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Niedriger Blutdruck

Was den Kreislauf in Schwung bringt

27.02.2017  10:59 Uhr

Von Ulrike Viegener / Im angelsächsischen Sprachraum wird niedriger Blutdruck mitunter leicht spöttisch »German Disease« genannt. Deutsche Krankheit deshalb, weil die Hypotonie nur in Deutschland als eigenständige Krankheit gilt.

Dass die Hypertonie gefährliche Folgekomplikationen im Gepäck hat, allen voran den Herzinfarkt, ist den meisten Menschen bekannt. Im Unterschied dazu gilt die Hypotonie als nicht weiter problematisch – falls der Blutdruck nicht dramatisch abfällt. So sahen es Experten zumindest lange Zeit.

Neue Studienergebnisse weisen allerdings darauf hin, dass der zu niedrige Blutdruck – besonders bei älteren Menschen – mit relevanten Risiken für die Gesundheit verbunden ist und sogar die Mortalität erhöht. Einerseits besteht bei Hypotonie-Patienten eine erhöhte Verletzungsgefahr durch Gang­unsicherheiten und Ohnmachtsanfälle, andererseits scheinen zudem koronare und zerebrovaskuläre Risiken hinzu zu kommen.

Die Beschwerden eines zu niedrigen Blutdrucks sind unangenehm: Vielen Betroffenen machen vor allem Müdigkeit, Benommenheit, Konzentrationsstörungen, pulsierende Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen und Sehstörungen zu schaffen – alles Symptome, die auf einer Minderdurchblutung des Gehirns beruhen. Chronisch kalte Hände und Füße zählen ebenfalls zum Szenario. Besonders gefürchtet sind aus heiterem Himmel auftretende Beschwer­den wie Sternchensehen, Schwindelattacken und Ohnmachts­anfälle.

Sucht ein Patient wegen der typischen Beschwerden die Apotheke auf, muss zunächst geklärt werden, ob seine Eigendiagnose stimmt. So sollte er beispielsweise seinen Blutdruck an verschiedenen Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten messen oder messen lassen. Definitionsgemäß besteht Hypotonie dann, wenn der Blutdruck bei Männern dauerhaft unter 110 zu 60 mmHg und bei Frauen unter 100 zu 60 mmHg liegt.

Vielfältige Ursachen

Als nächstes sollten PTA oder Apotheker erfragen, ob sich ein Grund für den niedrigen Blutdruck finden lässt. Hypotonie kann zum Beispiel durch zu geringe Trinkmengen, in selteneren Fällen aber auch durch chronische Diarrhö oder chronisches Erbrechen verursacht sein. Als kardiale Ursachen kommen Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und eine Stenose der Aortenklappen infrage, als vaskuläre Ursache vor allem Veneninsuffizienz beziehungsweise die Varikosis. Weitere mögliche Auslöser sind Neuropathien infolge Diabetes oder übermäßigem Alkoholkonsum sowie hormonelle Störungen wie die Schilddrüsen­unterfunktion (Hypothyreose). Bei diesen sekundären Hypotonien muss selbstverständlich die Grund­erkrankung gezielt behandelt werden.

Auch die Medikamentenanamnese gehört bei zu niedrigem Blutdruck zum Beratungsgespräch. Hierbei kommen als Auslöser nicht nur Antihypertensiva und ein nicht optimal eingestellter Blutdruck infrage. Eine Vielzahl von Medikamenten birgt das Risiko, den Blutdruck unter die Normwerte abzusenken. Dazu zählen Nitrovasodilata­toren, Diuretika, Phosphodiesterase­hemmer, trizyklische Antidepressiva, Neuroleptika, Levodopa sowie Dopamin-Rezeptoragonisten und Tranquillanzien. Ergeben sich im individuellen Fall Verdachtsmomente, sollte der Patient seinen behandelnden Arzt über diese unerwünschte Arzneimittelwirkung informieren.

In den meisten Fällen bleibt die Suche nach einer eindeutigen Ursache für den niedrigen Blutdruck allerdings ergebnislos. Dann sprechen Ärzte von der primären oder essentiellen Hypotonie. Diese betrifft auffällig häufig junge, schlanke Frauen. Eine Sonderform ist die orthostatische Hypotonie: In diesem Fall sackt der Blutdruck beim Aufstehen aus liegender – manchmal auch aus hockender oder sitzender Position – in den Keller, weil die gegenregulatorische Reaktion versagt. Die orthostatische Hypotonie ist definiert als anhaltender systolischer Blutdruckabfall um ≥ 20 mmHg und/oder diastolischer Blutdruckabfall um ≥10 mmHg innerhalb der ersten drei Minuten nach dem Aufstehen.

Bewegung bringt’s

Die primäre Hypotonie wird symptomatisch behandelt. Hierbei stehen nicht-medikamentöse Maßnahmen im Vordergrund. Daher sollten PTA oder Apotheker diese auch im Beratungsgespräch thematisieren. Viele Betroffene versuchen allerdings, die Hypotonie selbst zu behandeln und greifen auf Hausmittel zurück. Zahlreiche helfen tatsächlich. Es gibt aber auch einige Mythen, die es auszuräumen gilt.

Unbedingt zu empfehlen ist regelmä­ßige Bewegung, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Durch Ausdauersportarten wie Radfahren oder Walken lassen sich Herzzeitvolumen und peripherer Gefäßwiderstand anheben, sodass der Blutdruck dauerhaft ansteigt. Voraussetzung dafür ist jedoch das konsequente Training. Die Faustregel lautet: mehrmals pro Woche mindestens 30 Minuten trainieren. Gymnastische Übungen, die den Kreislauf anregen, sind ebenfalls empfehlenswert.

Echte Lakritze

Auch über ihre Ernährung können Menschen mit zu niedrigem Blutdruck einiges erreichen. So soll salzreiche Kost den Blutdruck durch Bindung von Flüssigkeit verbessern. Gut geeignet dafür sind salzige Suppen und Salzstangen. Ein spezieller Salzschub beim Frühstück kann zu einem möglichst beschwerdefreien Tag beitragen.

Manche Hypotoniker schwören auf Lakritz. Tatsächlich wirken die darin enthaltenen Saponine ausgeprägt blutdrucksteigernd, sodass Menschen mit Bluthochdruck zum vorsichtigen Umgang mit diesem Naschwerk geraten wird. Aber echte Lakritze muss es sein! Am besten sollten Hypotoniker immer dasselbe Lakritzprodukt lutschen oder kauen und dessen Wirkung auf den Blutdruck durch Messungen überprüfen.

Wechselduschen statt Sekt

Regelmäßig ein Gläschen Sekt – eine häufige Form der Selbstbehandlung – ist dagegen kein probates Mittel gegen chronische Hypotonie, da der blutdrucksteigernde Effekt nur sehr kurz anhält. Dasselbe gilt für Kaffee. Richtig ist dagegen, dass Menschen mit niedrigem Blutdruck reichlich trinken sollten. Immer einmal wieder ein Glas Wasser zwischendurch ist eine geeignete Methode, den Blutdruck schnell und nachhaltig über den Anstieg des Blutvolumens zu stabilisieren. Empfehlenswert sind auch Wechselduschen, bei denen die Beine bis zum Gesäß – immer in Richtung Herz – abwechselnd heiß und kalt abgebraust werden.

Radfahren im Bett

Vielen Menschen mit orthostatischer Hypotonie hilft es, wenn sie den Kopf beim Schlafen höher betten. Außerdem sollten sie sich morgens zunächst ein bis zwei Minuten auf den Bettrand setzen, bevor sie aufstehen. Radfahren – liegend im Bett – ist ebenfalls eine gute Methode, um zu verhindern, dass der Blutdruck beim Aufstehen zu stark absackt.

Darüber hinaus sollten Hypotoniker weitere hilfreiche Tipps beachten: Dazu zählt beispielsweise, voluminöse Mahlzeiten vermeiden, weil diese große Blutmengen in den Verdauungstrakt abziehen. Auch heiße Vollbäder bergen das Risiko, das der Blutdruck anschließend in den Keller sackt. Dasselbe gilt für das Heben schwerer Lasten sowie starkes Pressen beim Stuhlgang.

Rosmarin und Weißdorn

Bessert sich der niedrige Blutdruck durch die nicht-medikamentösen Maßnahmen nicht, bietet sich ein Behandlungsversuch mit Phytopharmaka an, die den Kreislauf tonisieren. Bewährt haben sich Zubereitungen aus Rosmarin oder Weißdorn (Crataegus), alternativ kommt Kampfer in Frage. Rosmarin wird als Urtinktur angewendet, aber auch Tees und Badezusätze sind einen Versuch wert (siehe auch Arzneipflanzen-Porträt: Rosmarin).

Homöopathisch orientierte Therapeuten setzen bei Patienten mit niedrigem Blutdruck häufig Pulsatilla, Nux vomica, Veratrum album, Acidum phosphoricum und Coffea ein. Führt die sympathikotone Gegenregulation zu leichten Panikzuständen, sollen die Rescue-Tropfen der Bachblütentherapie hilfreich sein.

Synthetische Antihypotonika

Als synthetische Arzneimittel werden zur Behandlung der primären Hypotonie vor allem Sympathomimetika eingesetzt. Wegen ihrer Nebenwirkungen gilt es bei diesen Arzneimitteln, Nutzen und Risiko sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Herzrasen, Herzrhythmusstörungen, Unruhe und Zittrigkeit sind Nebenwirkungen, mit denen unter Sympathomimetika gerechnet werden muss. Eine Indikation für diese Arzneistoffe sehen Ärzte vor allem dann, wenn die Hypotonie sehr ausgeprägt beziehungsweise mit gesundheit­lichen Risiken verbunden ist, zum Beispiel häufigen Ohnmachtsanfällen.

Ein Wirkstoff mit gut dokumentiertem Profil ist Etilefrin (Effortil®), das zu den sogenannten direkten Sympatho­mimetika zählt. Diese fungieren – ebenso wie die physiolo­gischen Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin – als Agonisten der adrenergen Rezeptoren. Die orale Bioverfügbarkeit von Etilefrin liegt bei 50 Prozent und die Plasmahalbwertszeit bei rund drei Stunden, die durch Retardformulierungen auf sechs Stunden verlängert werden kann (siehe auch OTC-Beratungscheck: Etilefrin). Der Blutdruckanstieg kommt einerseits durch Engstellung der Gefäße infolge Stimulation der α-Adrenozeptoren zustande. Gleichzeitig wirkt Etilefrin über die β-adrenergen Rezeptoren am Herzen positiv inotrop und chronotrop, was einen Anstieg des Herzzeitvolumens zur Folge hat. /