Antike Arzneipflanze |
20.02.2018 11:12 Uhr |
Von Caroline Wendt, Köln / Myrrhe wird seit Jahrtausenden als Heilmittel verwendet. Heute ist die Arzneipflanze etwas in Vergessenheit geraten. Dr. Cica Vissiennon von der Universität Leipzig berichtete beim Symposium der Kooperation Phytopharmaka von alten Überlieferungen und aktuellen Forschungsergebnissen.
Myrrhe ist das getrocknete Harz, das beim Anritzen des Myrrhebaums (Commiphora myrrha) austritt. Der Baum gehört zur Familie der Balsambaumgewächse (Burseraceae) und wächst bevorzugt im heißen, trockenen Klima im Nordosten Afrikas und in Arabien. »Händler transportierten das Harz seit etwa 4000 v. Chr. über die fast 3900 Kilometer lange Weihrauchstraße bis ans Mittelmeer«, berichtete Vissiennon. Das Wort Myrrhe leitet sich vom arabischen »murr« ab. Das bedeute bitter, erklärte die Referentin. Der charakteristische Geruch des Rauches sei herb-aromatisch.
Alkoholische Myrrhetinkturen werden bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum eingesetzt.
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Viele verschiedene Kulturen haben die Wirkung des gelb-braunen Harzes in den vergangenen Jahrtausenden geschätzt. »Schon die ägyptische Königin Nofretete verwendete eine Salbe mit Myrrhe«, berichtete die Apothekerin. Myrrhe sei im alten Ägypten ein Luxusgut gewesen. Neben der Verwendung in Kosmetika, diente das Harz als Heilmittel, zur Parfümierung und wurde zur Verehrung der Götter verräuchert. Bei der Mumifizierung schätzten die Ägypter die konservierende Wirkung der Myrrhe.
Das Alte Testament beschreibt ebenfalls die Herstellung eines heiligen Salböls mit Myrrhe. »Doch die sicherlich bekannteste Textpassage befindet sich in der Geburtsgeschichte Christi, wo Myrrhe eine Gabe der Heiligen Drei Könige ist«, fügte Vissiennon hinzu. Weniger bekannt sei hingegen, dass der gekreuzigte Jesus zur Linderung seiner Leiden von einem römischen Soldaten einen mit Wein und Myrrhe getränkten Schwamm gereicht bekommen haben soll.
Denn auch bei den Römern und Griechen war Myrrhe als Heilmittel bekannt. Der griechische Arzt Dioskurides (60 n. Chr.) beschrieb in seiner Pharmakopöe »De materia medica«, dass das Harz bei Wunden, entzündetem Zahnfleisch und gegen schwere Durchfälle helfe. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot (484 bis 425 v. Chr.) erwähnte schon Jahrhunderte früher in seiner Beschreibung des Persischen Krieges, dass die Wunden der Soldaten mit Myrrhe behandelt wurden.
»Auch Ibn Sina, besser bekannt als Avicenna, rät in seinem Werk ›Canon medicinae‹ zur Anwendung von Myrrhe bei Geschwüren und Wunden«, so Vissiennon. Der arabische Gelehrte und Mediziner (um 980 bis 1037 n. Chr.) beschreibe zudem die lösende Kraft bei Blähungen und die Anwendung bei Magenbeschwerden.
Aktuelle Monographien
Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur (HMPC) hat Myrrhe als traditionelles Arzneimittel eingestuft. Die Monographien der Kommission E und der ESCOP nennen als Indikation den Einsatz von Myrrhe bei Entzündungen des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut, zum Beispiel bei Aphthen oder Prothesendruckstellen. Die HMPC-Monographie beschreibt zudem die Anwendung bei kleineren entzündeten Wunden der Haut und bei Furunkeln.
Myrrhe findet in verschiedenen traditionell zugelassenen Phytopharmaka Anwendung. Es gibt beispielsweise Tabletten, die die Magen-Darm-Funktion unterstützen sollen (zum Beispiel Myrrhinil-Intest® überzogene Tabletten). Drei Mal täglich sollen vor den Mahlzeiten vier Tabletten eingenommen werden, um die Symptome des Reizdarmsyndroms oder von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zu lindern.
Alkoholische Myrrhe-Tinkturen (zum Beispiel Myrrhe Tinktur Hetterich oder Caelo Myrrhentinktur) sollen bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum helfen. Die Tinkturen werden zwei bis drei Mal täglich mit einem Wattestäbchen unverdünnt aufgetragen. Fünf bis zehn Tropfen der Tinktur in einem Glas Wasser gelöst, ergeben eine Gurgellösung. Auch einige Zahn- und Mundhygieneprodukte nutzen die entzündungshemmende Wirkung von Myrrhe. Der Pflanzenextrakt kann in Zahncreme, Mundwasser oder Mundsprays enthalten sein (zum Beispiel Parodontax®, Weleda Ratanhia Zahncreme, Echtrosept® Mundspülung oder Repha-OS ® Mundspray).
Zwei Indikationen
Vissiennon fasste zusammen, dass über Ländergrenzen und Kulturen hinweg immer wieder zwei Indikationen auftauchen: die Anwendung bei Durchfall und Blähungen und die Behandlung von entzündeten Wunden. Tierexperimentelle Studien haben die Indikationen untersucht. Bereits 1989 hatte ein Forscherteam festgestellt, dass Myrrhe die Flüssigkeitsansammlung im Darm bei cholerainduziertem Durchfall um bis zu 50 Prozent mindern könne. »Als aktive Substanz wird das Sesquiterpen T-cadinol diskutiert«, so die Apothekerin.
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Bei Kontraktionsmessungen an Ratten-Dünndarm-Präparaten konnte Vissiennon mit ihrer Arbeitsgruppe zeigen, dass Myrrhe-Extrakt die Wirkung von Acetylcholin reversibel aufhebt. »Myrrhe scheint also ein Antagonist am L-Typ-Calcium-Kanal zu sein«, berichtete die Wissenschaftlerin. Dies könnte die von Griechen und Persern beschriebene Wirkung bei Durchfall und Blähungen bestätigen.
Die entzündungshemmende Aktivität der Myrrhe wurde ebenfalls in Tierversuchen untersucht, berichtete Vissiennon. So habe eine Studie 2012 gezeigt, dass unter Myrrhe-Gabe sowohl die Freisetzung von Prostaglandin E2 als auch von Stickstoffmonoxid sinke. In eigenen Untersuchungen an isolierten humanen Monozyten konnte Vissiennon diese Erkenntnisse bekräftigen. Die Entzündungshemmung könne durch eine Hemmung der Genexpression proinflammatorischer Zytokine und durch eine verstärkte Phagozytoseaktivität von Makrophagen zustande kommen, vermutete sie. /