Nasale Corticoide erste Wahl |
20.02.2018 11:11 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Bei Menschen, die zurzeit mit laufender Nase in die Apotheke kommen, stellt sich die Frage: Erkältung oder Allergie? Pollenallergiker leiden bei milden Temperaturen oft schon im Winter unter Symptomen. Welche Medikamente können PTA und Apotheker ihnen empfehlen?
Eigentlich beginnt die Heuschnupfen-Saison im Februar oder März. Doch der Haselbusch etwa hält sich seit einigen Jahren nicht mehr daran. Bereits im Dezember fängt dieser Frühblüher in milden Wintern an zu stäuben, bei der Erle ist es ähnlich. Aber nicht nur Frühblüher kommen infolge des Klimawandels durcheinander. Gräser zum Beispiel blühen heutzutage nicht selten bis in den November hinein.
Das sind keine guten Nachrichten für Pollenallergiker. Besonders hart trifft es die zunehmende Zahl von Menschen, die gleich auf mehrere Pollen allergisch reagieren. Die Schonzeit, die ihnen früher wenigstens in der kalten Jahreszeit sicher war, gerät zunehmend in Gefahr.
Im Frühling haben Allergiebeschwerden Hochsaison. Zum Glück gibt es wirksame Arzneimittel.
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Wenn Kunden in der Apotheke nach einem Mittel gegen Schnupfen fragen, sollten sie vor diesem Hintergrund erst einmal daraufhin »abgeklopft« werden, ob eine Erkältung oder eine Pollenallergie hinter den Beschwerden steckt. Mit einigen gezielten Fragen lässt sich dies in der Regel relativ sicher unterscheiden. Traten bereits früher zur selben Jahreszeit Probleme auf, liegt der Verdacht einer Pollenallergie nahe. Falls noch nicht geschehen, sollte dieser Verdacht unbedingt durch einen Arzt abgeklärt werden.
Typisch für einen Heuschnupfen (allergische Rhinitis) ist auch der recht plötzliche Beginn der Symptomatik, der Erkältungsschnupfen dagegen nimmt langsam zu. Dauern die Beschwerden länger als zwei Wochen an, spricht dies ebenfalls für eine Allergie. Dasselbe gilt, wenn sich die Symptome in der Natur verstärken. Das Sekret ist beim Heuschnupfen wässrig und farblos, im Unterschied zum oft zähen, grünlich gefärbten Erkältungsschleim. Und die Begleitsymptome sind weitere wichtige Hinweise: Juckreiz, Niesanfälle und Augenrötung sprechen eher für eine Allergie, Husten und Heiserkeit dagegen weisen auf einen Atemwegsinfekt hin.
Sichere Diagnose
Eine sichere Diagnose des Heuschnupfens ist wichtig, damit die Weichen möglichst früh richtig gestellt werden. Die Betroffenen wünschen sich in erster Linie eine schnelle Linderung der lästigen Beschwerden. Aber allein damit ist es nicht getan: Die Behandlung sollte auch darauf abzielen, den Verlauf der allergischen Erkrankung günstig zu beeinflussen.
Mithilfe eines Pricktests kann der Arzt die individuellen Allergieauslöser bestimmen.
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Eine Chronifizierung gilt es ebenso zu vermeiden wie den gefürchteten Etagenwechsel, bei dem die allergischen Reaktionen auf die unteren Atemwege übergreifen und ein allergisches Asthma bronchiale entsteht. 30 bis 40 Prozent aller Heuschnupfen-Patienten sollen auf längere Sicht von einem solchen Etagenwechsel betroffen sein. Schließlich stellen auch Kreuzallergien eine – zunehmend häufige – Komplikation dar: So reagieren zum Beispiel Menschen mit einer Birkenpollenallergie nicht selten auch überempfindlich, wenn sie bestimmte Früchte wie Äpfel oder Kirschen essen.
Deshalb gehört eine Pollenallergie zunächst in ärztliche Hände. Ist die Diagnose gestellt und die Behandlungsstrategie geklärt, kann im weiteren Verlauf eventuell eine Selbstmedikation in Erwägung gezogen werden. Betroffene sollten sich aber niemals längere Zeit in Eigenregie behandeln. So ist auch die Befreiung einiger topischer Glucocorticoide von der Rezeptpflicht ausdrücklich an die Bedingung geknüpft, dass die Erstdiagnose einer saisonalen allergischen Rhinitis durch einen Arzt vorhanden ist. Vor Abgabe rezeptfreier Präparate sollten Apotheker und PTA daher abfragen, ob diese Voraussetzung tatsächlich erfüllt ist.
Topische Glucocorticoide gelten heute laut Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie und der internationalen ARIA (Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma)-Arbeitsgruppe bei der allergischen Rhinitis als Mittel der ersten Wahl. Nicht verschreibungspflichtige Nasensprays enthalten etwa Beclometason, Mometason oder Fluticason. Ihr Einsatz zielt darauf ab, die chronische Entzündung der Schleimhaut zu kontrollieren und so deren Überempfindlichkeit zu reduzieren. Während Antihistaminika (H1-Rezeptorantagonisten) die akuten allergischen Reaktionen eindämmen sollen, wird mithilfe nasaler Glucocorticoide angestrebt, die Entzündung als grundlegenden Pathomechanismus in den Griff zu bekommen. Die Überlegenheit dieser Strategie ist mit guter Evidenz belegt. Heuschnupfen-Beschwerden lassen sich auf diesem Weg nachweislich effektiver beeinflussen, vorausgesetzt, die nasalen Glucocorticoide werden konsequent angewendet, solange die Atemluft mit kritischen Pollen belastet ist. Nasale Glucocorticoide sind also keine Bedarfsmedikation, darüber müssen die Anwender aufgeklärt sein.
Verhaltensmaßnahmen können Heuschnupfen-Patienten helfen, den Kontakt mit kritischen Pollen einzudämmen.
Stabile Datenlage
Zur Wirksamkeit von Antihistaminika beziehungsweise Glucocorticoiden liefert eine Metaanalyse, in der 54 placebokontrollierte Studien zur Auswertung kamen, ein solides Fundament: Erfasst wurden Daten von mehr als 14 000 Erwachsenen und 1580 Kindern, die mehrheitlich unter einer intermittierenden allergischen Rhinitis litten. Diese wird laut WHO-Definition abgegrenzt gegenüber einer persistierenden allergischen Rhinitis, die mehr als vier Tage pro Woche über mindestens vier Wochen hinweg besteht. Der Therapieerfolg wurde in der Metaanalyse anhand des TNSS (Totaler Nasaler Symptom Score) beurteilt, in dem alle nasalen Heuschnupfen-Symptome berücksichtigt sind.
Effektive Kontrolle
Es zeigte sich, dass sich die Beschwerden durch nasale Glucocorticoide am besten kontrollieren ließen. Sie reduzierten die nasale Obstruktion effektiv, und auch Sekretfluss und Niesreiz ließen nach. Unterm Strich ergab die Metaanalyse bei intermittierender allergischer Rhinitis unter nasalen Glucocorticoiden eine Reduktion des TNSS um 40,7 Prozent. Unter topischen Antihistaminika lag die Besserung im Schnitt nur bei 22,2 Prozent und damit in derselben Größenordnung wie unter oralen Antihistaminika (minus 23,5 Prozent). Unter Placebo zum Vergleich wurde eine durchschnittliche Besserung im TNSS um 15 Prozent ermittelt. Bei persistierender allergischer Rhinitis schnitten orale Antihistaminika unterm Strich am besten ab mit einem TNSS-Minus von 51 Prozent. Nasale Glucocorticoide führten bei persistierender Rhinitis zu einem Rückgang des TNSS um 37,3 Prozent, der Placeboeffekt lag bei 24,8 Prozent.
Gut verträglich
Laut Professor Dr. Ludger Klimek, einem der führenden deutschen Allergieexperten, sind nasale Glucocorticoide auf Basis dieser Daten bei der allergischen Rhinitis zu bevorzugen. Auch bei persistierender allergischer Rhinitis seien sie erfolgreich anzuwenden.
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Zwar lassen sich in dieser Indikation die Beschwerden im Einzelfall mit einem oralen Antihistaminikum möglicherweise besser kontrollieren, andererseits scheint es gerade bei einem derart schweren Krankheitsbild sinnvoll, möglichst grundlegend in die Pathomechanismen einzugreifen. Die Verträglichkeit von cortisonhaltigen Nasensprays gilt als gut, systemische Nebenwirkungen sind bei therapeutischer Dosierung sehr selten.
Was bei der Therapieplanung zu berücksichtigen ist: Nasale Glucocorticoide besitzen eine Wirklatenz. Mit der maximalen Wirkung ist frühestens nach mehreren Tagen bis Wochen konsequenter Anwendung zu rechnen. Deshalb sollte rechtzeitig mit der Behandlung begonnen werden. Ist dies nicht möglich, bieten sich zur Überbrückung orale Antihistaminika an, die ihre Wirkung rasch – schon nach 15 Minuten – entfalten. Es sollten vorwiegend nicht-sedierende Antihistaminika zum Einsatz kommen. Loratadin und Cetirizin sollen als Vertreter der zweiten Generation ein geringeres Sedierungspotenzial haben als Substanzen der ersten Generation, wie Clemastin oder Dimetinden. Es kann auch sinnvoll sein, ein topisches Corticoid mit einem topischen Antihistaminikum zu kombinieren. Zusätzliche Augentropfen mit einem Antihistaminikum wie Azelastin, Levocabastin oder Ketotifen sind speziell dann zu empfehlen, wenn Pollenallergiker stark unter juckenden und/oder tränenden Augen leiden.
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Viele Pollenallergiker fühlen sich vor allem durch die nasale Obstruktion beeinträchtigt. Wenn es darum geht, die Nase frei zu bekommen, sind topische Glucocorticoide nachweislich geeignet. Oft fragen Allergiker aber auch nach abschwellenden Nasensprays oder -tropfen mit einem α-Sympathomimetikum. Da ihre Beschwerden über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen, sind sie allerdings besonders gefährdet, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Sie sollten im Beratungsgespräch unbedingt auf diese Problematik aufmerksam gemacht werden. α-Sympathomimetika sind für eine Dauermedikation ungeeignet und sollten nicht länger als etwa eine Woche am Stück zur Anwendung kommen. Sonst können sich die Beschwerden verschlimmern und zu einer Rhinopathia medicamentosa führen, die sich nur schwer behandeln lässt.
Wenig praktische Bedeutung haben Präparate mit einem Mastzellstabilisator wie Cromoglicinsäure. Sie ist nur schwach und nur prophylaktisch wirksam und muss ein bis zwei Wochen vor der erwarteten Allergiesaison angewendet werden. /