Jeder Schmerz ist anders |
25.03.2014 11:48 Uhr |
Von Ursula Sellerberg / Je nach Art und Intensität müssen Schmerzen unterschiedlich therapiert werden. Dennoch gilt die allgemeine Empfehlung: Analgetika früh und konsequent einzusetzen, um eine Chronifizierung der Schmerzen zu verhindern. Doch wie entstehen überhaupt chronische Schmerzen?
Mediziner unterteilen Schmerzen je nach Auslöser und Lokalisation in somatischen, viszeralen und neuropathischen Schmerz. Der somatische Schmerz entsteht in der Haut, den Muskeln, Gelenken oder Knochen. Er ist ein Warnsignal, wenn Reize wie Druck oder Hitze auf ein Gewebe einwirken. Auch Entzündungen können zu somatischen Schmerzen führen.
Tiefenschmerz ist oft schwer lokalisierbar.
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Der somatische Schmerz wird nochmals unterteilt in den Oberflächen- und den Tiefenschmerz. Der Oberflächenschmerz hat seinen Ursprung in der Haut, beispielsweise in einer Schnittwunde am Finger. Dabei treten zwei aufeinander folgende Empfindungen auf: Der erste Schmerz ist stechend und gut lokalisierbar, der zweite Schmerz ist dumpf und brennend. Grund dafür ist die Reizweiterleitung über zwei verschiedene Nervenbahnen.
Die Ursachen des Tiefenschmerzes liegen im Bindegewebe, in Muskeln oder Gelenken. Dieser Schmerz ist dumpf, brennend und schlecht lokalisierbar. Ein Beispiel für Tiefenschmerzen sind Muskelkrämpfe.
Je nach Intensität des somatischen Schmerzes wird es den Betroffenen schwarz vor Augen, ihr Blutdruck sinkt rapide, der Schweiß bricht ihnen aus und es wird ihnen übel.
Viszeraler Schmerz
Der viszerale Schmerz entsteht in den inneren Organen. Bei jeder Gewebeschädigung werden Botenstoffe frei gesetzt, die die Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) reizen. Viszerale Schmerzen lassen sich nur schwer lokalisieren. So empfinden manche Menschen den Schmerz statt im geschädigten Organ in einem bestimmten Hautareal, dem sogenannten Dermatom. Dieser Bereich ist für das jeweilige Organ charakteristisch. So verspüren Patienten beispielsweise nach einem Herzinfarkt oft Schmerzen im linken Arm.
Zur Abgrenzung von den neuropathischen Schmerzen werden somatischer und viszeraler Schmerz auch unter dem Begriff Nozizeptorenschmerzen zusammengefasst.
Neuropathischer Schmerz
Neuropathische Schmerzen entstehen nicht durch die Reizung von Nozizeptoren, sondern durch Verletzung eines Nervs. Beispiele dafür sind ein Nervenabriss bei Gelenkschaden oder Quetschungen von Nerven durch einen Bandscheibenvorfall. Zudem können Entzündungen wie bei einer Gürtelrose Nerven schädigen, aber auch metabolische Störungen wie bei schlecht eingestelltem Diabetes. Betroffene beschreiben neuropathische Dauerschmerzen oft als brennend oder bohrend, akute Schmerzattacken als blitzartig oder messerscharf. Während somatische und viszerale Schmerzen eher akut auftreten, ist die Gefahr groß, dass neuropathische Schmerzen chronisch werden.
Zwar lassen sich die verschiedenen Schmerzarten theoretisch unterteilen, faktisch können sie allerdings auch gleichzeitig auftreten. So sind chronische Rückenschmerzen beispielsweise häufig eine Kombination aus neuropathischen und nozizeptorvermittelten Schmerzen.
Vielen Patienten fällt es leichter, die Intensität Ihrer Schmerzen auf einer Schmerzskala einzuordnen, als sie mit Worten zu beschreiben.
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Chronische Schmerzen
Die wiederholte Reizung von Nozizeptoren führt mit der Zeit dazu, dass die Reizschwelle sinkt. Häufig verändert sich dann auch die Schmerzwahrnehmung der Betroffenen. Manche empfinden plötzlich normalerweise nicht schmerzhafte Reize, wie das Tragen einer Hose, als schmerzhaft. Dieses Phänomen bezeichnen Mediziner als Allodynie. Bei einer Hyperalgesie erleben die Betroffenen leichte Schmerzen auf einmal als unerträglich stark. Chronischer Schmerz kann dauerhaft auftreten, zum Beispiel bei Osteoporose, oder in häufig wiederkehrenden Intervallen wie bei Arthrose.
Wissenschaftler haben verschiedene Erklärungen, warum Schmerzen chronisch werden, also ohne adäquate Reizung der Nozizeptoren weiter bestehen. So ist beispielsweise bekannt, dass über die Nervenbahnen Substanzen vom Rückenmark an die Hautoberfläche oder zu einem Gelenk transportiert werden. Dort verstärken sie nicht nur die Schmerzempfindung, sondern führen auch zu Entzündungsreaktionen wie Rötungen oder Ödemen. Diese sogenannte neurogene Entzündung spielt bei Migräne eine Rolle. Da Entzündungsreaktionen zum Heilungsprozess beitragen, sind sie zunächst sinnvoll.
Ein anderes Beispiel für den Prozess der Chronifizierung sind Dauerkopfschmerzen durch den Missbrauch von Schmerzmitteln. Die regelmäßige Einnahme von Analgetika senkt die Reizschwelle, sodass das Gehirn beziehungsweise das Schmerzsystem überempfindlich wird.
Dauerhafter Schmerz kann zu einem Schmerzgedächtnis führen. Dann wird der Schmerz zur eigenständigen Krankheit. Ein einmal entstandenes Schmerzgedächtnis lässt sich nur schwer löschen. Um die Entstehung zu verhindern, ist es deshalb wichtig, Schmerzen so schnell und umfassend wie möglich zu lindern. Auch aus diesem Grund erhalten Patienten heutzutage schon vor, während und nach Operationen stark wirksame Schmerzmittel beziehungsweise Anästhetika.
Chronische Schmerzen belasten die Betroffenen sehr und wirken sich auch auf ihre Psyche aus: Viele sind unsicher, wie lange die Schmerzen anhalten und ob sie vielleicht stärker werden. Hilflosigkeit, Zweifel, Depressionen oder Angststörungen sind einige der möglichen Folgen, die die Schmerzempfindung wie in einem Teufelskreis verstärken können. Umgekehrt lassen sich Schmerzen durch die Psyche beeinflussen. Daher sprechen viele Schmerzpatienten gut auf Placebo an.
Die Gefahr der Schmerzchronifizierung steigt mit der Anzahl der schmerzenden Körperstellen und wird auch von der Einstellung des Patienten beeinflusst. Redet dieser den Schmerz durch eine negative Erwartungshaltung geradezu herbei, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er sich tatsächlich dauerhaft einstellt (selbsterfüllende Prophezeiung). Patienten mit chronischen Schmerzen brauchen eine Dauermedikation. Dabei sollte der behandelnde Arzt die Schmerzintensität regelmäßig erfassen und so den Therapieerfolg überprüfen.
Passendes Schmerzmittel
Die Wahl des Schmerzmittels erfolgt nach mehreren Kriterien, vor allem nach der Schmerzart, der -dauer und der Stärke der Beschwerden.
Bei leichten bis mittelschweren Nozizeptorschmerzen werden vor allem nicht-opioide Schmerzmittel angewendet. Einige dieser Analgetika wie Ibuprofen und Diclofenac wirken auch entzündungshemmend.
Bei starken Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen, bei neuropathischen und Tumorschmerzen sind Opioide die Mittel der Wahl. Die Arzneistoffe werden zunehmend auch bei Schmerzen des Bewegungsapparats eingesetzt, vor allem wenn nicht-opioide Schmerzmittel kontraindiziert sind. Ärzte gebrauchen dann oft die Bezeichnung LONTS (Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen).
Neuropathische Schmerzen sprechen am besten auf sogenannte Coanalgetika an. Dazu zählen vor allem Antidepressiva und Antikonvulsiva. Ergänzend dazu erhalten die Patienten meist klassische Schmerzmittel.
Die nächsten Folgen der Serie »Schmerz‹« werden sich mit den verschiedenen Analgetika-Gruppen beschäftigen. /
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