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Jugendliche und Alkohol

Werbung erreicht ihre Zielgruppe

24.06.2009  08:56 Uhr

Jugendliche und Alkohol

Werbung erreicht ihre Zielgruppe

von Annette Behr, Berlin

Wenn Jugendliche sich ins Koma oder zu Tode saufen, reagieren Erwachsene entsetzt und schockiert. Eine DAK-Studie konnte aktuell belegen, wie sehr die Alkoholwerbung Jugendliche zumTrinken verführt.

»Come on over, have some fun. Dancing in the morning sun.« Im Werbespot tanzen zu diesem Song junge, schöne Menschen in der karibischen Sonne, haben Spaß am und auf dem Wasser. »Summer dreamin« ist das Lied der Bacardi-Werbung. Die Werbung setzt auf emotionsgeladene Inhalte, also auch bei Alkohol. Besonders um Kinder und Jugendliche zu erreichen, werden systematisch kurze Spots vor Sendungen wie DSDS (Deutschland sucht den Superstar) oder zwischen Musikvideos platziert. Mit jugendaffinen Elementen wird die Zielgruppe direkt »ins Herz getroffen«.

Auch die beiden coolen röhrenden Comic-Hirsche Rudi und Ralph aus der Jägermeister-Werbung zählen dazu. »Das ehemalige Altherrengetränk avancierte dadurch zum Kultgetränk unter Jugendlichen«,bestätigte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Sabine Bätzing den Erfolg dieser Werbung während der Pressekonferenz in Berlin zur Vorstellung der neuen DAK-Studie. Bätzing kämpft an breiter Front gegen den zunehmenden Alkoholkonsum von Jugendlichen und Kindern. Nachdem die Bundesregierung im Mai 2009 ihren Drogen- und Suchtbericht veröffentlichte, ist bekannt, wie weit verbreitet das exzessive Rauschtrinken unter Jugendlichen ist. Unter dem Begriff Binge-Drinking verstehen Fachleute, dass junge Menschen fünf oder mehr Gläser alkoholischer Getränke kurz hintereinander herunterkippen. Fast jeder zehnte Jugendliche (8,2 Prozent) im Alter von 12 bis 17 Jahren konsumiert Alkohol derart riskant. Auch Zahlen aus dem Jahr 2008 verdeutlichen drastisch die Dimension des Problems: 23 165 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren wurden aufgrund einer Alkoholvergiftung 2007 stationär im Krankenhaus behandelt. Das ist die höchste Zahl seit der Ersterhebung im Jahr 2000 und entspricht einem Zuwachs von 143 Prozent.

»Wir müssen Kinder und Jugendliche vor alkoholbedingten Gesundheitsschäden und den Gefahren der Sucht schützen«, bezog Sabine Bätzing Stellung. Doch gleichzeitig empfindet sie ihren Aufruf als Kampf gegen Windmühlen: die Wirtschaftsinteressen der Alkohollobby und Werbebranche. Beide arbeiten erfolgreich daran, Kinder und Jugendliche zu Kauf und Konsum alkoholischer Getränke zu verführen. Die Zielgruppe soll möglichst früh an eine Marke und damit an ein bestimmtes Produkt gewöhnt werden. Je mehr Alkoholwerbung Jugendliche im Fernsehen und auf Plakaten sehen, desto mehr Alkohol trinken sie. Dies ergab die aktuelle Studie der DAK. »Bisher basierten die Zahlen auf internationalen Daten, die lediglich auf Deutschland übertragen wurden«, erläuterte Dr. Cornelius Erbe, Leiter des DAK-Geschäftsbereiches Produktmanagement. Dieser bisher einzigartige Bericht verdeutlichte den engen Zusammenhang zwischen Alkoholwerbung und Alkoholkonsum bei jungen Menschen. Das Kieler Institut für Therapie und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) befragte für die Studie 3 400 Mädchen und Jungen zwischen 10 und 17 Jahren. Den Studienteilnehmern wurden Bilder von Plakatwerbung sowie Standbilder aus TV-Werbespots gezeigt. Sie wurden gefragt, wie oft sie die Werbung schon gesehen hätten und ob ihnen die Marke bekannt sei. Außerdem wollten die Psychologen wissen, ob und wie regelmäßig die Mädchen und Jungen Alkohol trinken.

Werbekontakt provoziert Konsum

Rund 54 Prozent der Befragten erkannten zwei Drittel der Werbespots, ergab die Studie. Und: Jungen nehmen Alkoholwerbung eher wahr als Mädchen und konsumieren auch mehr und häufiger Alkohol. Es zeigte sich ein eindeutiger Dosis-Wirkungs-Zusammenhang (»je mehr, desto mehr«) zwischen Werbekontakt und Alkoholkonsum.

Der Suchtbeauftragte des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. Dr. Wolf-Rüdiger Horn ärgert sich vor allem über die Kopplung der Alkoholwerbung mit Sportveranstaltungen: »Fußball und Bier gehören für viele Konsumenten zwingend zusammen. Rund 94 Prozent der 10- bis 12-Jährigen kennen beispielsweise die Krombacher-Werbung.« Der Kinder- und Jugendarzt beschrieb die Gefahren übermäßigen Alkoholkonsums für junge Menschen unter anderem so: »Kinder und Jugendliche reagieren nach Alkoholgenuss impulsiv.« Horn wies in diesem Zusammenhang auch auf die Risiken durch ungeschützten Sex hin. Niemand wolle sich dabei als Moralapostel aufspielen, meinte Horn, aber die Gefahren einer Infektion mit HIV oder einer ungewollten Schwangerschaft seien den jungen Leuten im Rausch nicht mehr bewusst.Tragisch sei auch, dass ein Vollrauschbestimmte Hirnareale bei Kindern und Jugendlichen stärker schädige als bei Erwachsenen.

Gegen Sucht und Selbstzerstörung

Huckleberry Finn wurde nicht süchtig, weil er sich das Recht herausnahm, seine Sehnsüchte und Träume auszuleben, meint der Psychotherapeut Dr. Eckhard Schiffer. In seinem Buch zeigt er, dass die Lebensrealität vieler Kinder und Jugendliche heute ganz anders aussieht und ihnen diese Möglichkeit verwehrt. Anhand von Krankengeschichten verdeutlicht Schiffer, welches Geflecht an Ursachen Sucht auslöst und wie man ihr wirksam vorbeugen kann, konkret und praktisch.

Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde, Anstiftung gegen Sucht und Selbstzerstörung bei Kindern und Jugendlichen von Eckhard Schiffer, 1999, Beltz-Verlag, ISBN-13: 978-3-407-22004-2, 12,90 Euro.

Zu bestellen beim Govi-Verlag unter Tel. 06196 928257, per E-Mail service(at)govi.de oder unter www.govi.de 

Kontrolle und Konsequenz

Die Bundesregierung wolle den Alkohol nicht verbieten, Alkohol sei jedoch kein Lebensmittel und daher anders zu beurteilen als Butter, so Sabine Bätzing diplomatisch. Sie forderte von den Herstellern alkoholhaltiger Getränke, in ihrer Werbung auf jugendaffine Elemente und Motive zu verzichten. Dabei weist sie auf §6, Absatz V des Jugendmedienschutzvertrages hin: »Werbung für alkoholische Getränke darf sich weder an Kinder oder Jugendliche richten noch durch die Art der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders ansprechen oder diese beim Alkoholgenuss darstellen.« Genau diese Beschränkung missachteten aber die Werbekampagnen der Alkoholindustrie, zudem würde ein Teil der Werbung in TV-Jugendprogrammen von VIVA oder MTV geschaltet. Die Drogenbeauftragte verlangte von allen Wirtschaftsvertretern eine effiziente Selbstkontrolle. Bätzing forderte, dass der deutsche Werberat, der sich nur aus Industriemitgliedern zusammengesetzt, jede Alkoholwerbung vor der Ausstrahlung im Fernsehen auf Regelbefolgung prüft. In Staaten wie Großbritannien und Irland sei dieses Vorgehen bereits üblich. »Ein Mangel an Jugendschutzgesetzen besteht nicht, aber es besteht ein Mangel an deren Umsetzung«, beklagte Sabine Bätzing

9,5 Millionen Menschen in Deutschland trinken regelmäßig zuviel Alkohol. Etwa 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängig. Jedes Jahr sterben hierzulande mindestens 73 000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholmissbrauchs. Die »Alltagsdroge« Alkohol ist das bei Heranwachsenden am weitesten verbreitete Suchtmittel. Mit dem 16. Lebensjahr steigt der Konsum sprunghaft an und erreicht häufig gesundheitlich bedenkliche Ausmaße. Nun ist bekannt, welche Rolle die Werbung für das exzessive Rauschtrinken der Jugendlichen spielt. In der Prävention sieht die Bundesregierung die wichtigste Maßnahme, um dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Die Aktionswoche Alkohol und die zahlreichen Aktionen, die unter der Dachkampagne »Alkohol? Kenn dein Limit« zusammengefasst sind, sollen den Alkoholkonsum in Deutschland reduzieren. Ziel ist es unter anderem, Erwachsene zu sensibilisieren, Jugendliche zu einem verantwortungsvollen Alkoholkonsum anzuleiten. Das Internet (siehe Kasten)  bietet Eltern und ihren Kindern die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Mit Selbsttests können sie ihr eigenes Trinkverhalten einschätzen und reflektieren.

Internet-Empfehlungen

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