Prävention an allen Liebesorten |
02.05.2009 09:24 Uhr |
Prävention an allen Liebesorten
von Annette Behr
Demnächst werden deutschlandweit auf Plakaten, in TV- und Kinospots »Liebesorte« des Fotografen Jan von Holleben zu sehen sein. Die neue »Mach’s mit«-Kampagne gegen Aids wurde Ende März mit einer aufwendigen Auftaktveranstaltung in Berlin vorgestellt, unter Mitwirkung von Ulla Schmidt und Lilo Wanders.
»Sex ist großartig, aber Aids ist nicht heilbar. Also, mach’s mit.« Mit diesen Worten leitete Moderator Steffen Hallaschka die Veranstaltung zur neuen Präventionskampagne gegen Aids ein. Initiator ist wieder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Unter dem Motto »Mach’s mit – gib Aids keine Chance« will die BZgA diesmal mit Liebesorten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregen, mit Plätzen also, an denen Menschen sich lieben und Sex miteinander haben: von der Matratze auf dem Fußboden, über das idyllische Ufer am See, bis zum plüschigen Bordellbett. Die Szenen auf den Fotografien bieten viel Raum für Fantasien, denn es sind keine Menschen darauf zu sehen. Lebenssituationen als Momentaufnahmen hat der 32-jährige Fotograf Jan von Holleben eingefangen. Sein Lieblingsmotiv ist das Musikerzimmer. »Es war am spannendsten zu inszenieren und zu fotografieren«, sagte er. Mit den neun verschiedenen Motiven sollen Tabus gebrochen werden. Die Botschaften sind kurz und einfach: Ein loderndes Kaminfeuer wird mit den knappen, aber drastischen Worten »Mit dem Feuer spielen – Aids riskieren« ergänzt. Ideengeberin der Liebesorte-Kampagne ist die Potsdamer Studentin Dörte Matzke. Sie gewann den Ideenwettbewerb der BZgA.
Gib AIDS keine Chance
»Rund um die 65.000 Großplakate wird es im öffentlichen Raum knistern«, meinte der Radio- und Fernsehjournalist Steffen Hallaschka. »Die Prävention ist heute genauso wichtig wie vor 20 Jahren. Es hat sich eine Sorglosigkeit ausgebreitet, weil die Menschen der Meinung sind, Aids sei heilbar.«
Mit diesem Irrglauben räumte auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf: »Aids ist eine unheilbare Krankheit. Sex ohne Schutz kann tödlich sein. Die Kampagne lehrt, dass jeder Verantwortung für sich und andere übernehmen muss.«
Aids ist nicht besiegt, aber noch nie haben so viele Deutsche Kondome benutzt wie derzeit. Nach Angaben der BZgA hat sich die Zahl der Neuinfektionen 2008 erstmalig nicht erhöht, während sie in den Jahren zwischen 2000 und 2007 kontinuierlich angestiegen war. In repräsentativen Untersuchungen gaben 63 Prozent der Befragten mit wechselnden Sexualpartnerinnen oder -partnern an, immer oder zumindest häufig Kondome zu benutzen. Bei den 16- bis 20-Jährigen nutzen inzwischen sogar 66 Prozent immer oder häufig Kondome.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts gibt es in Deutschland jährlich 3000 Neuinfektionen. 9 von 10 HIV-Infektionen werden durch sexuellen Kontakt übertragen. Zwei Drittel aller Neuinfektionen sind auf ungeschützten Sex zwischen Männern zurückzuführen. Bei ihnen stieg die Zahl der Neuinfektionen mit 12 Prozent überdurchschnittlich an. Obwohl sich weniger Menschen neu infizieren, kann die Zahl der gemeldeten Aids-Diagnosen steigen. Denn immer mehr Menschen lassen sich auf HIV testen und immer häufiger werden dabei neue sowie alte Infektionen entdeckt.
Eine HIV-Infektion bedeutet eine massive Belastung für den Betroffenen. Die starken Nebenwirkungen der Medikamente schränken ihr Leben ein. Zusätzlich verursacht die Krankheit hohe Kosten. Für die lebenslange Behandlung sind derzeit circa 500 000 Euro nötig.
Ziel der Aufklärung ist es, den Kondomgebrauch noch stärker zu fördern. Auch Prominente wie die ehemalige »Wa(h)re Liebe«-Moderatorin Lilo Wanders werben daher für die aktuelle Kampagne. Die »Botschafterin der Herzen« engagiert sich seit vielen Jahren in der Aids-Prävention.
»Ich finde die Kampagne gewagt. Es wird Widerspruch geben«, sagte sie mit süffisantem Lächeln. »Auf den Motivplakaten gibt es so viel zu entdecken. Auf eher konservativ ausgerichtete Menschen werden die Bilder eine provokante Wirkung haben, andere werden einfach schmunzeln. Es bleibt auf jeden Fall etwas hängen!« Je drastischer die Motive seien, desto besser, meinte Lilo Wanders im Gespräch mit PTA-Forum. Mit dem Kultsatz »Öffnet die Herzen, herzt die Öffnungen«, beendete sie jede ihrer TV-Sendungen, die sich mit dem Thema Sexualität beschäftigte.
Heutzutage werde sie schon einmal mit »Die große alte Dame des Poppens« begrüßt, sagte Wanders lachend. Beim Thema Aufklärung wurde die Sympathieträgerin aber ernst. Wanders findet es erschreckend, wie viel Nichtwissen unter Jugendlichen existiert. Mit ihrem Buch: »Voll aufgeklärt – 100 Antworten auf tausend Fragen« möchte sie dem Halbwissen der Jugendlichen ein Ende bereiten. Es geht um ansteckende Krankheiten, aber auch um die Freuden an der Sexualität. »Auch ich kenne Situationen, in denen man leichtsinnig wird. Ich kenne aber auch die Panik und Angst hinterher«, sagte Wanders. Ihr liegt die Zielgruppe der älteren homosexuellen Männer besonders am Herzen. Bei ihnen schleiche sich eine Art Verhütungsmüdigkeit ein, denn diese Männer benutzten seit 20 Jahren Kondome. »Sie haben einfach keine Lust mehr dazu und gehen das Risiko einer Infektion ein. Ich kenne einige Männer, die sich mit über 50 Jahren infiziert haben«, berichtete Wanders.
Moderne Zeiten
Aufklärung und Bewusstsein über die Infektionsrisiken müssen wach gehalten werden. Ulla Schmidt lobte die »Mach’s mit«-Kampagne: »Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass in Deutschland ein sehr hohes Bewusstsein für die Infektionsrisiken und den Schutz vor einer HIV-Infektion besteht.« Die Liebesorte-Kampagne spräche die Menschen glaubwürdig, lebensnah und fantasievoll an. Im Hinblick auf die ablehnende Haltung von Papst Benedikt XVI. zum Gebrauch von Kondomen zur HIV-Prävention fand die Direktorin der BZgA, Professor Dr. Elisabeth Pott, eindeutige Worte: »Wir orientieren uns an der Lebenswirklichkeit!«
Die Wirklichkeit ist erschreckend: Weltweit sind circa 33 Millionen Menschen mit HIV infiziert. Jährlich sterben über 2 Millionen Menschen an Aids, die meisten in den Ländern des südlichen Afrika. Besorgniserregend ist auch der Anstieg an Neuinfektionen in Osteuropa und Asien. Dort fehlt es besonders an Risikobewusstsein, Aufklärung und medizinischer Hilfe.
Die neue Präventionskampagne wird auch auf Fachkongressen und Tagungen sichtbar und erlebbar sein. Das große Ausstellungsstück, das rote Bordellsofa, angelehnt an das Motiv »Fantasien ausleben«, enthält in seinen plüschigen Kissen Bildschirme mit Touchscreens. Auf ihnen werden die Motive der Kampagne präsentiert. Innenraumplakate und Postkartenmotive können kostenlos bei der BZgA bestellt oder die Motive im Internet heruntergeladen werden. Unter www.machsmit.de können Hobbyfotografen eigene Liebesorte-Motive einreichen. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.
Was wissen junge Leute heute wirklich über Sexualität? Wie aufgeklärt sind pubertierende Schüler? Der Fall Marco, der im türkischen Gefängnis saß und dem eine Haftstrafe von acht Jahren drohte, zeigt die Arglosigkeit des Umgangs Jugendlicher miteinander. Immer häufiger werden 15-Jährige schwanger. In diversen Umfragen wussten 12-jährige Mädchen nicht, was ein Eisprung ist. Dieses Buch will dem ein Ende setzen.
Lilo Wanders, die sich seit Jahren für die Aids-Prävention und drogenabhängige Jugendliche einsetzt, hat selbst drei Kinder durch die Pubertät gebracht. Daher ist es ihr ein Herzensanliegen, in einer Zeit ein Buch zu veröffentlichen, in der alle so tun, als wüssten sie genug über Sexualität. Das Buch gibt kompetente Antworten auf noch so unbeholfene Fragen: Wie gestalte ich das erste Mal? Wie verhüte ich? Wie schütze ich mich vor Aids? Wie benutzt man ein Kondom? Ein übersichtlicher Ratgeber für Kids, Lehrer, Erzieher und Eltern mit ausführlichem Adressenteil aller wichtigen Beratungsstellen.
Moderne Verlagsges. Mvg, 170 Seiten, broschiert, ISBN: 978-3636063762, EUR 14,90. Zu bestellen beim Govi-Verlag unter Tel. 06169 928257, per E-Mail service(at)govi.de oder unter www.govi.de.
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