Stent oder Bypass |
27.02.2017 10:59 Uhr |
Von Carina Steyer / Bei Patienten mit einem akuten Herzinfarkt setzen Ärzte in der Klinik meist direkt einen Stent ein. Bei der stabilen koronaren Herzkrankheit (KHK) wägen sie sorgfältig ab, ob Stent oder Bypass die richtige Option ist.
Die Therapie der chronischen koronaren Herzkrankheit (KHK) verfolgt hauptsächlich zwei Ziele: die Symptomatik zu verringern und damit die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen und den Krankheitsverlauf abzumildern beziehungsweise die Prognose zu verbessern. Um diese beiden Ziele zu erreichen, stehen den Ärzten die medikamentöse Therapie und als operative Maßnahmen die sogenannten Revaskularisationseingriffe zur Verfügung. Um den Blutfluss in einem verengten Herzkranzgefäß wieder herzustellen, können sie dem Patienten entweder einen Stent einsetzen oder eine Bypass-Operation durchführen. Etwa jeder dritte Patient entschließt sich nach einiger Zeit regelmäßiger Medikamenteneinnahme für einen chirurgischen Eingriff, weil seine Beschwerden nicht nachlassen.
Passionierter Schwimmer trotz Bypass: Der 85-jährige Kanadier Chris Smith hält mehrere Freistil-Rekorde in seiner Altersklasse.
Foto: Imago/ZUMA Press
Stents sind kleine, gitterförmige Gefäßstützen, die der Chirurg in das verengte, vorab aufgedehnte Herzkranzgefäß einsetzt. Für diesen Eingriff schiebt er über einen kleinen Schnitt in der Leiste oder im Arm einen langen, dünnen, flexiblen Schlauch, den sogenannten Führungskatheter, in die Arterie und über die Hauptschlagader bis in das betroffene Herzkranzgefäß. Dieser Vorgang ist komplett schmerzfrei. Sitzt der Führungskatheter richtig, führt der Arzt anschließend den Ballonkatheter ein, an dessen Spitze sich der Stent befindet. Ist damit die Engstelle im Gefäß erreicht, wird der Ballon mit einem Kontrastmittel gefüllt, das im Röntgenbild zu erkennen ist. Dann dehnt der Operateur unter Röntgenkontrolle die Engstelle im Herzkranzgefäß durch den Druck des Ballons auf, sodass sich der Stent entfaltet und in die Gefäßwand gedrückt wird. Zum Schluss muss das Kontrastmittel abgesaugt werden, damit der Ballon zusammenfällt und sich mit dem Katheter aus dem Gefäß ziehen lässt. Die Eintrittsstelle in die Arterie verschließt der Operateur entweder mit einer speziellen Nähtechnik oder mit einem Druckverband. Anschließend wächst der Stent innerhalb weniger Wochen in das Gewebe ein. Derzeit entscheidet der behandelnde Arzt, welcher Stent im Einzelfall am besten geeignet ist. Die verschiedenen Arten der Stents zeigt der Kasten (nächste Seite).
Aufdehnen oder umleiten
Bei einer Bypass-Operation wird das verengte Herzkranzgefäß überbrückt, indem der Blutfluss umgeleitet wird. Dafür verwendet der Operateur nach Möglichkeit eine Brustwandarterie, aber auch Venenstücke aus dem Bein oder die Speichenarterie aus dem Arm kommen infrage. Der große Vorteil der Brustwandarterie ist, dass bereits eine Verbindung zur Aorta besteht. Daher muss der Arzt sie nur noch hinter der Verengung auf das Herzkranzgefäß aufnähen. Hingegen muss er eine Beinvene oder die Speichenarterie erst mit der Aorta verbinden.
Die konventionelle Bypass-Operation geschieht am offenen Herzen. Damit der Chirurg am nichtschlagenden Herzen arbeiten kann, wird der Patient während der Operation an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Viele Patienten werden heute allerdings schon nach dem sogenannten OPCAB-(off-pump coronary artery bypass)-Verfahren operiert. Dabei wird nur der Bereich um das verengte Herzkranzgefäß ruhiggestellt, die Herz-Lungen-Maschine wird also nicht mehr benötigt. Ist nur ein Gefäß auf der Herzvorderwand verengt, reicht dem Operateur für den Eingriff bereits eine Weiterentwicklung der OPCAB-Technik aus: ein kleiner seitlicher Schnitt zwischen den Rippen.
Trend zum Stent
Im Jahr 2015 wurden nach Angaben des aktuellen Deutschen Herzberichts insgesamt 333 609 Stents eingesetzt und 52 000 Bypass-Operationen durchgeführt. Diese Zahlen veranschaulichen, dass der Trend immer deutlicher in Richtung Stent geht. Experten sehen diese Entwicklung durchaus kritisch. Sie vermuten, dass Chirurgen auch bei komplexen Erkrankungen Stents legen, die eigentlich eine Bypass-Operation erfordern.
Ob ein Stent oder ein Bypass die bessere Wahl ist, hängt vom Ausmaß der koronaren Herzkrankheit und ganz wesentlich von den Begleiterkrankungen ab. Je ausgeprägter die KHK ist, desto eher sollten sich die behandelnden Ärzte für einen Bypass entscheiden, empfehlen die Autoren der Nationalen Versorgungsleitlinie chronische KHK. Eine klare Indikation für die Bypass-Operation besteht aus Expertensicht bei komplexen Gefäßerkrankungen, das heißt, wenn mehrere Gefäße und große Herzkranzgefäße im Hauptstamm (Hauptstammstenose) verengt sind. Auch bei Patienten mit Diabetes mellitus ist der Bypass die bessere Option. Entgegen der häufigen Befürchtung der Patienten spielt das Alter kaum eine Rolle. »Patienten jeglichen Alters können herzchirurgisch revaskularisiert werden. Es gibt keine fixe Altersobergrenze. 2015 machte die Altersgruppe der ab 70-plus-Jahre 48,4 Prozent aller koronaren Bypass-Patienten aus«, betont PD Dr. Wolfgang Harringer, erster Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) in einer Pressemitteilung.
Abbildung: iStock/janulla
Nutzen gegen Risiko
In vielen Fällen ergibt sich aus dem medizinischen Befund jedoch keine eindeutige Empfehlung. Dann müssen die Ärzte so genau wie möglich einschätzen, ob der Stent den gewünschten langfristigen Erfolg bringen kann oder eine Bypass-Operation sinnvoller ist, immer auch unter Einbeziehung des Patienten. Die Abwägung der beiden Therapieoptionen ist in der Regel sehr komplex. Entscheidend ist letztlich, ob das Risiko des Eingriffs die zu erwartenden Langzeitergebnisse rechtfertigt.
Ergänzend zur Nationalen Versorgungsleitlinie fassen Entscheidungshilfen für Patienten die wichtigsten Fakten zu den Eingriffen zusammen. Diese Informationen sollen Betroffenen ein eigenes Urteil ermöglichen – unabhängig von der ärztlichen Meinung.
Mit einem Stent (oben) wird das verengte Gefäß gedehnt, bei der Bypass-OP wird eine Umleitung in der Blutbahn gelegt.
Abbildung: Okapia/BSIP/Jacopin
Einige Unterschiede
Das Risiko von Blutungen, Infektionen, Schmerzen sowie Wundheilungsstörungen ist bei einer Bypass-Operation aufgrund des umfangreicheren Eingriffs größer. Einer von 100 Operierten erleidet einen Schlaganfall, drei von 100 Operierten sterben innerhalb der ersten 30 Tage nach der Operation. Im Vergleich dazu treten bei einer von 100 Katheter-Untersuchungen schwere Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen auf, bei fünf von 100 kommt es zu leichten Blutungen. Ein weiterer Unterschied ist die wesentlich kürzere Erholungszeit nach dem Legen eines Stents. In der Regel können die meisten Patienten bereits nach wenigen Tagen ihren Alltagsaktivitäten wie gewohnt nachgehen. Nach einer Bypass-Operation hingegen vergehen bis zur vollständigen Heilung mehrere Wochen, einschließlich der Rehabilitationszeit.
Einen wichtigen Unterschied sollten die Patienten ebenfalls kennen: Ein Stent kann das Herzinfarktrisiko nicht senken und die Lebenserwartung nicht erhöhen, ein Bypass hingegen schon. Im Vergleich zur alleinigen Pharmakotherapie beziehungsweise zum Stent senkt der Bypass das Herzinfarktrisiko um 4 Prozent und die Mortalität um 3 Prozent. In Bezug auf die dauerhafte Beschwerdelinderung sind beide Verfahren ebenbürtig. Ein zweiter Eingriff wird nach einem Stent häufiger notwendig. Innerhalb von vier Jahren entschließt sich jeder Fünfte zu einem erneuten Eingriff, weil sich der Stent zugesetzt hat oder ein neues verengtes Gefäß entstanden ist. Im Vergleich dazu unterzieht sich nur jeder 16. Bypass-Patient innerhalb von vier Jahren einer weiteren Operation.
In der Nachbetreuung unterscheiden sich die beiden Behandlungsoptionen nicht. Zwingend erforderlich sind bei beiden Verfahren regelmäßige ärztliche Kontrollen, die Medikamenteneinnahme und Lebensstiländerungen. /
Unbeschichtete Metallstents
Diese Sorte gibt es aus verschiedenen Materialien und in unterschiedlichen Größen. Ihr Nachteil: Bei bis zu einem Viertel der Behandelten wächst Narbengewebe in den Stent ein. Dadurch kann es zu einer erneuten Verengung kommen, die wieder behandelt werden muss.
Beschichtete Stents
Diese Sorte ist mit einem wachstumshemmenden Medikament beschichtet, das die Bildung von übermäßigem Narbengewebe verhindern soll.
Bioabsorbierbare Stents
Diese Sorte löst sich nach einiger Zeit von selbst auf. Die Hoffnung ist, dass die geschädigten Blutbahnen anschließend zur alten Leistungsfähigkeit zurückfinden. Ein erster Dreijahres-Vergleich habe jedoch gezeigt, dass sich die motorische Funktion der Gefäße im Vergleich mit traditionellen Implantaten nicht verbessert hat, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie in einer Pressemitteilung. Zusätzlich würden mehr Komplikationen auftreten.
Seit dem 1. Oktober 2015 erhalten alle Patienten nach dem Einsetzen eines Stents einen Stent-Pass. Darin werden Informationen zur Implantation, zum Stent, den verordneten Medikamenten und dem Therapieverlauf festgehalten. Patienten, die noch keinen Pass haben, können diesen kostenfrei auf der Website der Deutschen Herzstiftung bestellen: www.herzstiftung.de.