Organische Ursachen überwiegen |
07.03.2016 15:09 Uhr |
Von Brigitte M. Gensthaler / Trotz aller Aufklärung: Schwierigkeiten mit der Erektion sind für die meisten Männer ein Tabu. Weder beim Arzt noch in der Apotheke sprechen sie das Thema an. Dabei ist Scham fehl am Platz. Erektionsstörungen können andere Krankheiten anzeigen – und sind meist gut behandelbar.
Der medizinische Begriff »erektile Dysfunktion« (ED) beschreibt die Unfähigkeit eines Mannes, eine ausreichende Gliedsteife (Erektion) für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr zu erreichen. Dies betrifft sowohl die Versteifung des Penis an sich als auch deren Dauer. Dabei spürt der Mann durchaus sexuelle Lust (Libido), aber der Penis reagiert nicht entsprechend.
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Bei anhaltenden Erektionsproblemen schwindet die Libido meistens, denn Probleme beim Geschlechtsverkehr treffen die Mehrzahl der Männer tief in ihrem Selbstwertgefühl. Oft belasten sie auch die Partnerschaft. Entsprechend einfühlsam muss die Beratung der Betroffenen sein.
Die ED gilt dann als Krankheit, wenn sie dauerhaft auftritt. Insgesamt soll jeder fünfte Mann in Deutschland betroffen sein. Allerdings nimmt die Häufigkeit der ED mit dem Alter deutlich zu: Etwa die Hälfte aller Männer ab 70 Jahren hat Erektionsprobleme. Dies ist zu unterscheiden von gelegentlichen Störungen. Nahezu jeder Mann hat schon erlebt, dass großer Stress, Sorgen oder eine fremde Umgebung den Geschlechtsakt belasten können. Das ist nicht krankhaft.
Wie entsteht eine Erektion?
Der Penis enthält drei schwammartige Gewebe, die Schwellkörper. Zwei befinden sich jeweils seitlich des Penis und der dritte an dessen Unterseite. Der dritte Schwellkörper, der die Harnröhre umschließt, verhindert, dass diese bei der Erektion zusammengedrückt wird – sonst wäre kein Samenerguss (Ejakulation) möglich.
Die Erektion ist ein komplexer Vorgang, bei dem Nerven auf der Ebene des Gehirns, Rückenmarks und Beckens mit Blutgefäßen und Hormonen zusammenspielen. Bei sexueller Stimulation sendet das Gehirn Signale aus, sodass die glatte Muskulatur erschlafft, die Arterien im Penis sich erweitern und Blut in die Schwellkörper gepumpt wird. Die Ausdehnung des Gewebes drosselt zugleich den Blutabfluss, da die ableitenden Venen gegen die festen Bindegewebshüllen des Schwellkörpers gedrückt werden. Dadurch steigt der Druck im Organ: Der Penis versteift sich und richtet sich auf.
Auch bei älteren Männern verstärkt ein gesundes Sexualleben das emotionale Wohlbefinden. »60 bis 80 Prozent der Männer zwischen 50 bis 80 Jahren sind in irgendeiner Weise sexuell aktiv«, sagt der Androloge Professor Klotz. Allerdings verändere sich das Sexualleben ab der Lebensmitte. Viele Paare haben weniger Geschlechtsverkehr, genießen aber umso mehr den Körperkontakt außerhalb der Genitalien und eine tiefe Vertrautheit. Die Intensität des Orgasmus lasse nach und die Erholungsphasen werden länger. »Dennoch ist die Erektion wichtig.«
Wichtige Botenstoffe in diesem Geschehen sind Stickstoffmonoxid (NO) und zyklisches Guanosin-monophosphat (cGMP), die die Erschlaffung der glatten Muskulatur auslösen. Das cGMP wird über das Enzym Phosphodiesterase-5, kurz PDE-5, abgebaut. PDE-5-Hemmstoffe hemmen den Abbau und fördern so den Effekt von cGMP – das Wirkprinzip von Sildenafil und Co.
»Früher wurde eine erektile Dysfunktion fast immer als psychisches Problem angesehen«, berichtete Professor Dr. Theodor Klotz von der Klinik für Urologie und Kinderurologie, Weiden, bei einer Fortbildung in München. Dieses Bild habe sich mit der Zulassung von Viagra®, also Sildenafil, im Herbst 1998 geändert. Heute gelte die ED als degenerative Erkrankung. Bei etwa der Hälfte der Patienten gehen Ärzte von einer rein organischen Ursache aus, bei etwa 20 Prozent soll die Störung psychisch bedingt sein und bei circa 30 Prozent gemischt, informiert der Experte für Männerkrankheiten.
ED als Frühwarnzeichen
Gefäßschäden gehören zu den Hauptursachen einer ED. So macht sich Atherosklerose in den engen Gefäßen des Penis schneller bemerkbar als in den vergleichsweise großen Gefäßen am Herzen. »Das bedeutet, dass eine ED ein Frühsymptom einer Herzkrankheit sein kann«, mahnt Klotz. Daher gelte der Penis auch als »Wünschelrute für das Koronarsystem des Mannes.« Studien zeigen, dass eine Erektionsstörung oft zwei bis drei Jahre vor einer Herz-Kreislauf-Erkrankung auftritt. Gleiches gelte für Diabetes mellitus oder eine Depression.
Eine erektile Dysfunktion kann auch erstes Warnzeichen einer ernsten Erkrankung sein wie Diabetes mellitus.
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Risikofaktoren für eine ED sind – neben höherem Alter – Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Störungen des Fettstoffwechsels. Eine gestörte Erektion kann also ernste innere Erkrankungen anzeigen. Je früher diese erkannt und behandelt werden, umso besser für die Männergesundheit. Auch übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen schaden den Blutgefäßen und fördern Atherosklerose.
Weitere organische Ursachen sind Operationen im Beckenbereich, zum Beispiel wegen Prostatakrebs, Rückenmarksschäden, zum Beispiel bei Multipler Sklerose, sowie Niereninsuffizienz und Hormonstörungen. Testosteron beeinflusst die Erektion aber nur mittelbar, das heißt, es ist unter anderem verantwortlich für die Schwellkörperfunktion. »Testosterongaben alleine bessern eine ED nicht – außer bei einem manifesten Hormondefizit«, erklärt Klotz.
PDE-5-Hemmer auf Platz 1
Klare Spitzenreiter in der medikamentösen Therapie der ED sind heute die PDE-5-Hemmer. Dazu gehören Sildenafil, das seit Mitte 2013 auch als Generikum erhältlich ist, Vardenafil, Tadalafil und Avanafil.
Alle PDE-5-Hemmer wirken an den glatten Muskelzellen des Penis. Da sie den Abbau des Botenstoffs cGMP hemmen, ermöglichen sie die Relaxation der Schwellkörper und erleichtern den Bluteinstrom in den Penis. Sie erzwingen keine Erektion, erleichtern aber die Bereitschaft dazu. Dennoch ist immer eine sexuelle Stimulation notwendig. Die einzelnen Wirkstoffe unterscheiden sich nicht in ihrer Wirkweise, wohl aber in Dosierung und Wirkeintritt (siehe auch Tabelle). Tadalafil wirkt am längsten: Seine Halbwertszeit beträgt 17,5 Stunden.
Die Medikamente in Tablettenform sind hoch wirksam. Bei 80 Prozent der Männer verbessern sie die Erektion; zwei Drittel der Anwender haben wieder erfolgreich Geschlechtsverkehr. Die Medikamente wirken auch bei Männern mit Diabetes-bedingter ED, aber schlechter als bei Patienten mit gesundem Stoffwechsel, wie Klotz erklärt. »Bei Diabetes-Patienten liegen die Ansprechraten bei etwa 60 Prozent. Je länger der Diabetes besteht, umso schlechter wirken die PDE-5-Hemmer.«
Wirkstoff (Handelsname), verfügbare Stärken | Empfohlene Dosis, Einnahmezeitpunkt | Hinweise für die Beratung |
---|---|---|
Avanafil (Spedra®) 50, 100, 200 mg | 100 mg, 15 bis 30 Minuten vor einer sexuellen Aktivität | Einnahme zusammen mit Nahrung kann die Wirkung im Vergleich zur Nüchterneinnahme verzögern |
Sildenafil (Viagra® und andere) 25, 50, 100 mg | 50 mg, etwa eine Stunde vor dem Geschlechtsverkehr | Einnahme zusammen mit Nahrung kann den Wirkeintritt im Vergleich zur Nüchterneinnahme verzögern |
Tadalafil (Cialis®) 5, 10, 20 mg | 10 mg, mindestens 30 Minuten vor einer sexuellen Aktivität | Mittlere HWZ 17,5 Stunden, tägliche Anwendung in der niedrigsten Dosierung möglich (2,5 bis 5 mg) |
Vardenafil (Levitra®) 5, 10, 20 mg | 10 mg, etwa 25 bis 60 Minuten vor dem Geschlechtsverkehr | auch als 10-mg-Schmelztablette erhältlich, Einnahme zusammen einer fettreichen Mahlzeit kann den Wirkeintritt verzögern |
Trotz allgemein guter Verträglichkeit können auch Nebenwirkungen auftreten. Dazu zählen Kopfschmerzen, Flush, verstopfte Nase, Sodbrennen, Benommenheit und Übelkeit. Aus Sicht des Arztes ist wichtig: »Sildenafil und Co. behandeln nur ein Symptom, aber nicht die Grunderkrankung.«
Eine wichtige Kontraindikation ist die gleichzeitige Einnahme von Nitraten und Arzneimitteln, die Stickstoffmonoxid freisetzen, da Sildenafil den blutdrucksenkenden Effekt von Nitraten verstärkt. Das gilt auch für Nitro-Spray. Anhaltende Hypotonie, schwere Leber- und Nierenstörungen, bestimmte Augenerkrankungen sowie Herzinfarkt und Schlaganfall in den letzten Monaten zählen ebenfalls zu den Kontraindikationen. Der Androloge weist darauf hin, dass Patienten, denen aufgrund ihrer geringen Herz-Kreislauf-Belastbarkeit von sexueller Aktivität abzuraten ist, keine PDE-5-Inhibitoren einnehmen sollten.
Training mit Sildenafil
Meistens nimmt der Mann den PDE-5-Hemmer bei Bedarf ein (Ausnahme Tadalafil, das 36 bis 48 Stunden wirkt). Doch was tun, wenn er in der Apotheke ein Rezept, zum Beispiel über Sildenafil, mit der Angabe »1/4 Tablette abends« vorlegt?
Ursprünglich wurde Sildenafil zur Behandlung des Lungenhochdrucks entwickelt, da die Hemmung des Enzyms PDE5 die Lungendurchblutung erhöht. In den Studien berichteten die Patienten jedoch über eine verbesserte erektile Funktion – eine angenehme Nebenwirkung. Sildenafil ist seit 2006 bei pulmonaler arterieller Hypertonie (PAH) zugelassen (Revatio®, dreimal täglich 20 mg).
Ebenso ist Tadalafil seit 2008 als Adcirca® bei PAH zugelassen. Die empfohlene Dosis beträgt einmal täglich 40 mg (zweimal 20 mg). Eine weitere Indikation von Tadalafil (Cialis®) ist das benigne Prostatasyndrom (BPS) bei Erwachsenen. Die empfohlene Dosis von 5 mg sollte der Mann täglich etwa zur gleichen Zeit, unabhängig von den Mahlzeiten, schlucken. Dies gilt auch, wenn er das Medikament sowohl wegen eines BPS als auch aufgrund einer ED bekommt.
In diesem Fall habe der Arzt eine »Therapie mit Trainingseffekt« verordnet, erklärt Klotz. Die abendliche Einnahme niedriger Dosen erleichtere nächtliche Erektionen während der REM-Schlafphasen und dies trainiere den Schwellkörper. »Nach einigen Monaten merkt der Mann, dass er wieder Morgenerektionen hat. Dann nimmt seine Libido zu.« Im Gegensatz zur kontinuierlichen Gabe habe die Einnahme on demand keinen Trainingseffekt und halte die altersbedingte Degeneration der penilen Gefäße nicht auf.
Auch bei Tadalafil ist die tägliche Anwendung zulässig, wenn der Mann das Medikament sehr häufig, das heißt mindestens zweimal pro Woche, anwenden will. Laut Fachinformation kann er dann einmal täglich 2,5 bis 5 mg jeweils zur etwa gleichen Tageszeit einnehmen.
Mögliche Alternativen
Aufgrund der guten Wirksamkeit der PDE-5-Hemmer haben andere Therapieoptionen an Bedeutung verloren. Bei leichten nicht-organisch bedingten Störungen kommen mitunter unselektive alpha-Blocker wie Yohimbin, ein Alkaloid aus der Rinde eines westafrikanischen Baums, zum Einsatz. Hier ist Geduld gefragt: Es kann zwei bis drei Wochen dauern, bis eine Wirkung spürbar wird.
Ein anderes Problem haben Männer, deren Samenerguss regelmäßig zu früh erfolgt (Ejaculatio praecox). Wenn dies einen deutlichen Leidensdruck oder Probleme in der Partnerschaft auslöst, kann der Arzt dem Mann unter bestimmten Bedingungen Dapoxetin-Tabletten (Priligy®) verschreiben. Der Wirkstoff ist ein potenter selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) und somit eigentlich ein Antidepressivum. Der Mann sollte die empfohlene Initial-Dosis von 30 mg eine bis drei Stunden vor der sexuellen Aktivität einnehmen. Nach den ersten vier Behandlungswochen (oder spätestens nach sechs Dosen) sollten Arzt und Patient darüber entscheiden, ob sie die Therapie fortsetzen möchten.
Zudem gibt es gut wirksame, nicht-orale Therapien wie die Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT). Dabei injiziert sich der Mann ein Medikament, zum Beispiel das synthetische Prostaglandin E1 Alprostadil, in den Schwellkörper des Penis (Caverject®). In der Folge erschlafft die Penismuskulatur. Etwa 10 bis 15 Minuten nach der Injektion tritt zwingend eine Erektion auf. Die Dosis ist so zu wählen, dass diese nicht länger als eine Stunde anhält. Die Methode wirkt unabhängig von der Ursache der ED, kann aber lokal Schmerzen, Blutergüsse oder auch Dauererektionen (Priapismus) verursachen.
Seit Kurzem ist auch eine Alprostadil-haltige Creme (Vitaros®) im Handel, die auf die Penisspitze und unter die Vorhaut aufgetragen wird. Ein anderer Weg ist die Applikation eines Alprostadil-Stäbchens aus einem Applikator direkt in die Harnröhre. Das nadellose System heißt MUSE (medikamentöses urethrales System zur Erektion).
Eine nicht-medikamentöse Alternative sind Vakuumpumpen, die auf den Penis aufgesetzt werden und mittels Unterdruck Blut einströmen lassen. Diese wenig charmante Methode kann eine Option für Männer nach radikaler Prostata-Entfernung sein.
Sind alle Maßnahmen erfolglos, können Arzt und Patient ein Schwellkörperimplantat erwägen. Dabei wird der Schwellkörper operativ entfernt und an dessen Stelle ein Implantat eingesetzt, das bei Bedarf mit einer kleinen Pumpe aufgepumpt wird. Etwa 80 Prozent der Patienten und ihrer Partnerinnen seien mit dieser Lösung zufrieden, weiß Klotz. Das Implantat halte etwa fünf bis acht Jahre und müsse dann ausgewechselt werden. Rückgängig machen lässt sich der Eingriff aber nicht mehr. /
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