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Historisches

Warzen bestreichen oder besprechen

19.04.2013  17:11 Uhr

Von Ernst-Albert Meyer / Gewöhnliche Warzen (Verrucae vulgares) treten meist an Händen, Füßen oder am Kopf auf. Sie sind zwar harmlos, aber unschön. Daher suchen die Betroffenen nach Wegen, sie wieder los zu werden. Die Volksmedizin kennt eine große Anzahl mystischer, kurioser, manchmal auch abstoßender Warzenmittel. Auch die moderne Medizin muss anerkennen, dass diese manchmal sogar helfen.

Obwohl jeder Dermatologe heute quasi als »Nebentätigkeit« Warzen entfernt, ranken sich immer noch zahlreiche Fantasien um Verrucae vulgares. Und das hat einen Grund: Seit Jahrhunderten glauben die Menschen, dass aus einer Warze Krebs entstehen kann. Deshalb mieden sie früher bestimmte Situationen, die – nach ihrer festen Überzeugung – eine Warzenbildung auslösen. So durfte man nicht auf die Stelle treten, wo sich ein Pferd gewälzt hatte. Auf keinen Fall sollte man sich die Hände in Wasser waschen, in dem Eier gekocht wurden oder aus dem Hühner getrunken hatten. Das führte hundertprozentig zu Warzen. Auch war die Ansicht weit verbreitet, das Blut aus einer Warze erzeuge auf der gesunden Haut neue Warzen. Doch der Aberglauben ging noch weiter: Warzen im Gesicht bedeuteten, dass der Ehepartner bald stirbt und man Witwe oder Witwer wird.

In Europa ist seit langem der Glaube weit verbreitet, durch »Knotenbinden« oder »Knüpfen« ließen sich Warzen beseitigen. Als Beispiel ein Jahrhunderte altes Rezept: »Wenn du Warzen hast, so mache so viele Knoten auf einem Bindfaden, als es Warzen sind. Diesen Bindfaden sollst du unter der Dachtraufe vergraben. Ist der Faden vermodert, so bist du auch die Warzen los.« Das »Knotenbinden« oder »Knüpfen« gehört zu den sogenannten sympathetischen Heilweisen. Um sich von einer Krankheit zu befreien – in diesem Fall von den Warzen – werden diese symbolisch übertragen – hier auf einen Faden. Sind die Knoten verfault, bedeutete das auch das Ende der Warzen. Aber Vorsicht: Wer die Warzen-Knoten eines anderen zählt, bekommt selbst Warzen. In der Gegend um Tilsit in Ostpreußen schneiden die Menschen in ein Leinenläppchen so viele Löcher, wie Warzen vorhanden sind. Dann legen sie den Lappen unter einen Schweinetrog. Ist er verfault, sind auch die Warzen verschwunden, so der Aberglaube.

Typisch für das »Übertragen« der Warzen ist auch folgendes Rezept aus der Steiermark: Der von Warzen Geplagte schneidet sich von einem Haselnuss-Strauch einen kräftigen Stock ab, den sogenannten »Warzenstecken«. In dessen Rinde macht er so viele Kerben, wie er Warzen hat. Dann wirft er den Stock – ohne sich umzusehen – hinter sich auf die Straße. Wer den Warzen­stecken aufhebt, bekommt die Warzen.

Bedrücken mit Erbsen

Ein verbreiteter Brauch ist auch das »Bedrücken« der Warzen, wofür häufig Erbsen verwendet werden. Vor rund 2000 Jahren empfahl der bekannte griechische Arzt Dioskurides in seiner Arzneimittellehre (Materia medica), bei zunehmenden Mond jede Warze mit einer Erbse zu drücken, also zu berühren. Dann muss der Betroffene die Erbsen in ein feines Leinentuch binden und hinter sich werfen. Ist dies getan, werden auch die Warzen verschwinden, so die Auffassung. In anderen Rezepten wird empfohlen, für jede Warze drei Erbsen zu nehmen, die aber gestohlen sein müssen. Hat der Betroffene die Erbsen auf die Warzen gedrückt, muss er sie danach ins Feuer oder in einen Brunnen werfen. Sowie die Erbsen im Feuer verbrennen oder im Brunnen verrotten, sollten auch die Warzen vergehen.

Volksmedizin – vorwiegend Schwindel?

Bis vor einigen Jahren wurden viele Mittel der Volksmedizin als Scharlatanerie abgetan. Das hat sich teilweise mit der Anerkennung des Placebo-Effekts geändert. Heute wissen auch Schulmediziner, dass allein der Glaube an die Heilkraft eines wirkstofffreien Medikaments zu physiolo­gischen Reaktionen im Körper führt. Als Folge sind therapeutische Effekte messbar. Damit gilt als sehr wahrscheinlich, dass zahlreiche Mittel der Volksmedizin durch ihren Placebo-Effekt heilten.

Ein anderes Rezept: Der von Warzen Geplagte entwendet aus einer Pfanne, in der Speck gebraten wird, unbemerkt drei Speckstückchen, drückt sie auf die Warzen und legt sie dann in die Pfanne zurück. Alsbald werden seine Warzen verschwinden. Stattdessen kann er auch ein Stück Fleisch auf die Warzen drücken und muss es dann unter der Dachtraufe vergraben. Verfault das Fleisch, so verschwinden auch die Warzen. In anderen Gegenden musste es blutrünstiger zugehen: Auf die Warzen sollte ein frisch abgeschnittener, noch blutender Kopf eines Hechtes gedrückt und dieser anschließend unter der Dachtraufe vergraben werden.

Totenglocke und Mond

Der mit Warzen Behaftete konnte sich von diesen befreien, indem er, solange die Totenglocke bei einer Beerdigung läutete, stillschweigend an ein fließendes Gewässer ging, stromab eine Handvoll Wasser schöpfte, vorwärts gehend damit seine Warzen wusch und sprach:

»Sie läuten den Toten in das Grab,

Ich wasche meine Warzen ab.«

Die Bewohner anderer Gegenden sollten die Warzen mit Weihwasser wegwaschen. Auch das Wasser, das dem Vieh beim Trinken aus dem Maul läuft, helfe gut gegen Warzen, hieß es. Desgleichen wurde auch das Wasser empfohlen, in dem der Schmied die heißen Eisen löscht.

In vielen Teilen Europas rufen die Menschen den Mond an, um sich von Warzen zu befreien. So auch in der Lüneburger Heide. Mit Blick auf den zunehmenden Mond streicht man dort dreimal kreuzweise über die Warzen und sagt dazu folgenden Spruch:

»Wat ik anseh, dat gewinn,

Wat ik wasch, dat verswinn.«

Auch der sonntägliche Kirchgang galt als gute Möglichkeit, sich von seinen Warzen zu trennen. Wer mit Warzen behaftet war, sollte aufpassen, ob nicht zwei im Gottesdienst miteinander schwatzten oder sich sonst ungebührlich benahmen. Bemerkte er dies, sollte er mit seiner linken Hand die Warzen anfassen und dreimal sagen:

»Was ich da seh, ist eine Sünd’;

was ich da anfass, das verschwind!«

In Österreich und Deutschland behandeln die Menschen ihre Warzen auch mit verschie­denen Arzneipflanzen, vor allem mit Schöllkraut (Chelidonium majus), auch Warzenkraut genannt. Sein ätzender gelber Milchsaft muss bei abnehmendem Mond auf die Warzen geträufelt und dieser Vorgang so oft wiederholt werden, bis die Warzen verschwinden. Als Warzenkräuter sind ferner bekannt: Wolfsmilch (besonders Zypressen-Wolfsmilch, Euphorbia cyparissias), Gemeiner Seidelbast (Daphne mezereum) und die verschiedenen Arten der Fetthenne (Sedum-Arten). Desweiteren soll das Auftragen von Scheidewasser aus der Apotheke (verdünnte Salpetersäure), von Tabaksaft aus Pfeifen oder Pech die Warzen schwinden lassen.

Hilfe durch Bestreichen

Vielerorts behandeln die Betroffenen ihre Warzen durch »Bestreichen«, zum Beispiel mit aufgeschnittenen Apfel-Hälften, Menstrualblut oder der Hand eines Toten. Vor allem das Apfel-Rezept verdeutlicht den abergläubischen Zusammen­hang zwischen dem Verfaulen des Apfels und dem Verschwinden der Warzen. Hier die Anleitung: »Hast du Warzen im Gesicht oder an den Händen, nimm einen harten Apfel, am besten einen roten Erdbeerapfel, schneide ihn auseinander, reibe mit den Innenflächen die Warzen derb ab, binde dann den Apfel mit einem Faden zusammen und begrabe ihn unter einer Dachtraufe oder wirf ihn in einen Fluß. Wie dann der Apfel verfault, verlieren sich auch die Warzen.« Zum Bestreichen eigne sich auch ein vom Mist aufgehobener Strohhalm, ein auf der Straße gefundener Hufnagel und frische Wacholderbeeren, eine grüne Walnuss sowie eine fächerig aufgeschnittene Zwiebelhälfte, so der Rat der Volksmedizin. Auch der Saft unreifer Feigen und der Schaum des Pferdeurins wird empfohlen. Und nicht zuletzt lässt so mancher eine Schnecke über seine Warzen kriechen in der Hoffnung, sich so davon zu befreien.

Rezepte aus Osteuropa

In Polen sollten die Menschen die Warzen über Nacht mit einem Rosshaar abbinden. Ihr fester Glaube: Nach der dritten Nacht fällt die Warze von allein ab. In den slawischen Ländern sollen die von Warzen Geplagten die betreffenden Stellen häufig mit Tauben- und Froschblut betupfen oder mit Regentropfen, die von der Seite eines Hoftores fallen, an der sich die Torangeln befinden. In Rußland soll der »Warzige« bei abnehmendem Mond mit der Hand über eine vom Mond beschienene Wand fahren und dann die Warzen mit dieser Hand von oben nach unten bestreichen. Dies muss er mehrere Nächte wiederholen, so das Rezept.

Warzen vererben

Wenn auch nicht gerade menschenfreundlich, so doch in vielen Ländern bekannt, ist der Versuch, seine Warzen anderen Menschen »anzuhängen«, um sie los zu werden. In Frankreich sollten die Betroffenen in eine kleine Tasche so viele Steinchen legen, wie sie Warzen hatten und die Tasche dann auf die Straße werfen. Der beabsichtigte Effekt: Wer die Tasche aufhebt, »erbt« auch die Warzen. In Böhmen sollte der von Warzen Geplagte einen Kreuzer (Geldstück) mit seinem »nüchternen« Speichel beschmieren, dann mit dem Kreuzer kräftig seine Warzen einreiben und ihn anschließend wegwerfen. Wer die Münze aufhob, übernahm auch die Warzen.

Goethe über Wundermittel

»Viele Wunderkuren gibt’s jetzunder,

Bedenkliche, gesteh ich’s frei –

Natur und Kunst tun große Wunder,

Und es gibt Schelme nebenbei!«

Das folgende Rezept, seine Warzen zu verlieren, basiert ebenfalls auf der Neugierde der Menschen: »Hat man an einen Faden so viel Knoten gemacht als man Warzen hat, so legt man ihn in eine hübsche Schachtel oder macht ein Päckchen, das zum Aufheben lockt. Nun lässt man dieses an einem begangenen Weg unbesehen zu Boden fallen; aber niemals an einem befahrenen Weg. Wird nämlich das Päckchen mit dem Faden von einem Rad überfahren, schwären die Warzen aus. Der Neugierige aber, der die Schachtel aufhebt, bekommt sie.« Also Vorsicht vor herumliegenden Päckchen!

Glaube versetzt Berge

Warzen kommen und gehen, dafür gibt es keine Regeln. Das weiß auch die moderne Medizin. Mancher Arzt empfiehlt daher bei hartnäckigen Warzen seinem Patienten, es mit einem Rezept aus der Volksmedizin zu versuchen. »Nachtschneckenschleim, Draufpinkeln bei Vollmond oder andere Tom-Sawyer-Methoden habe noch niemand in ihrer Wirksamkeit widerlegen können«, so die Dermatologin Prof. Dr. Heidelore Hofmann, München. Gemeinsamer Nenner dieser Methoden der Volksmedizin sei die Psychoimmunologie oder die Kraft des positiven Denkens, meinte die Medizinerin auf einer Fortbildung für Hautärzte in München 2010. Und deshalb suchen auch heute noch Menschen wegen ihrer Warzen »weise Frauen« auf dem Lande auf, die oft mit Erfolg Warzen besprechen. /

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