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22.04.2014 16:02 Uhr |
Von Daniela Biermann / Mindestens neunmal piksen und zweimal schlucken, verteilt auf vier bis fünf Termine – für Kinder im ersten Lebensjahr empfiehlt die Ständige Impfkommission ein straffes Impfprogramm. Warum sollen Eltern ihre Babys so häufig impfen lassen und welche Nebenwirkungen können auftreten?
Zunächst: Das Immunsystem eines Babys wird von den empfohlenen Schutzimpfungen nicht überfordert (siehe auch PTA-Forum 5/2014 »Früh impft sich«). Im Gegenteil: Durch den Nestschutz und den vergleichsweise geringen Kontakt zu anderen Kindern werden Säuglinge in der Regel seltener krank als Ein- und Zweijährige. Doch wenn es sie erwischt, gilt leider für einige der Erkrankungen, vor denen eine Impfung sie schützen soll: je jünger das Baby, desto schwerer der Krankheitsverlauf. Daher sollte jedes Kind möglichst früh geimpft werden. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für alle von der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut empfohlenen Impfungen.
Foto: Shutterstock
Rotaviren
Los geht es mit der Schluckimpfung gegen Rotaviren im Alter von sechs Wochen, spätestens zwölf Wochen. Je nach verwendetem Impfstoff folgen eine (Rotarix®) oder zwei Auffrischungen (RotaTeq®) im Abstand von mindestens vier Wochen. Beide Lebend-Impfstoffe lassen sich mit den anderen Standardimpfungen kombinieren.
Rotaviren gehören zu den häufigsten Durchfallerregern bei Säuglingen und Kleinkindern. Im Alter von drei Jahren haben bereits 90 Prozent aller Kinder einen mehr oder weniger schweren Infekt hinter sich. Neben den teils blutigen Durchfällen sind Bauchschmerzen, Erbrechen und Fieber weitere Symptome. Babys trocknen besonders schnell aus, daher kann der Flüssigkeitsverlust bei ihnen lebensbedrohlich sein. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind Todesfälle durch Rotaviren in Deutschland jedoch selten. Der Impfschutz hält nach derzeitigem Wissensstand zwei bis drei Jahre. Die Vakzine schützt besser vor einem erneuten Infekt als die durchgemachte Infektion, bietet aber keinen hundertprozentigen Schutz. Erkranken geimpfte Kinder, verläuft die Infektion in der Regel milder als ohne Impfung.
Zwischenfälle äußerst selten
Insgesamt ist die Schluckimpfung sicher, wie man aus klinischen Studien mit mehr als 130 000 Kindern weiß. In sehr seltenen Fällen, das heißt bei ein bis zwei von 100 000 geimpften Kindern, tritt in der Woche nach Verabreichung der ersten Impfdosis eine sogenannte Invagination auf. Dabei stülpt sich ein Teil des Darms nach innen, sodass dieser Abschnitt nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt wird und es zum Darmverschluss (Ileus) kommen kann. Die Invagination führt zu starken Bauchschmerzen, anhaltendem Erbrechen und blutigen Stühlen. Da das Risiko dieser schweren Nebenwirkung mit dem Alter zunimmt, sollte die Immunisierung mit 16 Wochen (Rotarix®) beziehungsweise 20 bis 22 Wochen (RotaTeq®) abgeschlossen sein.
Säuglinge mit vorbestehender Invagination oder Darmverschluss dürfen nicht gegen Rotaviren geimpft werden. Kontraindiziert ist die Impfung auch bei Babys mit akutem Durchfall, Erbrechen oder einem schweren, fieberhaften Infekt. Eine leichte Erkältung ist jedoch kein Grund, die Impfung zu verschieben. Da Säuglinge in der ersten Woche nach der Impfung die Impfviren mit dem Stuhl ausscheiden, ist gründliche Hygiene beim Windelwechseln besonders wichtig. Stillen scheint bei manchen Babys die Impfantwort abzuschwächen. Das RKI empfiehlt daher Müttern, kurz vor und kurz nach der Schluckimpfung nicht zu stillen.
G = Grundimmunisierung (bis zu vier Teilimpfungen G1 bis G4), U = Überlappung mit Früherkennungsuntersuchung* die 1. Impfung möglichst ab vollendeter 6. Lebenswoche, je nach Impfstoff zwei bis drei Schluckimpfungen (G2/G3) mit einem Mindestabstand von vier Wochen
Grafik: Mathias Wosczyna, Quelle: Epidemiologisches Bulletin 34/2013
Sieben auf einen Streich
Mit zwei Monaten erhält das Baby die erste Sechsfachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Polio, Keuchhusten (Pertussis), Hepatitis B und Hämophilus influenza B (HiB). Ohne die Kombination verschiedener Antigene in einer Vakzine wären noch viel mehr Injektionen nötig. Da die Wirkung auf das Immunsystem etwas schwächer ist als bei Verabreichung von Einzelimpfstoffen, lässt sich ein ausreichender Impfschutz erst mit drei statt zwei Auffrischungen erreichen. Der Kinderarzt impft zweimal im Abstand von einem Monat (Lebensmonat 3 und 4) und noch einmal mit 11 bis 14 Monaten (siehe Impfkalender). Zeitgleich zur Sechsfachimpfung verabreicht er die Pneumokokken-Impfung (Prevenar® oder Synflorix®).
Risiko erhöhte Temperatur
Daten der Zulassungsstudien für den Sechsfachimpfstoff Infanrix hexa® mit rund 16 000 Kindern zeigen, dass nach der abgeschlossenen Grundimmunisierung 98,4 bis 100 Prozent der Probanden Antikörper gegen die verabreichten Antigene gebildet hatten. 30,5 Prozent der Geimpften reagierten auf den Impfstoff mit leichtem Fieber bis 39,5 °C auf und 1,5 Prozent mit Fieber über 39,5 °C. Wurde der Sechsfachimpfstoff mit dem Pneumokokken-Impfstoff Prevenar® kombiniert, bekamen 43,5 Prozent der Kinder Fieber über 38,0 °C; bei 2,6 Prozent stieg es auf über 39,5 °C. Krampfanfälle traten nach der Impfung insgesamt selten, also bei weniger als einem von 1000 Geimpften auf. Neigt ein Säugling zu Fieberkrämpfen, ist dies keine Kontraindikation. Allerdings sollten die Eltern das Baby nach der Impfung genau beobachten.
Zu den sehr häufigen und häufigen Nebenwirkungen zählen neben Fieber auch Appetitverlust, Durchfall und Erbrechen, manche Babys schreien ungewöhnlich viel, sind unruhig, leicht reizbar oder müde, ebenso oft rötet sich die Einstichstelle oder schwillt an. Schwere Nebenwirkungen wie ein anaphylaktischer Schock, Enzephalopathie oder Guillain-Barré-Syndrom gelten dagegen als extrem selten. Ein Zusammenhang zwischen dem plötzlichen Kindstod und der Sechsfachimpfung besteht nach bisherigem Kenntnisstand nicht.
In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten bei einigen Impfstoffen. So waren zum Beispiel bis Anfang April Mono- und Kombiimpfstoffe gegen Windpocken Mangelware. Dadurch verzögerte sich bei vielen Impflingen die vollständige Grundimmunisierung. Hintergrund ist, dass nur wenige Pharmafirmen Impfstoffe herstellen. Fällt bei einem Unternehmen die Produktion aus, entstehen relativ schnell Lieferengpässe. Rabattverträge verschärfen die Lage, denn bei verlorener Ausschreibung drosseln die Firmen selbstverständlich ihre Produktion. Treten beim Gewinner Probleme auf, können die anderen Unternehmen nicht sofort einspringen, weil die Impfstoffherstellung vergleichsweise kompliziert und langwierig ist. Daher fordern Apotheker, Impfstoffe von Rabattverträgen auszunehmen.
Tetanus und Diphtherie
Die Impfung gegen Tetanus akzeptieren sogar viele Impfgegner. Denn gegen den durch Tetanustoxin ausgelösten Wundstarrkrampf gibt es kein Heilmittel. Der Erreger, Clostridium tetani, und seine Sporen kommen nahezu überall vor, zum Beispiel in Straßenstaub oder Gartenerde. Selbst bei kleinen, aber tiefen Verletzungen kann das Bakterium in die Blutbahn eindringen. Das Toxin schädigt die Nervenzellen, die die Muskeln steuern, und führt so zu äußerst schmerzhaften und oft lebensbedrohlichen Krämpfen. Jeder vierte an Tetanus Erkrankte stirbt.
Hepatitis-B-Virus
Foto: Superbild
Auch das Corynebacterium diphtheriae bildet ein potentes Toxin. Immer wieder treten weltweit Epidemien auf, wenn nicht ein Großteil der Bevölkerung geimpft ist. So erkrankten zum Beispiel im Jahr 1994 in Russland 48 000 Menschen. Vor Beginn breit angelegter Impfkampagnen infizierten sich in den 1920er-Jahren in den USA jährlich schätzungsweise 100 000 bis 200 000 Menschen, von denen 13 000 bis 15 000 starben. In Europa wurden 2009 noch 40 Diphtherie-Fälle gemeldet. Die Atemwegserkrankung geht mit schweren Komplikationen wie Herzschäden, Lungenentzündung und Polyneuritis einher.
Polio und Pertussis
Seit 1988 versucht die Weltgesundheitsorganisation, die Kinderlähmung (Poliomyelitis) durch weltweite Impfprogramme auszurotten. Das ist bislang nicht gelungen. In einigen Ländern wie Pakistan, Nigeria oder Syrien brechen immer wieder Epidemien aus. Das Poliovirus wird fäkal-oral übertragen und ist hoch ansteckend. Bei 3 Prozent der Infizierten dringt es ins zentrale Nervensystem vor, wo es die bekannten Lähmungserscheinungen auslöst.
An Keuchhusten erkrankten bis zur Impfempfehlung der STIKO im Jahr 1991 jedes Jahr etwa 160 Menschen pro 100 000 Einwohner. Vor allem für Säuglinge ist der Erreger, das Bakterium Bordetella pertussis, gefährlich, da die Erkrankung bei den Kleinen zu Lungenentzündungen und Atemstillständen führen kann.
Fast alle Patienten, die wegen Keuchhusten im Krankenhaus behandelt werden müssen oder an den Folgen der Infektion starben, sind ungeimpfte, noch nicht einmal sechs Monate alte Säuglinge. In dieser Lebensphase besteht kein Nestschutz durch die Mutter. Daher ist es so wichtig, dass alle Kontaktpersonen eines Babys ebenfalls geimpft sind, denn der Säugling selbst kann frühestens im dritten Lebensmonat geimpft werden. Nach der ersten Dosis bietet die Vakzine zu 40 Prozent einen Immunschutz, nach der dritten Impfung im fünften oder sechsten Lebensmonat liegt er bei über 80 Prozent.
Hämophilus influenza B
Haemophilus influnzae vom Serotyp B (HiB) ist der häufigste Verursacher bakterieller Hirnhautentzündung bei Kindern zwischen zwei Monaten und fünf Jahren in Ländern, in denen nicht genügend geimpft wird. Die Krankheit verläuft sehr schnell und selbst bei sofortiger antibiotischer Behandlung sterben bis zu 10 Prozent der Infizierten.
Hepatitis B
Hepatitis-B-Viren werden vor allem während sexueller Kontakte übertragen. Da Jugendliche jedoch häufig nicht mehr den Arzt aufsuchen, ist eine Impfung vor der Pubertät sinnvoll. Seit 1995 gehört die sehr gut verträgliche Hepatitis-B-Impfung daher zum Standardprogramm für Säuglinge. Und es gibt einen weiteren Grund, so früh zu impfen: Babys erkranken zwar selten, doch dann wird der Infekt der Leber bei bis zu 90 Prozent chronisch und ist derzeit unheilbar. Bei Erwachsenen liegt die Chronifizierungsrate dagegen nur bei 10 Prozent.
Die aktuellen Impfempfehlungen der STIKO sowie den gültigen Impfkalender veröffentlichte das Robert-Koch-Institut im »Epidemiologischen Bulletin« in der Ausgabe 34/2013: unter www.rki.de
Hepatitis B gehört zu den weltweit verbreitetsten Erkrankungen. In Deutschland liegt der Anteil der akut infizierten Erwachsenen schätzungsweise bei 0,6 Prozent. Mütter können das Virus vor und während der Geburt an ihr Baby weitergeben. Betroffen sind pro Jahr schätzungsweise 2800 bis 5600 Neugeborene. Meist verläuft die akute Infektion symptomlos. Sie kann aber in 0,5 bis 1,0 Prozent der Fälle zu Leberversagen führen. Chronische Verläufe erhöhen das Risiko für eine Leberzirrhose oder ein Leberzellkarzinom.
Pneumokokken
Streptococcus pneumoniae gilt bei Säuglingen und Kleinkindern als häufigster Erreger schwer verlaufender invasiver bakterieller Infektionen. Jedes Jahr nimmt diese Erkrankung bei etwa 11,1 von 100 000 Kindern unter fünf Jahren einen schweren Verlauf. In derselben Altersgruppe entwickeln 4,1 von 100 000 pro Jahr eine Hirnhautentzündung, die bei rund 10 Prozent der Fälle tödlich verläuft. Neben Lungenentzündungen verursacht das Bakterium auch Blutvergiftungen. Je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher eine Infektion. Babys bis zu einem Alter von 24 Monaten erhalten daher einen polyvalenten Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff, ältere Kinder und Erwachsene einen Polysaccharid-Impfstoff.
Über die Impfungen gegen Meningokokken, Masern, Mumps, Röteln und Windpocken informiert der vierte Teil dieser Serie in der Juni-Ausgabe des PTA-Forums. /
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