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Seltene Erkrankungen

Lebenslange Diät bei Phenylketonurie

25.03.2011  11:26 Uhr

Von Iris Priebe / Aktuellen Schätzungen zufolge leben in Deutschland rund 2500 Menschen mit der Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie. Bei den Betroffenen reichert sich aufgrund eines Enzymdefekts oder -mangels die Aminosäure Phenylalanin im Körper an. Ohne Behandlung endet die Erkrankung letztlich in einer irreversiblen geistigen Behinderung.

Phenylalanin ist eine von acht essenziellen Aminosäuren, die der Mensch mit der Nahrung zuführen muss. Enthalten ist Phenylalanin in allen eiweißhaltigen Lebensmitteln pflanzlicher und tierischer Herkunft. Phenylalanin aus der Nahrung braucht der Körper zur Eiweißsynthese, den größten Anteil wandelt er allerdings in der Leber mithilfe des Enzyms Phenylalanin-Hydroxylase zur Aminosäure Tyrosin um. Diese ist Ausgangssubstanz für die Neurotransmitter Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin, den Pigmentfarbstoff Melanin und das Schilddrüsenhormon Thyroxin.

Aminosäure »vergiftet« Zellen

Bei circa einem von 8000 Neugeborenen in Deutschland funktioniert das Enzym Phenylalanin-Hydroxylase nur unzureichend oder gar nicht. Dann gehört dieser Säugling zur Gruppe der an Phenylketonurie (PKU) Erkrankten. Die Ursache ist ein genetischer Defekt, in dessen Folge sich immer mehr Phenylalanin im Blut und im Gewebe anreichert, was die Entwicklung des Babys massiv beeinträchtigt. Früher, als die Stoffwechselstörung nicht bekannt war, blieben diese Kinder in ihrer Entwicklung zurück und waren mit den Jahren schwer geistig und motorisch behindert.

Aktuell kennen Wissenschaftler rund 400 verschiedene Mutationen des Gens, das den Bauplan für die Phenylalanin-Hy­droxylase liefert. Lage und Art der Mutation bestimmen, in wie weit das Enzym noch gebildet wird. Der Gendefekt wird autosomal-rezessiv vererbt, das heißt, es erkranken nur Kinder, wenn beide Elternteile das defekte Gen besitzen und weitervererben. Hat das Kind das defekte Gen geerbt, erkrankt es nicht automatisch an PKU: Die Wahrscheinlichkeit beträgt nur etwa 25 Prozent. Ebenfalls bei 25 Prozent liegt die Chance, gesund zur Welt zu kommen und kein Überträger zu sein. Die restlichen 50 Prozent der Kinder bleiben zwar gesund, haben jedoch das defekte Gen geerbt und könnten daher selbst ein krankes Kind bekommen. Sind in einer Familie Fälle von PKU bekannt, lassen sich heutzutage Paare mit Kinderwunsch von einem Humangenetiker beraten, wie dieser das Risiko für ihr zukünftiges Kind einschätzt.

In Deutschland testet ein Arzt jedes Neugeborene bereits nach 3 bis 6 Lebenstagen routinemäßig auf PKU. Dieses Neugeborenen-Screening gehört zur U2 und wurde bereits in den 1970er Jahren in Deutschland eingeführt.

Bis vor kurzem entnahm man dem Säugling einen Tropfen Blut aus der Ferse, der auf ein Filterpapier aufgetragen wurde. In einem Speziallabor wurde die Probe mit dem sogenannten Guthrie-Test untersucht. Von diesem Test haben die Mediziner in Deutschland inzwischen Abstand genommen, weil das Verfahren zu viele Fehlerquellen aufwies.

Heute wird das in einer Blutprobe enthaltene Phenylalanin durch eine chemische Reaktion in eine fluoreszierende oder farbige Verbindung umgewandelt, die anschließend quantitativ durch Massenspektrometrie bestimmt werden kann. Ergeben sich dabei verdächtige Werte, folgen chromatographische Nachweismethoden. Liegen die Werte für Phenylalanin im Blut über 2 mg/dl, gilt die PKU als sicher.

Bliebe eine PKU unentdeckt, würden die Eltern bereits nach drei Lebensmonaten feststellen, dass ihr Kind sich nicht normal entwickelt: Weil das Gehirn langsamer wächst, verzögert sich die geistige Entwicklung. Zusätzlich können neurologische Symptome wie epileptische Anfälle oder Störungen der Muskelspannung hinzukommen. Oftmals entwickeln die kleinen Patienten auch Verhaltensstörungen, zum Beispiel sind sie hyperaktiv oder besonders aggressiv. Weil auch die Produktion des Hautpigments Melanin gestört ist, sind Haut und Haare auffällig hell und die Pupillen blau oder rot gefärbt. Außerdem leiden die Patienten häufig unter ekzemähnlichen Hautausschlägen oder Flecken.

Viele PKU-Patienten umgibt oftmals ein Geruch, den ihre Umwelt als unangenehm empfindet. Ein Teil des angereicherten Phenylalanins wird zu Phenylpyruvat, -acetat und -lactat abgebaut, die sehr charakteristisch riechen. Der Patient scheidet die Substanzen über den Harn, aber auch über den Schweiß aus. Diese Phenylketone im Harn gaben der Krankheit übrigens ihren Namen.

Sobald ein Arzt die Phenylketonurie diagnostiziert, müssen sich die betroffenen Kinder konsequent phenylalaninarm ernähren und diese Diät ein Leben lang befolgen. Das ist nicht einfach, da Phenylalanin in allen eiweißhaltigen Nahrungsmitteln enthalten ist. Konkret bedeutet das: PKU-Patienten müssen auf viele Lebensmittel ganz oder weitestgehend verzichten (siehe auch Tabelle). Halten die Kinder die Diät strikt ein, entwickeln sie sich in aller Regel völlig normal.

Auswahl an Lebensmitteln speziell in der Wachstumsphase

Erlaubt Verboten
Eiweißarme Diätprodukte wie Brot, Gebäck, Kuchen, Cornflakes Fisch, Fleisch, Wurst, Käse, Milch, Milchspeiseeis, Joghurt, Quark, Brot, Kuchen, Cornflakes
Obst, Gemüse, Blattsalat Hülsenfrüchte
Kartoffeln, eiweißarme Nudeln Mehl, Gries, Haferflocken, Reis, Nudeln
Öle, Margarine Eier
Traubenzucker, Zucker Süßstoff Aspartam
Konfitüre, Honig Nüsse, Schokolade

Weil die »verbotenen« Nahrungsmittel aber auch Mineralstoffe, Spurenelemente, Vitamine sowie weitere essenzielle Aminosäuren enthalten, ist die Ernährung stets eine Gratwanderung. Vor allem Kinder brauchen diese unentbehrlichen Nährstoffe. Insgesamt benötigen Säuglinge etwa 2,1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht, Erwachsene rund 0,7 g/kg. Sogar PKU-Patienten müssen Phenylalanin in sehr geringen Mengen zuführen, da der völlige Entzug Mangelerscheinungen nach sich ziehen könnte. Weil ihr Organismus durch den Enzymdefekt auch weniger Tyrosin bildet, müssen sie auch dieses Defizit über die Nahrung ausgleichen.

Eiweißersatz und Diätprodukte

Für PKU-Patienten sind phenylalaninfreie Protein- beziehungsweise Milchersatzpräparate auf dem Markt. Diese Aminosäuremischungen schmecken und riechen meist unangenehm. Sind die Kinder von klein auf daran gewöhnt, tolerieren sie die Produkte. Lehnen Kinder die Diät ab, dann meist, weil ihnen die Eltern immer wieder Ausnahmen von der Diät erlaubt haben und sie dadurch »auf den Geschmack« gekommen sind. Für ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt es bilanzierte eiweißhaltige Lebensmittel wie Nudeln und Brot, die ebenfalls frei von Phenylalanin sind.

Neugeborene erhalten vor dem Stillen 30 bis 50 ml eines phenylalaninfreien Milch-ersatzgemisches, danach können sie an der Brust trinken, so viel sie mögen. Muttermilch enthält mit circa 3000 µmol/l deutlich weniger Phenylalanin als Kuhmilch mit 10 000 µmol/l. Die notwendige Menge an Milchersatz müssen die Mütter so wählen, dass sich die Phenylalaninwerte im Serum des Säuglings auf 2 bis 4 mg/dl einpendeln.

Vegane Kost

Oftmals ernähren sich erwachsene PKU-Patienten vegan und verzichten komplett auf Fleisch, Fisch, Milch, Milchprodukte und Eier. Stattdessen ergänzen sie das notwendige Eiweiß durch Proteinersatznahrungen. Die meisten Betroffenen substituieren noch Vitamine wie B12 und Mineralstoffe wie Eisen und Calcium. Bei der Wahl des Präparats müssen sie immer darauf achten, dass die Tabletten oder Kapseln frei von Phenylalanin und Süßstoff sind. Weil der Süßstoff Aspartam große Mengen an Phenylalanin freisetzt, sind damit gesüßte Lebensmittel wie Cola-light-Getränke für PKU-Patienten tabu.

Wie viel Phenylalanin ein PKU-Patient zuführen darf, hängt von seinem Alter, Gewicht und der Schwere der Genmutation ab, die bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Die Phenylalanin-Toleranz muss also individuell für jeden Patienten vorsichtig ausgelotet werden. Daher gehört zur diätetischen Therapie immer die regelmäßige Kontrolle des Phenylalaninspiegels im Blut.

Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Stoffwechselstörungen (APS) darf bei Kindern bis zum zehnten Lebensjahr ein Grenzbereich von 0,7 bis 4 mg/dl nicht überschritten werden. Für Jugendliche bis zum sechzehnten Lebensjahr liegt der Grenzwert bei 15 mg/dl, für Erwachsene bei 20 mg/dl. In den ersten Lebensjahren bis zur Pubertät ist die konsequente Einhaltung der Diät also besonders wichtig.

Auch betroffene Frauen mit Kinderwunsch ebenso wie Schwangere müssen streng auf ihre Phenylalaninzufuhr achten. Nur so lassen sich Komplikationen beim Fetus vermeiden. Ihr Plasmaspiegel darf 4 mg/dl nicht überschreiten. Weil dieser Wert deutlich unter den Werten für Erwachsene liegt, wird den meisten Frauen mit Kinderwunsch empfohlen, zunächst eine »Probediät« zu machen, um festzustellen ob sie eine strenge Diät überhaupt einhalten können.

Etwa 2 Prozent der Patienten mit Phenylketonurie leiden unter atypischen Varianten der Stoffwechselstörung. Bei manchen ist die Funktion eines Coenzyms der Phenylalanin-Hydroxylase gestört. Dieser Cofaktor mit dem komplizierten Namen Tetrahydrobiopterin, kurz BH4, wird zur Synthese des Tyrosins benötigt. Bei einem Mangel an BH4 geht letztlich auch die Biosynthese der Neurotransmitter wie Dopamin zurück. Die Folge sind dann Stimmungsschwankungen oder sogar schwere Depressionen.

Um eine andere atypische PKU-Form handelt es sich, wenn das Enzym Dihydropteridin-Reduktase nicht mehr richtig funktioniert. Das hat die gleichen Auswirkungen auf die Psyche, wie bereits oben beschrieben.

Therapie mit Orphan Drug

Bei Patienten mit klassischer PKU – immerhin 98 Prozent aller Erkrankten – ist der Biopterinstoffwechsel zwar nicht gestört, aber dennoch sinkt bei einigen der Phenylalanin-Blutspiegel, sobald sie Tetrahydrobiopterin substituieren. Das pharmazeu­tische Unternehmen Merck Serono hat ­daher den Wirkstoff Sapropterindihydrochlorid synthetisiert. Anfang 2009 erhielt der Arzneistoff unter dem Handelsnamen Kuvan® die Zulassung als Orphan-Drug mit der Indikation »Hyperphenylalaninämie« für Kinder ab 4 und für Erwachsene bis 65 Jahren. Sprechen Patienten auf diese Therapie an, können sie ihre Lebensmittel etwas flexibler auswählen, wodurch ihre Lebensqualität deutlich steigt. /

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