Nase frei in der Pollensaison |
01.05.2009 11:54 Uhr |
Nase frei in der Pollensaison
von Iris Priebe
Endlich werden die Tage länger, und mit den wärmeren Temperaturen erwacht die Natur. Doch nicht alle Menschen freuen sich über die Frühlingsboten. Für Heuschnupfenallergiker beginnt eine beschwerdevolle Zeit.
Der Pollenflug vieler Sträucher und Bäume zwingt die meisten Pollenallergiker, ihre Zeit statt draußen an der frischen Luft innerhalb der Wohnung zu verbringen. Bereits Mitte Februar meldete die Stiftung Deutscher Pollenfluginformationsdienst die ersten Haselnusspollen in der Luft.
Eine Allergie ist eine überschießende Immunreaktion auf körperfremde Stoffe, sogenannte Allergene, die normalerweise keine Beschwerden auslösen. Der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) schreibt nach vorsichtigen Schätzungen rund 20.000 Substanzen ein allergenes Potenzial zu. Ihr Spektrum erstreckt sich von Nahrungsmitteln über Zusatzstoffe bis hin zu Schimmelpilzen und Tierspeichel, Chemikalien und Metallen. Als häufigste Allergieauslöser gelten Eiweiße pflanzlicher oder tierischer Herkunft; hierzu gehören unter anderem der Blütenstaub von Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Kräutern und Getreide. Den Gräsern verdankt der Heuschnupfen seinen Namen.
Trifft ein Allergen auf das Immunsystem, kann das zu einer Sensibilisierung führen. Das Immunsystem produziert dann Antikörper, die das entsprechende Allergen immer wieder erkennen. Bei jedem weiteren Kontakt alarmieren diese spezifischen Antikörper Mastzellen in der Haut oder den Schleimhäuten, die spontan den Botenstoff Histamin freisetzen. Histamin erweitert die Blutgefäße, macht sie durchlässiger und beschleunigt die Durchblutung, sodass sich Haut oder Schleimhäute röten, entzünden und anschwellen. Über eine Stimulation von Nervenzellen löst Histamin außerdem quälenden Juckreiz aus.
Allergie im Erbgut
Ob ein Mensch Allergiker wird, liegt oft in seinen Genen. Ärzte gehen von einer 10- bis 20-prozentigen Disposition in der deutschen Bevölkerung aus. Diese Allergiebereitschaft nennen sie Atopie, und die Betroffenen heißen Atopiker. Das Wort stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet »nicht zuzuordnen, Ungewöhnliches oder Seltsames«. Die Veranlagung muss aber nicht zwangsläufig zum Ausbruch der Erkrankung führen. Atopiker reagieren nur häufiger auf Allergene als Nicht-Atopiker; manche werden im Laufe ihres Lebens auf immer mehr Substanzen allergisch. Andere verlieren ihre Empfindlichkeit auch wieder.
Leidet ein Elternteil an einer Allergie, besteht für das Kind ein Risiko zwischen 20 und 40 Prozent, selbst Allergiker zu werden. Nicht voraussagen lässt sich, ob sich die Allergie als Heuschnupfen, Asthma, Hautekzem oder durch Magen-Darm-Beschwerden äußert. Sind beide Eltern Allergiker, liegt das Risiko für ihre Kinder bei 40 bis 60 Prozent. Leiden Mutter und Vater an der gleichen Allergie, steigt das Risiko auf bis zu 80 Prozent.
Schädliche Keimfreiheit
Manche Forscher sehen in den verbesserten hygienischen Verhältnissen den Grund für die Zunahme der Allergiker. Heutzutage würde das Immunsystem nicht mehr ausreichend stimuliert. Der Kontakt mit Krankheitserregern, zum Beispiel Würmern und Bakterien, trainierte Jahrhunderte lang das Immunsystem. Inzwischen werden diese Infektionen immer seltener, und das Immunsystem ist regelrecht »unterbeschäftigt«. Als Folge bekämpft es nun an sich harmlose Stoffe wie Pollen, lautet eine Theorie.
Zahlreiche Keime siedeln auf der menschlichen Haut, den Schleimhäuten, auch im Darm und bilden eine erste Abwehrbarriere gegenüber körperfremden Substanzen und pathogenen Keimen. Die Verfechter einer anderen Theorie sind davon überzeugt, dass die Menschen die physiologische Bakterienflora durch übermäßige Körperhygiene oder den unnötigen Einsatz von Desinfektionsmitteln und Haushaltsreinigern schädigen. Ist die Flora zerstört, können sich krankmachende Bakterien ausbreiten.
Professorin Dr. Erika von Mutius, Kinderärztin und Allergologin an der Universität München, untersuchte Kinder, die auf Bauernhöfen groß wurden und mit einer Vielzahl verschiedener Bakterien Kontakt hatten. Diese Kinder litten deutlich seltener unter Allergien. Aufgrund dieser Studie forschen aktuell Professor Dr. Albrecht Bufe von der Ruhr-Universität Bochum und Professor Dr. Otto Holst vom Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften in Borstel an einem Impfstoff. Dieser wird Endotoxine enthalten. Das sind Zerfallsprodukte bestimmter Bakterien, die das Immunsystem trainieren sollen. Damit wird es »abgelenkt« und soll zukünftig nicht mehr auf harmlose Substanzen allergisch reagieren.
Heuschnupfen-Karriere
Pollen gehören zu den Inhalationsallergenen, weil sie über die Atemluft auf die Schleimhäute in Nase und Lunge gelangen. Als erste Abwehrreaktion versucht der Körper durch kräftiges Niesen die Nasenschleimhäute von den Pollen zu befreien. Mit der Zeit schwellen die Schleimhäute jedoch mehr und mehr an. Häufig jucken und tränen auch die Augen. Im Laufe der Jahre kommt es bei vielen Patienten zu einem Etagenwechsel, das heißt, die Erkrankung greift von der Nase auf die unteren Atemorgane über: Beim allergischen Asthma bronchiale schwillt die Bronchialschleimhaut an und produziert große Mengen Sekret. Dadurch verengen sich die Bronchien, und es kommt zu dem für Asthmatiker typischen Pfeifgeräusch beim Atmen, zu ständigem Hustenreiz, zähem Auswurf und anfallsartiger Atemnot.
Kreuzallergien
Viele Pollenallergiker entwickeln außer Heuschnupfen das orale Allergie-Syndrom: Wenn sie bestimmte Obst-, Getreide- und Gemüsesorten, Gewürze oder Nüsse essen, spüren sie ein Kribbeln im Mund. Bei manchen schwellen die Mundschleimhäute und Lippen an. Ursache für diese pollenassoziierte Nahrungsmittelallergie sind kurze Eiweißstrukturen auf den Allergenen, sogenannte Epitope, die in ihrer biochemischen Struktur derjenigen auf den Pollen extrem ähneln. Das Immunsystem kann sie nicht unterschieden und reagiert daher auf Pollen und Nahrungsmittel gleichermaßen allergisch.
Pollenallergie auf | Beispiele für Nahrungsmittel, die oft nicht vertragen werden |
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früh blühende Bäume und Sträucher wir Birke, Hasel, Erle | Äpfel, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Erdbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Aprikosen, Pfirsiche, Kiwis, Litschis, Maracujas, Nüsse, Mandeln, Sellerie |
Wildgräser und Getreide wie Roggen, Weizen, Hafer, Gerste | Erdnüsse, Getreideprodukte, Mehl, Kleie, Bohnen, Erbsen, Linsen, Soja, Tomaten, seltener auch Melonen,Mangold und Spinat |
Kräuter, besonders Beifuß | Sellerie, Fenchel, Möhren, Paprika, Kartoffeln, Gurken, Artischocken, Melonen, Mangos, Litschis, Weintrauben, Anis, Senf, Curry, Zimt, Knoblauch, Pfeffer, Muskat |
Therapie zum Durchatmen
Viele Arzneistoffe zielen darauf ab, die Wirkung des Botenstoffs Histamin zu unterdrücken. Die H1-Antihistaminika blockieren den Histamin-Rezeptor H1. Neben den systemischen H1-Antihistaminika, die als Tabletten, Tropfen oder Saft eingenommen werden, gibt es auch Nasensprays und Augentropfen zur lokalen Applikation.
Zur sogenannten ersten Generation freiverkäuflicher, systemischer H1-Antihistaminika zählen zum Beispiel Dimetinden (wie Fenistil®) und Clemastin (wie Tavegil®). Auch Triprolidin, enthalten im Kombinationspräparat Rhinopront®Kombi, fällt unter diese Substanzklasse. Ein Nachteil dieser oralen Präparate ist, dass sie die Blut-Hirn-Schranke mühelos überwinden und müde machen. Bei den H1-Antihistaminika der zweiten Generation kommt diese Nebenwirkung weniger zum Tragen, da sie relativ schlecht die Blut-Hirn-Schranke passieren. Zu diesen Arzneistoffen gehören Cetirizin (wie in Zyrtec®, Reactine®) und Loratadin (wie in Lisino®, Lorano®). Als Nasensprays und/oder Augentropfen sind auf dem Markt: Antazolin (wie in Spersallerg®), Azelastin (wie Vividrin®akut) und Levocabastin (wie Livocab®).
Im Gegensatz zu den Antihistaminika nutzen Mastzellstabilisatoren ein anderes Prinzip, um die Histaminwirkung auszuschalten. Der bekannteste Vertreter dieser Substanzgruppe ist das rezeptfreie Natriumcromoglicat (wie in Vividrin® gegen Heuschnupfen, Allergo-Comod®), das lokal in Sprays und Augentropfen zum Einsatz kommt. Natriumcromoglicat wirkt allerdings verzögert, daher müssen Heuschnupfenallergiker die Sprays bereits ein bis zwei Wochen vor dem voraussichtlichen Pollenflug applizieren.
Helfen weder Mastzellstabilisatoren noch H1-Antihistaminika, können Heuschnupfenpatienten auf das freiverkäufliche Glukokortioid Beclometason als Spray (wie in Livocab®direkt mit Beclometason 0,05%, Rhinivict®nasal 0,05 mg und RatioAllerg®) zurückgreifen. Die Dosis wird in der Regel morgens und abends appliziert. Tritt nach etwa 14 Tagen keine deutliche Besserung ein, muss der Patient den Arzt aufsuchen.
Gewappnet für die nächste Saison
Letztlich unterdrücken die genannten Wirkstoffe nur die Symptome – die Ursache der Allergie beheben sie nicht. Das versucht die spezifische Immuntherapie, auch Hyposensibilisierung genannt. Dabei unterscheiden Mediziner zwischen der subkutanen Immuntherapie (SKIT) und der sublingualen Immuntherapie (SLIT). Bei der SKIT injiziert der Arzt anfangs in ansteigenden, später in gleichbleibend hohen Mengen ein Allergen. Dadurch soll die Empfindlichkeit gegenüber den Allergenen aufgehoben werden. Für die Hyposensibilisierung gegen Pollen stehen Extrakte mit Baum-, Gräser- und Kräuterpollen zur Verfügung. Die Therapien beginnen oft in der pollenfreien Zeit, im Herbst oder Winter, und enden vor der Pollensaison. Dann ist der Patient fürs Frühjahr gewappnet.
Mithilfe der SLIT nimmt der Patient die Allergene in Form von Tabletten oder Tropfen über die Mundschleimhaut auf. Diplom-Biologin Anja Schwalfenberg vomDAAB beurteilt die Studienergebnisse für die sogenannte Gräserimpftablette alsviel versprechend. Aufgrund ausstehender Langzeitstudien bewertet sie den Einsatz sublingualer Immuntherapien, besonders bei Kindern, allerdings noch zurückhaltend.
Produktbeispiele für Tropfen, Pumplösung oder Einzeldosenpipetten (alle rezeptpflichtig) sind SLITonePLUS®, Novo-Helisen®oral, Oralvac® Compact und Sublivac®. Der Allergologe verordnet entweder ein individuell zusammengesetztes Präparat oder greift auf fertige orale Extraktmischungen zurück. Die Tropfen enthalten nur ein, manchmal mehrere Allergene. Der Patient tropft oder pumpt dann zu Hause täglich eine bestimmte Dosis unter die Zunge. Ideal ist der Therapiebeginn im Herbst, einige Präparate kann der Allergiker aber auch erst im Frühjahr einnehmen. Die verschreibungspflichtigen Arzneimittel Oralair® und Grazax® gibt es bisher als Sublingualtabletten ausschließlich gegen Gräserpollen-Allergien.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
irispriebe(at)gmx.de