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Fatigue

Bewegungstraining hilft

04.06.2009  14:38 Uhr

Fatigue

Bewegungstraining hilft

von Gudrun Heyn

Tumorpatienten kommen sehr schnell außer Atem. Besonders nach einer Chemotherapie oder einer Knochenmarkstransplantation sind sie meist extrem müde. Diese starke Müdigkeit, auch Fatigue genannt, hält die Patienten trotz Ruhe oder Schonung gefangen. Nun ergab eine Studie, dass Bewegung nach einem festen Zeitplan den Betroffenen hilft.

Das Gesicht läuft rot an, und die Beine schmerzen, wenn ein Krebspatient beispielsweise mit schnellem Schritt und seinen Koffer tragend das Krankenhaus verlässt. Aufgrund dieser Beobachtung sind auch heute noch Ärzte, Pfleger und Angehörige davon überzeugt, dass Bewegung Tumorpatienten schadet. So werden die Betroffenen dazu angehalten, sich auszuruhen und jede Art der körperlichen Aktivität bewusst zu vermeiden.

»Doch dies macht die Patienten zu passiven Zeugen ihrer Behandlung«, sagte Dr.Fernando Dimeo, Sportmediziner an der Charité, auf der Fortbildungsveranstaltung edi 2009 in Berlin. Untersuchungen zeigen nun, dass sich die Fatigue erheblich verbessern lässt, wenn Tumorpatienten mit Hilfe eines wohl dosierten Bewegungstrainings ihre körperliche Leistungsfähigkeit steigern.

Unterschätztes Symptom

Noch immer wird die Fatigue in der Krebsmedizin deutlich unterschätzt. Es ist jedoch erwiesen, dass während einer Tumorbehandlung mehr als 70 Prozent aller Patienten unter der extremen Müdigkeit leiden. Auch nach der Therapie dauert dieser Zustand bei vielen an. Ein Drittel der Betroffenen berichtet, dass die Fatigue sie über Monate begleitet hat. Bei manchen hält sich das ungewöhnlich starke Müdigkeitsgefühl sogar über Jahre.

Wie bedeutend dieser Zustand für die Patienten ist, zeigt eine Befragung von über 400 Krebspatienten. Darin gaben mehr als 75 Prozent an, dass Fatigue ihr größtes Problem sei. Völlig anders war -dagegen die Wahrnehmung der mehr als 200 behandelnden Ärzte. Sie hielten nicht die Fatigue, sondern den Schmerz für die problematischste Begleiterscheinung der Erkrankung. Doch nur etwa 20 Prozent der Patienten empfanden Schmerzen als ihre größte Belastung.

Trotz der Bedeutung der Fatigue für die Betroffenen wagt es nicht einmal die Hälfte der Krebspatienten, ihrem Arzt von dem permanenten Erschöpfungszustand zu berichten. Doch selbst informierte Mediziner sind oft ratlos und wissen nicht, wie sie den Patienten helfen können. So kommt es, dass nur etwa ein Viertel der Ärzte die Fatigue behandeln.

Keine normale Erschöpfung

Die Fatigue eines Krebspatienten darf nicht mit der Müdigkeit gesunder Menschen verwechselt werden. Im Gegensatz zu einer normalen Erschöpfung helfen den Patienten weder Ruhe noch Schlaf. Die extreme Müdigkeit beeinflusst sowohl ihre körperliche als auch geistige Leistungsfähigkeit. Nur noch erschöpft, kraft- und antriebslos stehen die Betroffenen zumeist vor den Anforderungen des Alltags. Oft sind sie sogar depressiv verstimmt. So fühlen sich viele Tumorpatienten nicht mehr in der Lage, zu arbeiten oder den gewohnten Alltagstätigkeiten nachzukommen. Auch für die Wiederaufnahme ihres früheren Familien- und Gesellschaftslebens erweist sich die extreme Müdigkeit als größtes Hindernis.

Die Ursachen einer Fatigue sind vielfältig. Bereits die Krebserkrankung macht Patienten extrem müde, und außerdem ist die Behandlung oft sehr belastend. So können beispielsweise eine Chemo- oder eine Strahlentherapie Entzündungen verursachen. Häufig schadet die Behandlung auch der Blutbildung. Inder Folge leiden die Patienten unter einer Anämie (Blutarmut), und die Muskeln werden nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. »Manche Zytostatika und moderne Therapeutika wie Trastuzumab können sogar die Herzfunktion beeinträchtigen«, sagte Dimeo. Außerdem verringern manche Arzneistoffe die Muskelmasse. Hierzu gehören hochdosierte Glucocorticoide, wie sie bei der Stammzelltransplantation eingesetzt werden.

Dosiertes Training

Untersuchungen an der Charité zeigen unter anderem: Nach einer Behandlung strengt Krebspatienten das Aufstehen und Gehen genauso an wie einen gesunden, jungen Mann das Laufen eines Marathons. So liegen Lactosespiegel und Herzfrequenz auf einem vergleichbaren Niveau. »Damit sie sich wieder besser fühlen, müssen sich die Tumorpatienten bewegen«, sagte Dimeo.

An der Berliner Charité entwickelten die Wissenschaftler dazu ein Trainingsprogramm, bei dem sie die körperliche -Aktivität der Patienten langsam steigern. Nach einer Krebsbehandlung beginnen die Patienten mit leichtem Gehen. Die Trainingsdosis beträgt zunächst nur drei Minuten. Dann folgt eine Pause von drei Minuten, und danach wieder drei Minuten Gehen. Bei insgesamt fünf Pausen erreichen die meisten so eine Strecke von 1500 Metern am Tag. Als Grundregel gilt: Die Patienten sollten dabei nur etwa 80Prozent ihrer maximalen körperlichen Belastungsfähigkeit ausnutzen.

In der anschließenden Woche betragen die einzelnen Trainingszeiten und die Pausen jeweils fünf Minuten. Von Woche zu Woche steigert sich so die Trainings-dosis, bis die Patienten in der Lage sind, sich 30 bis 40 Minuten durchgehend zu bewegen. Nach rund sechs Wochen legen die meisten dann bereits 3500 Meter in 30 Minuten zurück. »Wichtig ist es, das individuell richtige Maß zu finden, das heißt, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel zu üben«, sagte Dimeo. Außerdem rät der Sportmediziner davon ab, während einer Therapiephase oder bei Fieber zu trainieren.

Mehrere positive Effekte

Zahlreiche Studien zeigen inzwischen, dass Krebspatienten deutlich von der regelmäßigen körperlichen Betätigung profitieren. So werden sie physisch leistungsfähiger, die Symptome der Fatigue lassen nach, und die Lebensqualität nimmt zu. Dabei ist es völlig gleich, ob die Patienten zuvor mit einer Chemo-, Strahlen-, Immun- oder Hormontherapie behandelt wurden. Sogar die Lebenserwartung lässt sich möglicherweise durch körperliche Aktivität steigern. Drei Studien haben dies mittlerweile ergeben. Voraussetzung ist, dass die Betroffenen jeden Tag mindestens 30 Minuten trainieren. Doch ein weiterer positiver Effekt sollte nicht übersehen werden: Regelmäßige Bewegung gibt den Patienten die Möglichkeit, aktiv an ihrer Genesung mitzuwirken.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
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