Allopurinol und ACE-Hemmer |
10.06.2008 09:33 Uhr |
Allopurinol und ACE-Hemmer
Andrea Gerdemann, München, und Nina Griese, Berlin
Eine häufige Interaktionsmeldung in der Apotheke betrifft die Wechselwirkung zwischen ACE-Hemmern und Allopurinol. Schwierig für die Beurteilung ist, dass darüber kaum Daten zur Verfügung stehen. Wie können PTA oder Apotheker aus diesen wenigen Informationen die Relevanz dieser Interaktion im Einzelfall richtig einschätzen?
Allopurinol ist eine Standardsubstanz zur Behandlung der chronischen Gicht, einer Stoffwechselerkrankung, die mit erhöhten Harnsäurewerten einhergeht. Das Urikostatikum senkt den Harnsäurespiegel dauerhaft. 95 Prozent aller Verordnungen zur Behandlung der Gicht entfallen auf Allopurinol.
ACE-Hemmer haben einen festen Platz in der Behandlung des Bluthochdrucks und der Herzinsuffizienz. Die aktuellen Leitlinien empfehlen ACE-Hemmer als Mittel der Wahl zur antihypertensiven Therapie insbesondere bei Risikopatienten mit Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit oder eingeschränkter Nierenfunktion. Die große therapeutische Bedeutung der ACE-Hemmer zeigt sich in der stetigen Zunahme ihrer Anwendung: 2006 wurden 3,7 Milliarden Tagesdosen verordnet.
ACE-Hemmer wirken auf das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System, dessen Effekte auf die Blutdruckregulation sehr gut bekannt ist. Die Abkürzung ACE bezieht sich auf das Enzym Angiotensin Converting Enzyme, das ACE-Hemmer blockieren. Infolge kann kein Angiotensin II mehr entstehen, eine der stärksten Blutgefäß verengenden Substanzen. Die feinen Blutgefäße entspannen sich, und der Blutdruck sinkt.
Im Allgemeinen sind die ACE-Hemmer nebenwirkungsarm; bei bis zu 10 bis 15 Prozent der behandelten Patienten tritt trockener Husten auf, selten kommt es zu einer Hyperkaliämie. In sehr seltenen Fällen (< 0,1 Prozent) beeinflussen ACE-Hemmer das Immunsystem.
Immunologische Komplikationen
Wenn Patienten ACE-Hemmer und Allopurinol gemeinsam einnehmen, kommt es möglicherweise zu immunologischen Reaktionen. Derzeit liegen fünf Fallberichte zur gleichzeitigen Behandlung mit Allopurinol und Captopril und anschließenden Komplikationen wie Leukopenie vor. Diese Reaktionen traten auf, nachdem die Patienten während einer Captopril-Therapie mit der Einnahme von Allopurinol begonnen hatten. Zu dieser unerwünschten Arzneimittelwirkung kam es innerhalb von Tagen bis mehreren Wochen. Ein weiterer Fallbericht bezieht sich auf die Kombinationsbehandlung von Enalapril und Allopurinol: 20 Minuten nachdem der Patient 100 mg Allopurinol eingenommen hatte, reagierte er mit einer akuten anaphylaktischen Reaktion mit schweren Koronarspasmen. Ein Risikofaktor für die beobachteten immunologischen Reaktionen scheint Niereninsuffizienz zu sein.
Der Mechanismus dieser Interaktion ist nicht bekannt. Möglicherweise addieren sich unerwünschte Wirkungen beider Arzneistoffgruppen auf das Immunsystem. Es ist aber auch denkbar, dass die Betroffenen nur alleine auf Allopurinol oder den ACE-Hemmer reagiert haben, obwohl eine Kombinationstherapie vorlag. Dies ist möglich, da jeder Arzneistoff in der Monotherapie immunologische Reaktionen hervorrufen kann. Zudem traten die unerwünschten Wirkungen trotz hoher Verordnungszahlen sehr selten auf und scheinen nicht vorhersehbar zu sein. Eine Untersuchung mit 12 Probanden, die Allopurinol und den ACE-Hemmer Captopril sowohl getrennt als auch in Kombination eingenommen haben, ergab keine gegenseitige Beeinflussung der Pharmakokinetik der einzelnen Arzneistoffe. Damit ist wahrscheinlich, dass es sich bei den beobachteten Reaktionen nicht um eine pharmakokinetische Interaktion handelt.
Als Konsequenz aus den Fallberichten führen die Hersteller ACE-Hemmer-haltiger Arzneimittel die gleichzeitige Einnahme von Allopurinol und ACE-Hemmern unter Warnhinweisen auf. Die Empfehlung: Der behandelnde Arzt soll bei Patienten, die Captopril zusammen mit Allopurinol erhalten, vor der Therapie das Differentialblutbild bestimmen, danach während der ersten drei Therapiemonate alle zwei Wochen und dann in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle. Ein wichtiger Hinweis für die Patienten: Beobachten sie während der Behandlung Anzeichen einer Infektion, zum Beispiel Halsschmerzen oder Fieber, müssen sie ihren Arzt dar-über informieren, der in einem solchen Fall ein Differentialblutbild erstellt.
Laut Fachinformationen sollen Ärzte alle übrigen ACE-Hemmer außer Captopril nur nach einer kritischen Nutzen/Risiko-Bewertung gemeinsam mit Allopurinol verordnen und laborchemische Parameter regelmäßig kontrollieren. Die Patienten sollten auf alle Anzeichen einer Infektion achten und ihrem Arzt berichten.
Einige Pharmakologen bewerten diese Interaktion allerdings nicht so streng, sondern vertreten die Auffassung, dass auf der Basis von einzelnen Fallberichten keine gesicherten Empfehlungen abgeleitet werden können. Da jedoch eine schwerwiegende Interaktion nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, sollten Ärzte, insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffizienz, Vorsicht walten lassen.
Interaktionsmanagement
Um die Bedeutung dieser Interaktion besser abschätzen zu können, sollten PTA oder Apotheker den Patienten immer zuerst fragen, ob er die Arzneimittel zum ersten Mal verordnet bekommt. Bei einer Wiederholungsverordnung ist die Frage nach der bisherigen Einnahmedauer für die Beurteilung der Interaktion entscheidend. Da die unerwünschten Arzneimittelreaktionen bisher nur innerhalb einiger Wochen nach dem Beginn der gemeinsamen Einnahme aufgetreten sind, ist nach drei Monaten Therapie eine schwerwiegende Reaktion sehr unwahrscheinlich. Ein Tipp für die Praxis: Der Apothekenleiter sollte die mögliche Wechselwirkung mit einem Ärzt besprechen, der die Kombination häufig verordnet, und gemeinsam eine Strategie überlegen. Diese Absprache sollte jeder im Apothekenteam kennen. Zum Beispiel kann vereinbart werden, dass die Apothekenmitarbeiter bei einer Erstverordnung den verschreibenden Arzt mit einem Fax auf die potentielle Interaktion aufmerksam machen. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Hausarzt nur informiert wird, wenn ein anderer Kollege das Allopurinol oder den ACE-Hemmer verordnet hat. Sich im Vorfeld auf eine Strategie zu einigen, vereinfacht das Management dieser Interaktion bei einer Erstverordnung.
Fallbeispiel aus der Praxis
Ein 62-jähriger Laufkunde reicht in der Apotheke ein Rezept vom Internisten über Enalapril 20mg, 100 Tabletten, Allopurinol 100 mg, 100 Tabletten, Simvastatin 40mg, 100 Tabletten und ein weiteres Rezept vom Orthopäden über Diclofenac 100 mg, 50 Retardtabletten, ein. Beim Abscannen der Packungen zeigt die Software zwei mittelschwere Interaktionsmeldungen zwischen Allopurinol und Enalapril sowie zwischen Diclofenac und Enalapril an. Durch die Wechselwirkung zwischen Diclofenac und Enalapril erhöht sich bei einigen Patienten bei längerer gemeinsamer Einnahme der Blutdruck.
Da von dem Patienten keine Daten im PC gespeichert sind, fragt die PTA ihn zuerst, seit wann er die Arzneimittel einnimmt. Der Mann berichtet, dass er die drei Arzneimittel vom Internisten sicher schon drei Jahre lang nimmt. Das Schmerzmittel kenne er nicht, das hätte ihm heute der Orthopäden hier im Haus gegen seine starken Schmerzen verordnet. Bei dem schönen Wetter habe er einige Tage im Garten gearbeitet und danach habe seine Hüfte heftig geschmerzt. Der Orthopäde hätte jetzt eine starke Arthrose festgestellt. Eventuell müsse er irgendwann einmal eine neue Hüfte erhalten.
Aus der Interaktionsdatenbank ersieht die PTA, dass immunologische Reaktionen bei der gemeinsamen Behandlung mit Allopurinol und Enalapril auftraten, kurz nachdem die Patienten während einer Captopril-Therapie mit der Einnahme von Allopurinol begonnen hatten. Da der ältere Mann diese Arzneimittel schon länger einnimmt, erkundigt sie sich, ob er die Arzneimittel gut vertrage. Der Patient bestätigt dies.
Zu der Wechselwirkung zwischen Enalapril und Diclofenac liest die PTA unter Maßnahmen, welche Empfehlungen sie dem Patienten geben sollte. Dort steht, dass bei kurzfristiger Antiphlogistika-Behandlung über ein bis zwei Wochen keine Maßnahmen erforderlich sind. Nimmt ein Patient das Antiphlogistikum allerdings längere Zeit zusammen mit ACE-Hemmern, sollen Blutdruck und Nierenfunktion besonders sorgfältig überwacht werden. Steigt der Blutdruck, kann der Arzt den ACE-Hemmer nach Bedarf höher-dosieren.
Die PTA fragt daraufhin den Patienten, wie und wie lange er das Diclofenac einnehmen soll. Der Patient gibt an, er solle von dem Schmerzmittel täglich eine Tablette einnehmen und wahrscheinlich auch längere Zeit. »Weiß der Orthopäde, dass sie regelmäßig andere Medikamente einnehmen, vor allem das Blutdruckmittel«, erkundigt sich die PTA. Der Mann erwidert: »Ich habe dem Orthopäden das Rezept gezeigt, er hatte aber keine Zeit mehr.« Die PTA erklärt dem Patienten die mögliche Interaktion und fragt, ob er zu Hause den Blutdruck messe und seine Werte kenne. Der Patient antwortet, dass er zweimal in der Woche seinen Blutdruck zu Hause kontrolliere und sein Arzt mit den Werten zufrieden sei. Daraufhin empfiehlt ihm die PTA, wegen des neuen Schmerzmittels den Blutdruck mindestens zwei Wochen lang, am besten noch länger, morgens und abends zu messen. Sollten die Werte erhöht sein, könne dies an dem Schmerzmittel liegen. Darüber müsse er mit seinem Internisten sprechen. Der Arzt könnte dann zum Beispiel die Dosierung des Blutdruckmittels erhöhen.
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