Wieder klar denken können |
25.04.2007 21:01 Uhr |
Wieder klar denken können
von Christiane Eickhoff, Berlin
Etwa 5 Prozent der Deutschen nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein, am häufigsten um Kopfschmerzen zu lindern. Circa 80 Prozent kaufen in der Apotheke ein Analgetikum, ohne vorher mit ihrem Arzt über ihre Beschwerden gesprochen zu haben. Deshalb kommt der Beratung durch PTA oder Apotheker eine besondere Bedeutung zu.
Unter der Vielzahl verschiedener Kopfschmerzformen treten Spannungskopfschmerz und Migräne am häufigsten auf. Spannungskopfschmerz betrifft circa 90 Prozent der Patienten. Nach den Symptomen befragt beschreiben die meisten den Schmerz als dumpf-drückend. Im Gegensatz zu Migräne wird er nicht durch körperliche Aktivität verstärkt, auch ist er selten mit Übelkeit, Licht- oder Lärmempfindlichkeit verbunden.
Experten bejahen grundsätzlich die Selbstmedikation von Kopfschmerzen, denn sie beurteilen die Schmerzen nicht als Warnsignal für eine andere Erkrankung. Eine Ausnahme bildet der chronische Spannungskopfschmerz. Von einer chronischen Erkrankung sprechen Mediziner dann, wenn die Patienten an mehr als 15 Tagen im Monat oder an mehr als 180 Tagen im Jahr unter Kopfschmerzen leiden.
Das folgende Beispiel ist eine typische Situation im Apothekenalltag: Eine junge Frau betritt die Apotheke und fragt die PTA nach einem guten Mittel gegen ihre Kopfschmerzen.
Zunächst erkundigt sich die PTA, wie sich der Schmerz bemerkbar macht und seit wann er besteht. Daraufhin berichtet die junge Frau: »Seit gestern Abend sind die Schmerzen unverändert und dumpf. Ich habe sonst nur ganz selten Kopfschmerzen und weiß diesmal auch überhaupt keinen Grund dafür.« Auf Nachfrage erhält die PTA die Information, dass keine weiteren Beschwerden vorliegen. Sie entscheidet daraufhin, dass sie der Kundin ein Präparat aus der Selbstmedikation empfehlen kann.
Für die Selbstmedikation von Schmerzen stehen im Wesentlichen drei Wirkstoffe zur Verfügung: Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Paracetamol. Pyrazol(on)-Derivate wie Phenazon und Propyphenazon haben nur noch eine geringe Bedeutung. Auch die Experten der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) empfehlen bei Spannungskopfschmerzen als Mittel der ersten Wahl eine Monotherapie mit 1000 mg Acetylsalicylsäure (ASS) oder 400 mg Ibuprofen sowie eine oder zwei Tabletten der fixen Kombination aus 250 mg ASS, 200 mg Paracetamol und 65 mg Coffein. Allerdings ist in Deutschland zur Zeit kein Präparat mit exakt dieser Zusammensetzung im Handel.
Verschiedene Produkte weichen in der Dosierung nur geringfügig von der empfohlenen Dreierkombination ab. Die Monotherapie mit Paracetamol nennt die DMKG als Mittel der zweiten Wahl.
Wirkstoffe für die Selbstbehandlung
Acetylsalicylsäure wirkt schmerzlindernd, fiebersenkend und in höheren Dosen auch entzündungshemmend. Daher eignet sich ASS insbesondere für die Behandlung von Kopfschmerzen und entzündlichen Schmerzen, zum Beispiel Zahnschmerzen. ASS wird in Einzeldosen von 0,5 bis 1 g eingesetzt, die Tageshöchstdosis beträgt 3 g.
Als häufigste Nebenwirkungen treten Magen-Darm-Beschwerden wie Magenschmerzen und Mikroblutungen auf, die meist harmlos bleiben, gelegentlich Übelkeit und Erbrechen. Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen, zum Beispiel Geschwüren oder Gastritis, sollten prinzipiell andere Wirkstoffe gegen ihre Kopfschmerzen einnehmen.
ASS darf nicht angewendet werden bei Patienten mit Asthma sowie schweren Leber- und Nierenfunktions- sowie Blutgerinnungsstörungen. Im letzten Trimenon der Schwangerschaft darf keine Selbstmedikation mit ASS mehr erfolgen, und nach der 36. Schwangerschaftswoche ist die Einnahme kontraindiziert. Wegen der Gefahr eines Reye-Syndroms, einer lebensbedrohlichen Lebererkrankung, sollten Kinder und Jugendliche grundsätzlich kein ASS einnehmen.
Bei der Abgabe eines ASS-haltigen Präparates können PTA oder Apotheker den Kunden darauf hinweisen, dass er vor zahnärztlichen oder chirurgischen Eingriffen das Präparat nicht einnehmen darf, da der Arzneistoff die Blutungsneigung erhöht.
Das Wirkprofil des Ibuprofens ähnelt dem der ASS. Auch Ibuprofen wirkt schmerzlindernd, entzündungshemmend und fiebersenkend. Es eignet sich ebenfalls gut zur Behandlung von Kopfschmerzen, entzündlichen Erkrankungen, Zahnschmerzen und Menstruationsbeschwerden. Aufgrund der gastrointestinalen Nebenwirkungen sollten Patienten mit Magen-Darm-Beschwerden Ibuprofen genau wie ASS nicht anwenden. Die Einzeldosis von Ibuprofen beträgt 200 bis 400 mg; die Tageshöchstdosis von 1,2 g sollte nicht überschritten werden.
Nicht für alle geeignet
Patienten mit Magen-Darm-Ulcera, Blutgerinnungsstörungen, schweren Leber- und Nierenfunktionsstörungen dürfen kein Ibuprofen einnehmen. Die Selbstmedikation ist auch nicht angezeigt bei Asthmapatienten, Kindern, Schwangeren und Stillenden. Die Neben- und Wechselwirkungen sind mit denen von ASS vergleichbar. Zusätzlich kann Ibuprofen die Wirkungen von Digoxin und Phenytoin bei gleichzeitiger Einnahme erhöhen.
Seit langem ist auch Paracetamol in der Behandlung von Fieber und Schmerzen bekannt und erprobt. Der Arzneistoff wirkt allerdings nur sehr schwach entzündungshemmend und wird aufgrund seiner guten Verträglichkeit Patienten mit Magen-Darm-Beschwerden empfohlen. Als Einzeldosis für einen Erwachsenen eignen sich 0,5 bis 1 g, die Tageshöchstdosis beträgt 4 g. Nebenwirkungen treten bei Paracetamol im Vergleich zu ASS und Ibuprofen erheblich seltener auf. So wurden in wenigen Fällen Überempfindlichkeitsreaktionen wie Hautrötungen beobachtet. Auf Grund der Gefahr von Leberschädigungen sollten PTA oder Apotheker die Kunden darauf hinweisen, dass sie Paracetamol nicht länger als eine Woche und nicht in höheren Dosen als im Beipackzettel angegeben anwenden. Wenn der Patient gleichzeitig Barbiturate oder Antiepileptika wie Carbamazepin einnimmt oder Alkohol trinkt, können auch unbedenkliche Dosierungen die Leber schädigen.
Grundsätzlich sollten PTA oder Apotheker die Patienten darauf hinweisen, dass sie Schmerzmittel mit ausreichend Flüssigkeit, am besten mit einem großen Glas Wasser einnehmen.
Bevor die PTA sich entscheidet, welches Präparat sie der Kundin empfehlen soll, klärt sie mögliche Kontraindikationen ab. So erkundigt sie sich unter anderem, ob die junge Frau gelegentlich Probleme mit dem Magen hat oder weitere Arzneimittel einnimmt. Da die Kundin dies verneint, fragt sie noch nach der gewünschten Darreichungsform, denn diese bestimmt den Wirkeintritt des Arzneimittels. Die Frau wünscht rasche Linderung ihrer Kopfschmerzen und daher einen schnellen Wirkungseintritt. Daher lässt die PTA sie zwischen Brausetabletten, Kautabletten oder einem Granulat auswählen. Diese Formen sind auch besser verträglich als Tabletten.
Die Kundin entscheidet sich für Brausetabletten und möchte direkt zwei Tabletten einnehmen. Während beide beobachten, wie sich die Tabletten auflösen, weist die PTA die Frau darauf hin, dass die im Beipackzettel genannten Wechselwirkungen nur bei langfristiger Einnahme von ASS zu erwarten sind. »Bei der ein- bis zweitägigen Selbstmedikation treten diese normalerweise nicht auf.«
Abschließend bittet sie die Frau, das Präparat nicht länger als drei Tage anzuwenden. »Ist bis dahin keine Besserung eingetreten, sollten Sie zum Arzt gehen.«
Grenzen der Selbstmedikation
Ein Mann mittleren Alters bittet die PTA um ein Mittel gegen seine starken Kopfschmerzen, die seit drei Tagen unvermindert anhalten. Er erzählt, er habe zwar gestern über den Tag verteilt sechs Aspirin® Tabletten eingenommen, doch selbst diese Menge hätte nicht geholfen. Außerdem sei die Packung jetzt aufgebraucht. Er macht einen irritierten Eindruck. Auf Nachfrage antwortet er: »Ich habe nur sehr selten Kopfschmerzen, und diese Intensität kenne ich nicht.«
Die Dauer und die bisher ungekannte Stärke der Kopfschmerzen weisen darauf hin, dass in diesem Fall die Grenze der Selbstmedikation überschritten ist. Außerdem hat der Patient bereits die Tageshöchstdosis ASS eingenommen und dennoch keine Wirkung verspürt. Deshalb bittet die PTA den Mann, möglichst bald den Arzt aufzusuchen, um die Ursache der Kopfschmerzen klären zu lassen. Beispiele für Grenzen der Selbstmedikation enthält der Kasten.
Empfehlungen der Experten
Im Unterschied zum Spannungskopfschmerz treten die Schmerzen bei Migräne meist einseitig, pulsierend oder hämmernd und anfallsartig auf. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die meisten Patienten suchen Ruhe und meiden Licht, denn Migräne ist oft mit Übelkeit, Licht- oder Lärmempfindlichkeit verbunden. Ob ein Patient tatsächlich an Migräne erkrankt ist, kann nur der Facharzt entscheiden. Hat der Arzt die Migräne bereits eindeutig diagnostiziert, können die Betroffenen bei den ersten Anzeichen ebenfalls einen der drei Arzneistoffe aus der Selbstmedikation einnehmen. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft empfiehlt zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Migräneanfällen als Einzeldosis 1000 mg ASS, 400 mg Ibuprofen oder 1000 mg Paracetamol. Seit eine große Studie ergab, dass die folgende Kombination gut verträglich war und besser wirkte als verschiedene Einzelsubstanzen, empfiehlt die DMKG ebenfalls die fixe Kombination aus 500 mg ASS, 500 mg Paracetamol und 130 mg Coffein oder ein Präparat mit ähnlicher Dosierung.
Triptan als neue Option
Seit April 2006 steht mit Naratriptan aus der Wirkstoffgruppe der Triptane eine weitere rezeptfreie Arzneisubstanz für die Selbstmedikation von Kopfschmerzphasen während einer Migräneattacke zur Verfügung. Naratriptan sollte der Patient gleich zu Beginn einer Migräneattacke einnehmen, denn die Wirksamkeit der Triptane ist umso besser, je früher sie angewendet werden. In den meisten Fällen reicht eine Tablette aus. Falls die Schmerzen wieder stärker werden oder erneut aufflammen, kann der Betroffene innerhalb von 24 Stunden eine zweite Dosis nehmen. Diese macht allerdings keinen Sinn, wenn mit der ersten Tablette keine Besserung erreicht wurde. Dann sollte der Patient einen Therapieversuch mit den oben genannten Wirkstoffen machen.
Da der Wirkmechanismus der Triptane sehr spezifisch ist, helfen sie nur bei Migränekopfschmerzen. Die Substanzen greifen an den gleichen Rezeptoren an wie das Serotonin, sie stellen die Gehirngefäße eng und unterbrechen die Entzündung. Triptane lindern daher nicht nur die Schmerzen, sondern auch die typischen Begleitsymptome einer Migräne wie Übelkeit, Licht- und Lärmempfindlichkeit. Der Arzneistoff ist insgesamt gut verträglich. Patienten mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung dürfen kein Naratriptan in der Selbstmedikation einnehmen, denn hoher Blutdruck, ein Schlaganfall, periphere Gefäß- und Herzerkrankungen gehören zu den Kontraindikationen. Jugendliche unter 18 Jahren sowie über 65-Jährige sollten Naratriptan nicht ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt anwenden. Dasselbe gilt für Schwangere und Stillende sowie für Patienten mit bestehenden Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, beispielsweise erhöhte Cholesterolwerte.
Vielen Patienten helfen bereits Ruhe, Entspannung, frische Luft, Schlaf, Alkohol- und Nikotinabstinenz. Bei manchen lindern Kälte- und Wärmeanwendungen zusätzlich die Beschwerden. Jeder findet am besten selbst heraus, welche Maßnahmen für ihn die geeignetsten sind. Seit langem bekannt und weit verbreitet ist die Anwendung von Pfefferminzöl bei Spannungskopfschmerz. Dabei verreiben die Patienten wenige Tropfen des Öls im Abstand von jeweils 15 Minuten auf Stirn und Schläfen.
Bei Patienten mit chronischen Kopfschmerzen werden auch Entspannungstechniken, zum Beispiel die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, sowie Stress- und Reizverarbeitungsstrategien eingesetzt.
Risiko eines Missbrauchs
Jedem Beratenden sollte bewusst sein, dass 0,5 bis 1 Prozent der Deutschen missbräuchlich Schmerzmittel anwenden. Eine Untersuchung ergab, dass diese kleine Patientengruppe circa zwei Drittel der Schmerzmittel einnimmt. Unter einem Missbrauch verstehen Mediziner die Einnahme von mehr als 10 Einzeldosen pro Tag.
Bestimmungsgemäß angewendet gelten Analgetika als sicher. Die missbrächliche Einnahme, insbesondere von Kombinationspräparaten, schädigt die Gesundheit irreparabel. Bei dauerhaftem Schmerzmittelgebrauch steigt das Risiko für Nierenschädigungen, sogenannte Analgetika-Nephropathien, die bis hin zum Nierenversagen und zur Dialysepflicht führen können.
Wenn PTA oder Apotheker einem Patienten regelmäßig auf dessen Wunsch Analgetika verkaufen, tragen sie ebenfalls Mitverantwortung für die Folgen des hohen Konsums. Der sogenannte Analgetika-induzierte Dauerkopfschmerz ist eine mögliche Folge. Der Dauerschmerz erzeugt bei den Betroffenen den Wunsch nach häufigeren und höheren Schmerzmitteldosen, wodurch sich die Problematik weiter verstärkt. Das Risiko einer Schmerzmittelabhängigkeit steigt mit der Dosis und durch den Zusatz zentral wirksamer Substanzen. Die Behandlung Abhängiger gehört in die Hand eines erfahrenen Arztes. Ein Analgetika-Entzug erfolgt stationär in einer Klinik unter der Aufsicht von Spezialisten.
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