinkindern verläuft die Erkrankung oft besonders schwer. Einen bis drei Tage nach dem Erregerkontakt treten wässrige Durchfälle (bis zu 20-mal am Tag), Erbrechen, Fieber und Bauchschmerzen auf. Etwa bei der Hälfte der Kinder sind jedoch Atemwegsbeschwerden die ersten Symptome und dann wird die Infektion oft verkannt, warnte der Pädiater. Mit schlimmen Folgen: Der kleine Patient kann Familienmitglieder und andere Kinder anstecken. Die Beschwerden halten vier bis acht Tage an. Im Körper kursiert das Virus länger. Bis zu zwei Wochen lang scheiden die Infizierten den Erreger mit dem Stuhl aus.

Sehr widerstandsfähige Viren

Erkrankt ein Kind, lässt sich eine Ansteckung der anderen Personen im Haushalt praktisch nicht vermeiden, machte die Kinderärztin Dr. Ursel Lindlbauer-Eisenach aus München deutlich. Dies liegt in der Natur der Viren: Sie sind sehr widerstandsfähig gegenüber den üblichen Hygienemaßnahmen, werden in großer Zahl mit dem Stuhl des Patienten ausgeschieden und überleben tagelang auf Flächen, zum Beispiel dem Wickeltisch oder Spielzeug. »Man kann die Eltern beruhigen, dass eine in der Familie kursierende Infektion kein Zeichen mangelnder Hygiene ist«, ergänzte die Kinderärztin. Dennoch sollten Eltern und Kontaktpersonen eines erkrankten Kindes nach jedem Windelwechsel die Hände sorgfältig mit Seife waschen, um die fäkal-orale Infektionskette zu unterbrechen. Eine Händedesinfektion mit Alkohol sei im häuslichen Bereich nicht unbedingt nötig.

Austrocknung vermeiden

Es gibt keine ursächliche Therapie gegen den Rotavirus-bedingten Brechdurchfall. Daher gilt als oberstes Gebot: Der kleine Patient muss sofort viel Flüssigkeit wie Wasser oder Tee trinken, um den Flüssigkeitsverlust rasch zu beheben und eine Austrocknung (Dehydratation) zu verhindern. Orale Rehydratationslösungen gleichen den Elektrolytverlust aus (zum Beispiel Elotrans® neu, Oralpädon®, Milupa GES). Vor allem in den ersten Stunden des Brechdurchfalls ist dies ein Geduldsspiel, denn das Kleinkind soll möglichst im Abstand von einer bis zwei Minuten einen kleinen Löffel Flüssigkeit trinken. Außerdem sollten die Eltern ihrem erkrankten Kind so früh wie möglich Essen geben, empfahl Liese. »Damit sind 95 Prozent der Patienten gut behandelt.«

Wenn das Kind stundenlang dünnen wässrigen Stuhl hat und erbricht, matt und apathisch erscheint, wenig Urin ausscheidet oder nicht mehr trinken kann oder will, müssen die Eltern sofort den Kinderarzt aufsuchen. In schweren Fällen ist eine Einweisung ins Krankenhaus erforderlich; dort kann den Kleinen die lebensnotwendige Flüssigkeit parenteral zugeführt werden, zum Beispiel über eine Sonde in den Magen oder per Infusion in die Vene.

Wichtig für die Beratung: Antidiarrhoika wie Loperamid dürfen nicht gegeben werden, da sie die Darmmotilität und damit die Erregerausscheidung hemmen. Dagegen könnten Probiotika, zum Beispiel mit Lactobacillen, die Dauer der Durchfälle abkürzen, sagte Liese. Gleiches gelte für das verschreibungspflichtige Racecadotril (Beispiel Tiorfan®), das die Sekretion ins Darmlumen vermindert. Bei gesunden Kindern heilt die Erkrankung nach vier bis acht Tagen folgenlos aus.

Der Kinderarzt plädierte in diesem Zusammenhang für das Stillen. Untersuchungen hätten gezeigt, dass gestillte Kinder erst in einem höheren Lebensalter an schweren Magen-Darm-Infektionen erkranken als nicht gestillte.

Den einzig sicheren Schutz vor Rotaviren bietet jedoch die Impfung, betonte die Kinderärztin Lindlbauer-Eisenach. Seit Sommer 2006 sind in Deutschland zwei Lebendimpfstoffe für Säuglinge ab der 6. bis zur 24. beziehungsweise 26. Lebenswoche zugelassen (Rotarix® und Rotateq®). Für diese ist kein zusätzlicher Piecks nötig: Beide Produkte sind Schluckimpfstoffe, die der Arzt dem Kind in die Backentasche gibt. Die Kinder brauchen zwei beziehungsweise drei Dosen im Abstand von mindestens vier Wochen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Berlin sind beide Vakzinen hoch effektiv und haben kaum Nebenwirkungen. Die Impfung kann gemeinsam mit anderen Standardimpfungen erfolgen, erklärte die Ärztin.

Bislang müssen die Eltern die Impfung selbst bezahlen, da sie (noch) nicht in den offiziellen Impfkalender aufgenommen wurde. Nach Erfahrung der Experten in München übernehmen die Privatkassen die Kosten meistens, die gesetzlichen Krankenkassen nur sehr selten.

Zudem müsse man den Eltern erklären, dass die Impfung das Baby nur vor Rotaviren und nicht generell vor allen Durchfällen schützt, betonte die Ärztin. Der Impfschutz hält vermutlich zwei bis drei Jahre an und verhindert damit schwere Rotavirus-Erkrankungen bei sehr jungen Kindern. Eine Auffrischimpfung ist nicht vorgesehen. Da Rotaviren allgegenwärtig sind, sorgt der regelmäßige Kontakt für die nötige Auffrischung der Abwehrkräfte.

 

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