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Interview

Neues Knorpelgewebe oder dasganze Kniegelenk ersetzen

10.06.2008  08:23 Uhr

Interview

Neues Knorpelgewebe oder das ganze Kniegelenk ersetzen 

Annette van Gessel, Vaals

Professor Dr. Klaus Bläsius ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung Orthopädie des Bethlehem Krankenhauses in Stolberg bei Aachen. Er führt mit seinem Team jährlich viele Knie- und auch Hüftgelenkoperationen durch. PTA-Forum befragte den Spezialisten nach seinen Erfahrungen mit den verschiedenen operativen Methoden.

PTA-Forum:Mit welchen Verletzungen werden die Patienten in das Bethlehem Krankenhaus eingeliefert? Sind es vor allem junge, sportlich aktive Menschen oder eher ältere? 

Bläsius: Eingeliefert mit Notarzt oder direkt von der Unfallstelle werden in erster Linie junge Menschen, die sich zum Beispiel beim Fußballspiel oder beim Biking durch Verdrehen und Sturz eine Meniskus- oder Kreuzbandverletzung zugezogen haben.

Zahlenmäßig größer ist die Gruppe derjenigen, die von sich aus unser Krankenhaus aufsuchen. Es handelt sich dabei um junge aktive Patienten, die in der Vorgeschichte einen Knorpelschaden oder eine Bandruptur hatten. Diese Gruppe erwartet von uns eine Kreuzbandersatzplastik oder noch häufiger die Wiederherstellung knorpeliger Gelenkflächen.

Die weitaus größte Gruppe sind jedoch ältere Patienten, die schon lange unter degenerativen Kniegelenksbeschwerden leiden. Diese benötigen meist ein Oberflächenersatzknie, um sich möglichst schnell wieder beschwerdefrei bewegen zu können.

PTA-Forum:Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob sie ein künstliches Gelenk einsetzen? Raten Sie manchen Patienten auch vom Gelenkersatz ab?

Bläsius: Künstliche Gelenke kommen in Frage, wenn die Knorpelschäden im Kniegelenk großflächig sind, wenn sich starke Osteophyten ausgebildet haben und keine Möglichkeiten zum Erhalt des knorpeligen Überzuges gegeben sind. Häufig ist dies der Fall bei Patienten mit rheumatoider Arthritis und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Gicht.

Von einem künstlichen Gelenk raten wir dann ab, wenn der Patient jung ist und Möglichkeiten zum Knorpelerhalt gegeben sind. Außerdem gibt es Schwerkranke, meist alte Patienten, die aus internistischen Gründen nicht operiert werden können.

PTA-Forum:Hat sich die Operationsmethode in den Jahren Ihrer Tätigkeit grundlegend gewandelt?

Bläsius: Die Entwicklung der Kniegelenks-chirurgie ist rasant. Das Oberflächenersatzknie ist nach der Hüftgelenksendoprothese die zweiterfolgreichste Operation und wird immer weiter perfektioniert. Vor 20 Jahren implantierten nur sehr wenige Zentren Oberflächenersatzknie. Ein Problem war die Infektionsrate von damals etwa 7 Prozent. Diese wurde heute auf unter 1 Prozent gesenkt. Außerdem haben die Hersteller in der Zwischenzeit die Modelle so verbessert, dass sie durch entsprechendes Training eine fast normale Beugung erlauben.

PTA-Forum:Welche weiteren chirurgischen Verfahren sind heute üblich?

Bläsius: Als weitere ergänzende Verfahren sind unter anderem die Knorpel-Knochen-Transplantation und die autologe Chondrozytentransplantation hinzu gekommen. Die Knorpel-Knochen-Transplantation eignet sich für kleinere Defekte des Gelenkknorpels. Sie ist die direkte Knorpeltransplantation von eigenem unbeschädigtem Knorpel. Dazu entnimmt der Chirurg an einer Stelle, wo der Knorpel physiologisch keine so große Bedeutung hat, zum Beispiel am Rand des Oberschenkelknorpels, ein zylinderförmiges Stück und setzt dies in den beschädigten Knorpelbereich des Gelenks ein.

Außerdem war früher eine Wiederherstellung knorpeliger Gelenkflächen überhaupt nicht möglich. Vor elf Jahren haben wir im Bethlehem Krankenhaus Stolberg mit der autologen Chondrozytentransplantation begonnen. Damals mussten wir noch in Amerika Eigenknorpel anzüchten lassen. In der Zwischenzeit liegen uns von 54 Patienten statistische Daten vor. Bei Befragungen gaben 80 Prozent der Patienten an, sie würden die Operation wieder durchführen lassen. 60 Prozent bewerteten das Ergebnis der Operation im Verlauf der maximal elf Jahre mit »sehr gut« oder »gut«. Diese Patienten können sich praktisch uneingeschränkt bewegen und auch wieder Sport treiben.

PTA-Forum:Sie haben sich auf die Transplantation kultivierter Knorpelzellen spezialisiert. Beschreiben Sie doch bitte einmal kurz dieses Verfahren.

Bläsius: Wie schon erwähnt führen wir in Stolberg bereits seit 1996 die autologe Chondrozytentransplantation, die ACT, durch. Zur Klärung des Fachbegriffs: Der knorpelige Defekt im Kniegelenk wird mit aus eigenen Knorpelzellen gezüchteten, neuen Knorpelzellen aufgefüllt. Dies geschieht mit Hilfe eines biotechnologischen Verfahrens. Notwendig sind zwei Operationen: Erstens eine Arthroskopie, bei der wir feststellen, ob die Methode aus medizinischen Gründen notwendig und ob sie technisch durchführbar ist. Bei der Arthroskopie entnehmen wir mit einer speziellen Stanze zwei, etwa stecknadelkopfgroße Knochen-Knorpel-Stückchen. Diese schicken wir zwecks Untersuchung und Züchtung in ein Labor ein. Reicht die Qualität des Knorpels aus und ist die Probe keimfrei, wird dort mit der Züchtung begonnen. Die beschriebene Arthroskopie kann ambulant oder während eines kurzen stationären Aufenthalts von etwa zwei Tagen durchgeführt werden.

PTA-Forum:Wann werden die gezüchteten Knorpelzellen implantiert?

Bläsius: Drei Wochen später wird der Patient stationär zur zweiten Operation aufgenommen. Je nach Lokalisation des Defektes transplantieren wir dann im Rahmen einer minimalinvasiven oder offenen Operation die neuen Zellen. Doch zunächst bearbeiten wir das defekte Areal mit einer Spezialkürette und entnehmen den kranken Knorpel, bis ein gesunder Rand stehen bleibt. Das defekte Areal bedeckt der Operateur entweder mit Knochenhaut, zum Beispiel vom Oberschenkelknochen, oder mit einer Kollagenmembran.

Diese befestigt er mit kleinen Nähten am gesunden Knorpel. Unter dieses sogenannte Zelt spritzt er dann die flüssig angelieferten, neu gezüchteten Knorpelzellen, die biologisch identisch mit den eigenen des Patienten sind. Dadurch wird die korrekte Höhe des Knorpels erreicht. Nach dem Wundverschluss erfolgt noch eine spezielle Nachbehandlung zur Ernährung des Knorpels. Je nach Größe der Wunde kann der Patient nach einer oder zwei Wochen das Krankenhaus verlassen.

PTA-Forum:Wie schnell können die Patienten ihr Kniegelenk wieder belasten?

Bläsius: Vom ersten Tag nach der Operation an muss der Patient das Kniegelenk sechs Stunden pro Tag auf einer automatischen Bewegungsschiene bewegen. Mit Unterarmgehstützen ist ihm der Bodenkontakt erlaubt. Dieses Training muss der Patient später auch zu Hause fortsetzen. Nach drei Monaten ist die Behandlung beendet, und er kann das Gelenk schrittweise voll belasten. In der Regel können die Operierten nach vier Monaten wieder ungehindert Sport treiben.

PTA-Forum:Welche Vorteile hat diese Methode gegenüber einem künstlichen Gelenk? Sehen Sie auch Nachteile oder Risiken?

Bläsius: Den Vorteil dieser Methode sehe ich darin, dass sie im Prinzip ermöglicht, eigenen Knorpel wiederherzustellen. Insbesondere kann in geeigneten Fällen, vor allem bei jüngeren Patienten, der Zeitpunkt bis zum Kunstgelenk hinausgeschoben werden. Erfahrungsgemäß bleiben Kunstgelenke nur eine begrenzte Zeit, maximal 20 Jahre, im Knochen fest verankert. Danach werden zum Teil aufwendige Wechseloperationen notwendig. 

Ein Nachteil der ACT-Methode ist die verhältnismäßig lange Nachbehandlungszeit. Etwa drei Monate lang sind die Patienten in ihren übrigen Aktivitäten zeitlich eingeschränkt. Das einzig wesentliche Risiko ist die Erfolglosigkeit. Vier von fünf Patienten, die wir im Verlauf der elf Jahre operiert haben, bezeichnen diese biologische Methode als erfolgreich. Einer von fünf hätte sich im Nachhinein lieber sofort ein Oberflächenersatzknie implantieren lassen. 

PTA-Forum:Muss der Patient die Kosten der Knorpeltransplantation selbst übernehmen? 

Bläsius: Da unsere Klinik von den Krankenkassen als Knorpeltransplantationszentrum anerkannt ist, müssen die Patienten die Kosten der Transplantation nicht mehr selbst tragen.

PTA-Forum:Welchen Rat geben Sie Patienten, die eine Veranlagung zur Arthrose geerbt haben? Wie können diese ihre Kniegelenke möglichst lange gesund erhalten?

Bläsius: Einen Königsweg zur Vermeidung der Arthrose gibt es nicht. Die Einnahme von knorpelernährenden Substanzen wie Glucosaminsulfat haben sich bei kontinuierlicher hochdosierter Einnahme in neueren Studien als nützlich erwiesen. Auch Gelenkschutzpräparate mit Vitamin E sind in Grenzen wirksam. Mein Rat: Jeder Patient sollte selbst versuchen, Verletzungen in Gelenknähe zu vermeiden. Speziell für das Knie erweisen sich Rad fahren und Schwimmen als nützlich. In jedem Fall sollten Menschen mit Veranlagung zur Arthrose auf ihr Gewicht achten und Übergewicht vermeiden.