PTA-Forum online
Prostatakarzinom

Steter Tropfen …

07.03.2016  15:08 Uhr

Von Katrin und Tim Schüler / Bereits zum dritten Mal innerhalb von zwei Wochen verlangt ein etwa 65-jähriger Mann in der Apotheke einen harntreibenden Tee. Beim letzten Besuch hatte er sich den Nachfragen der PTA wegen angeblicher Zeitnot entzogen. Dieses Mal lässt die PTA nicht locker und erkundigt sich ganz genau nach den Beschwerden, um sicherzugehen, dass eine Selbstmedikation weiter zu verantworten ist.

Zu Beginn ist es dem Kunden sichtlich peinlich, über sein »Männerproblem« zu sprechen. Jedoch gelingt es der PTA in der Beratungsecke der Apotheke, mit einem empathischen Gespräch und gezielten Fragen (siehe Kasten) ein genaueres Bild über die Hintergründe der Beschwerden zu gewinnen. Der ältere Herr beschreibt charakteristische Symp­tome einer Prostataerkrankung.

Eine Erkrankung der Vorsteherdrüse tritt bei Männern dieser Altersgruppe häufiger auf und schreitet mit zunehmendem Alter fort. Typische Beschwerden sind tröpfelnder Harnfluss und steter Harndrang. Zu den alltäglichen Beeinträchtigungen zählen die unvollständige Entleerung der Blase sowie plötzlicher starker Harndrang mit unkontrolliertem Urinabgang.

Der Besuch eines Facharztes ist bereits angezeigt, wenn der Harnstrahl schwächer wird. Mit zunehmendem Wachstum – unabhängig davon, ob die Wucherungen gut- oder bösartig sind, umschließt die Prostata die Harnröhre immer dichter. In der Folge ist der Harnabfluss derart behindert, dass Restharn in der Blase verbleibt und das Risiko für bakterielle Infektionen steigt. Drückt die Wucherung die Harnröhre vollständig ab, staut sich der Urin in der Blase oder sogar bis in die Nieren. Dies verursacht starke Schmerzen und ist dringend behandlungsbedürftig.

Da sich Samenleiter und Harnsystem in der Prostata vereinigen und wichtige Nerven nahe der Vorsteherdrüse verlaufen und das Drüsensekret der Prostata einen wichtigen Teil der Spermaflüssigkeit ausmacht, können Betroffene auch unter Erektionsstörungen leiden oder Schwierigkeiten beim Samenerguss haben. Ab einem Alter von 50 Jahren lassen sich bei fast jedem zweiten Mann gutartige Wucherungen der Prostatazellen nachweisen (benignes Prostatasyndrom, BPS).

Charakteristischerweise wächst das Prostatagewebe bei BPS nahe der Harnröhre. Im Unterschied dazu entstehen bösartige Wucherungen häufiger im äußeren Teil der Vorsteherdrüse. Dabei nimmt das Zellwachstum oft unbemerkt zu. Erst wenn der Tumor die Innenwand erreicht, führt er meist zu Problemen beim Wasserlassen. Prostatakrebs ist bei Männern die häufigste Krebsart und die dritthäufigste Krebstodesursache. Die Zahl der Neuerkrankungen lag in Deutschland laut Angaben des Zentrums für Krebsregister­daten im Jahr 2012 bei 63 710 Männern. Vor dem 50. Lebensjahr erkranken Männer nur selten an Prostatakrebs. Bei einem 35-jährigen Mann beträgt das Risiko, dass in den nächsten zehn Jahren in der Vorsteherdrüse ein Karzinom entsteht, 0,1 Prozent.

Wichtige Fragen für das Beratungsgespräch

  • Welche Beschwerden liegen bei Ihnen genau vor?
  • Wie lange haben Sie diese Beschwerden schon?
  • Wie oft müssen Sie nachts auf die Toilette?
  • Ist der Urinstrahl beim Wasser­lassen schwächer geworden?
  • Verzögert sich der Beginn des Wasser­lassens?
  • Was haben Sie bisher schon unternommen?
  • Gibt es noch andere Unregel­mäßigkeiten beim Wasserlassen, wie

– unkontrollierter Harnabgang,

– Blut im Urin,

– Nachtröpfeln nach dem Wasser­lassen oder

– andere Begleiterscheinungen?

  • Haben Sie bereits einen Arzt aufgesucht?
  • Welche Medikamente nehmen Sie regelmäßig ein?

Bisher konnten die Ursachen für die Entstehung dieser Krebsart sowie die Faktoren, die den Verlauf beeinflussen, trotz wissenschaftlicher Forschung nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Eine wichtige Rolle scheinen die Testosterone zu spielen.

Ab dem 45. Lebensjahr erstatten die gesetz­lichen Krankenkassen Männern einmal jährlich eine Vorsorgeunter­suchung. Patienten mit familiärer Vorbelastung sollten regelmäßig einen Prostatacheck machen lassen. Der Urologe wird den Mann eingehend befragen und Lymphknoten sowie die äußeren Genitalien abtasten. Bei der digital-rektalen Untersuchung des Enddarms kann er Aussagen über Größe, Konsistenz und Struktur der anliegenden Prostata­region treffen.

Aussagekraft des PSA-Tests

Zu den Vorsorgeuntersuchungen der Prostata zählt auch der sogenannte PSA-Test. Das prostataspezifische Antigen (PSA) wird in den Schleimhäuten der Drüse gebildet und hat bei der Ejakulation wichtige enzymatische Aufgaben: Es verflüssigt das Sperma und verhindert so die Ausflockung der Samenflüssigkeit. Ein erhöhter PSA-Wert im Blut kann auf ein Prostatakarzinom hinweisen.

Jedoch führen auch Überanstrengung, Geschlechtsverkehr, Druck auf die Prostata, zum Beispiel beim Rad fahren, oder BPS zu erhöhten Werten. Deshalb zweifeln Experten den Nutzen der alleinigen Bestimmung des PSA-Wertes als Hinweis auf ein Karzinom an. Der Test ist allerdings so aussagekräftig, dass bei nicht erhöhten Werten eine Erkrankung eher ausgeschlossen werden kann. Bei negativem Tastbefund ist der PSA-Test eine sogenannte individuelle Gesundheitsleistung des Arztes, kurz IGeL genannt, die der Patient selbst bezahlt muss. Hat der Arzt allerdings Verhärtungen oder Knoten an der Drüse ertastet und zählt der Mann zu den jüngeren Risikopatienten, ist ein PSA-Test durchaus angezeigt.

Eine zukünftige Rolle als Biomarker könnte die Aminosäure Sarkosin spielen, die bei bestimmten Prostata­erkran­kungen im Urin nachweisbar ist und eine genauere Aussage über Bösartigkeit und Verlauf der Erkrankung ermöglicht.

Mehrere Gewebeproben

Um Größe und Form der Prostata genauer zu bestimmen, eignet sich die transrektale Ultraschalluntersuchung (TRUS) der Drüse mit einer über das Rektum eingeführten Sonde. Zudem kann der Arzt so beurteilen, ob sich der Krebs bereits auf benachbarte Gewebe ausgedehnt hat. Als alleinige Methode zur Früherkennung ist die TRUS nicht geeignet, da sie zu unspezifisch ist. TRUS nutzen Ärzte auch bei der Gewebeentnahme, damit sie die Biopsie­nadel genau positionieren können. Dabei entnimmt der Arzt dem Patienten unter lokaler Betäubung mit feinen Hohlnadeln circa zwölf Gewebeproben an unterschiedlichen Stellen der Vorsteherdrüse.

Nach der sogenannten Stanzbiopsie müssen manche Männer ein Antibiotikum einnehmen, um eine Entzündung durch eingetragene Darmbakterien zu verhindern. Mit­unter können nach einer Gewebeentnahme Blut im Stuhl oder in der Samenflüssigkeit auftreten, jedoch nicht länger als ein paar Tage. Halten die Beschwerden an oder kommt Fieber hinzu, sollte der Patient einen Arzt aufsuchen.

Welche Behandlung Ärzte Männern mit einem Prostatakarzinom vorschlagen, richtet sich nach dem Stadium der Erkran­kung. Ist das Karzinom lokal begrenzt und wenig aggressiv, ist auch »kontrolliertes Abwarten« eine sinnvolle Option.

Radikale Tumorentfernung

Entscheidet der Patient sich für eine Operation, entfernt der Chirurg häufig neben der Vorsteherdrüse auch benachbarte Lymphknoten. Führt die Operation zu Impotenz oder Inkontinenz, kann gezieltes Becken­boden­training zumindest die Kontinenzschwäche verbessern. Nach möglichen Meta­stasen wird mit bildgebenden Verfahren wie der Computertomografie (CT), Magnetresonanztomografie (MRT) oder der Knochenszintigraphie gefahndet. Prostatakarzinome bilden in Lunge, Leber und Knochen häufiger Tochtergeschwülste als in anderen Geweben, zum Beispiel im Gehirn.

Bei fortgeschrittenen Tumoren leitet der Arzt eine Strahlenbehandlung ein. Indem die radioaktiven Strahlen genau auf den Tumor ausgerichtet werden, sollen die Zellkerne der Krebszellen so geschädigt werden, dass sie nicht mehr teilungsfähig sind und absterben.

Ist eine Heilung nicht möglich, ­erwägen Ärzte eine Behandlung mit GnRH-Antagonisten wie Abarelix, Degarelix (GnRH = Gonadotropin releasing Hormon) zum Testosteronentzug. Diese Substanzen blockieren die Rezeptoren des GnRH an der Hirnanhangdrüse. GnRH wird vom Hypothalamus ausgeschüttet und fördert unter anderem die Freisetzung des luteinisierenden Hormons (LH) der Hypophyse. Nach Bindung des LH an die entsprechenden Rezeptoren produzieren die sogenannten Leydig-Zellen des Hodens Testosteron. Diese Zellen steuern zusammen mit den Sertoli-Zellen des Hodens den überwiegenden Teil des männlichen Sexualhormonhaushaltes (siehe auch Grafik). Wird der GnRH-Regelkreis durch die oben genannten Arzneistoffe blockiert, fehlt dem Tumor Testosteron und sein Wachstum ist gebremst.

Weitere Therapieoption

Als Alternative stehen den Ärzten die GnRH-Analoga wie Leuprorelinacetat zur Verfügung. Synthetische GnRH-Analoga wirken länger und stärker am entsprechenden Rezeptor. Dadurch erschöpfen sich die LH- und folglich die Testosteronbildung. Nach Einnahme eines GnRH-Analogons steigt manchmal in den ersten Wochen die Testosteronproduktion. Die Patienten bemerken dann möglicherweise vermehrt Störungen beim Wasserlassen, haben Schmerzen im Skelettsystem oder Herz-Kreislaufbeschwerden. Des Weiteren verringern diese Arzneisubstanzen bei manchen Patienten auch die Spermienproduk­tion und die sexuelle Lust. In einem solchen Fall sollten sie den Arzt aufsuchen, der dann individuell die Medikation anpasst.

Aktuell diskutieren Fachkreise dar­über, wie aussagekräftig Vorsorge­untersuchungen der Prostata sind und wie oft sie durchgeführt werden sollten. Kleinere Prostatakarzinome bleiben häufig symptomlos sowie ohne Folgen für die Lebenserwartung. Vor allem bei älteren Patienten ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzinfarkt zu sterben, höher als an den Folgen einer Prostatakrebserkrankung. Der Nutzen jeder Früherkennung einer Krebserkrankung liegt darin, gravierende Verläufe früh zu erkennen und dann zu behandeln. Bei verdächtiger Symptomatik sollten PTA oder Apotheker dem Patienten stets raten, umgehend den Arzt aufzusuchen. /