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Arzneimitteltherapie

Neue Arzneistoffe im Juni 2009

23.06.2009  22:00 Uhr

Arzneimitteltherapie

Neue Arzneistoffe im Juni 2009

von Sven Siebenand

Im Juni kamen unter anderem zwei neue Wirkstoffe auf den deutschen Markt, die beide ausschließlich Männern vorbehalten sind: Degarelix ist eine neue Option gegen Prostatakrebs und Dapoxetinein weiteres sogenanntes Lifestyle-Medikament. Es soll das sexuelle Durchhaltevermögen steigern.

Im Unterschied zur erektilen Dysfunktion (ED) spielt das Alter beim vorzeitigen Samenerguss (Ejaculatio praecox) keine Rolle. Vermutlich sind sogar mehr Männer von einem vorzeitigen Samenerguss betroffen als von einer erektilen Dysfunktion. Ejaculatio praecox äußert sich häufig in drei Symptomen: Die Zeitspanne bis zur Ejakulation ist recht kurz, die Ejakulation lässt sich nicht kontrollieren, und die Probleme führen zu persönlichem Stress oder belasten die Partnerschaft.

Die Forschung zeigt, dass der Botenstoff Serotonin offenbar für den Ejakulationszeitpunkt eine zentrale Rolle spielt. So ist auch nachvollziehbar, warum der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Dapoxetin (Priligy® 30 und 60 mg Filmtabletten, Janssen-Cilag) die Zulassung für die Behandlung des Ejaculatio praecox erhalten hat. Eigentlich hätte man die Substanz eher in die Gruppe der Antidepressiva einsortiert. Der Wirkmechanismus beruht darauf, dass der Botenstoff Serotonin am Neuron nur gehemmt wieder aufgenommen wird und daher länger und verstärkt an den Rezeptoren wirkt.

Die Zulassung gilt für die bedarfsorientierte Behandlung bei Männern zwischen 18 und 64 Jahren, Dapoxetin ist kein Arzneimittel für die tägliche Dauertherapie. Die betroffenen Männer sollen dieTabletten ein bis drei Stunden vor demGeschlechtsverkehr einnehmen. Die empfohlene Start-Dosis beträgt 30 mg. Falls diese Arzneistoffmenge nicht ausreichend wirkt, kann der Arzt sie auf 60 mg erhöhen. Die maximale Dosisfrequenz liegt bei 24 Stunden. PTA und Apotheker sollten den Hinweis geben, die Tablette mit einem Glas Wasser einzunehmen, weil sie recht bitter schmeckt. Das kann zu dem Essen oder auch unabhängig davon erfolgen.

Ob eine Behandlung mit Dapoxetin infrage kommt, muss der Arzt von Fall zu Fall entscheiden. Obwohl das verschreibungspflichtige Mittel genauso wie Präparate gegen ED zu den Lifestyle-Medikamenten zählt, heißt das keineswegs, dass es ungefährlich ist. Gegenanzeigen sind zum Beispiel kardiale Vorerkrankungen wie Herzinsuffizienz und bekannte Herzklappenerkrankung sowie Leberfunktionsstörungen. Auch Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen sollen Dapoxetin nicht erhalten. Zudem ist dasWechselwirkungspotenzial von Dapoxetin nicht zu unterschätzen. So ist die gleichzeitige Anwendung von starken CYP3A4-Hemmern wie Ketoconazol, Itraconazol, Ritonavir und Telithromycin kontraindiziert. Bei Patienten, die gleichzeitig moderate CYP3A4-Hemmer wieErythromycin, Clarithromycin und Verapamil einnehmen, ist die Dapoxetin-Dosis auf 30 mg beschränkt.

Auch die gleichzeitige Behandlung mit MAO-Hemmern oder die Anwendung von Dapoxetin innerhalb von 14 Tagen nach Absetzen des MAO-Hemmers zählt zu den Kontraindikationen. Umgekehrt soll ein MAO-Hemmer nicht innerhalb von sieben Tagen nach Absetzen von Dapoxetin verabreicht werden. Gleiches Vorgehen gilt unter anderem für die parallele Behandlung mit anderen SSRI, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI), trizyklischen Antidepressiva oder anderen Präparaten mit serotoninerger Wirkung, etwa Triptane und Johanniskraut. Der Arzt kann zwar Dapoxetin zusammen mit einem PDE-Hemmer wie Sildenafil (Viagra®) verordnen, doch nur mit Vorsicht. Last but not least sollten die Patienten darüber informiert werden, dass sie den neuen Wirkstoff nicht zusammen mit Drogen nehmen dürfen, die ebenfalls eine serotoninerger Aktivität besitzen wie Ketamin oder LSD. Die Kombination kann zu schwerwiegenden Reaktionen führen.

In Studien mit Dapoxetin wurden als häufigste Nebenwirkungen Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Durchfall, Insomnie und Müdigkeit beobachtet.

Neues Mittel bei Prostatakrebs

Seit Anfang Juni ist mit Degarelix (Firmagon® 80 und 120 mg Pulver und ein Lösungsmittel zur Herstellung einer Injektionslösung, Ferring Arzneimittel) ein neuer Wirkstoff zur Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms verfügbar. Degarelix kann bei hormonabhängigen Tumoren eingesetzt werden, das heißt, wenn der Krebs auf eine Behandlung anspricht, bei der der Hormonspiegel des Testosterons gesenkt wird.

Der verschreibungspflichtige Wirkstoff wird subkutan gespritzt. Die Behandlung beginnt mit zwei 120-mg-Injektionen, anschließend wird jeden Monat einmal eine 80-mg-Injektion verabreicht. Wichtig: Degarelix darf nicht intravenös oder intramuskulär appliziert werden. Die Wirksamkeit der Behandlung kann der Arzt überwachen, indem er die Blutspiegel von Testosteron und prostataspezischem Antigen (PSA) misst. Der Marker PSA ist ein Eiweiß, der sich bei Männern mit Prostatakrebs oft in hoher Konzentration im Blut findet. Bei Patienten mit schweren Nieren- oder Leberkrankheiten darf Degarelix nur vorsichtig zum Einsatz kommen.

Prostatakrebszellen können durch Testosteron zum Wachstum angeregt werden. Degarelix ist ein sogenannter GnRH-Antagonist, das heißt, er hemmt die Wirkung des körpereigenen Hormons GnRH (Gonadotropin-releasing hormone). Normalerweise regt GnRH die Hypophyse dazu an, zwei weitere Hormone zu produzieren: das  luteinisierende Hormon (LH) und das Follikel-stimulierende Hormon (FSH). LH und FSH wiederum stimulieren die Produktion von Testosteron im Hoden. Degarelix blockiert diese Abläufe, sodass die Testosteronkonzentration im Körper sinkt und das Wachstum der Krebszellen verlangsamt wird.

Das neue Präparat hat besondere biochemische Eigenschaften: Die dünnflüssige Lösung verwandelt sich nach subkutaner Injektion spontan in ein Gel. Aus diesem Depot wird der Wirkstoff dann langsam über mehrere Wochen freigesetzt. Ein Drei-Monats-Depot befindet sich zurzeit in der Entwicklung.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen von Degarelix zählen Hitzewallungen sowie Schmerzen und Rötung an der Injektionsstelle.

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siebenand(at)govi.de