Globale Herausforderung |
22.04.2014 16:02 Uhr |
Von Ev Tebroke / Inzwischen sind sie nahezu überall auf der Welt zu finden, nicht nur in Gewässern, in Böden und im Klärschlamm, sogar auch in Lebewesen: Wirkstoffe und Abbauprodukte von Medikamenten. Ein Forschungsprojekt untersucht seit 2012 erstmals weltweit das Ausmaß der Umweltbelastung durch diese Rückstände. Jetzt liegen erste Ergebnisse vor.
Das Forschungsprojekt gab das Umweltbundesamt (UBA) in Auftrag. Die Daten der Studie sind alarmierend. So lassen sich weltweit Spuren von mehr als 630 verschiedenen Arzneimittelwirkstoffen und deren Abbauprodukten nachweisen. 17 Wirkstoffe kamen demnach in allen untersuchten Ländern vor.
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Trauriger Spitzenreiter unter den gemessenen Rückständen ist das Schmerzmittel Diclofenac. Der Entzündungshemmer wurde bislang in den Gewässern von 50 Ländern nachgewiesen. In 35 dieser Länder überstiegen die gemessenen Werte die Konzentration von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Dieser Wert gilt als bedenklich: In der Vergangenheit wurde im Laborversuch mit Fischen bereits gezeigt, dass bereits eine Wasserbelastung in ungefähr dieser Höhe die Tiere schädigt. Deshalb hatten sich die EU-Mitgliedstaaten unlängst darauf geeinigt, die Konzentration von Diclofenac in europäischen Gewässern regelmäßig zu kontrollieren. Auch sollen bei einer Überschreitung des Grenzwertes von 0,1 Mikrogramm pro Liter mögliche Gegenmaßnahmen entwickelt werden. Neben Diclofenac sind laut UBA weitere Arzneimittel weltweit in der Umwelt sehr weit verbreitet. Dazu zählen auch das Antiepileptikum Carbamazepin, das Schmerzmittel Ibuprofen, das Pillen-Hormon Ethinylestradiol sowie das Antibiotikum Sulfamethoxazol.
Fundierte Daten
»Das Umweltbundesamt kann jetzt sicher belegen, dass Arzneimittelrückstände in der Umwelt weltweit ein relevantes Problem darstellen«, sagte UBA-Präsident Thomas Holzmann. Die Erkenntnis, dass Rückstände von Arzneimitteln die Umwelt belasten, ist grundsätzlich nicht neu. Insbesondere in den Industrienationen wie die EU-Staaten sowie in Nordamerika und China existieren immer fundiertere Daten zum Vorkommen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt. Schlechter sieht es aber mit Informationen und Daten zur Umweltbelastung für Afrika, Lateinamerika und Osteuropa aus. Auch aus Hauptproduktionsländern wie Indien lägen kaum öffentliche Werte vor, so das UBA.
Diese Situation will das noch bis Mitte 2015 laufende Forschungsprojekt »Global Relevance of Pharmaceuticals in the Environment« ändern. Für die Studie hat das IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasser aus Mülheim an der Ruhr im Auftrag des Umweltbundesamts weltweit über 1000 wissenschaftliche Publikationen und andere Quellen aus mehr als 70 Ländern ausgewertet. Auch führten Institutsmitarbeiter Interviews mit Fachleuten aus verschiedenen Ländern.
Ein Grund für die Umweltbelastung durch Humanarzneimittel liegt darin, dass viele Arzneimittel nach der Einnahme nicht vollständig vom Körper abgebaut, sondern teilweise wieder ausgeschieden werden. Da Kläranlagen nicht alle Wirkstoffe aus dem häuslichen Abwasser herausfiltern, gelangen die Arzneimittelrückstände in die Umwelt. In Regionen ohne Kläranlagen kommen die Rückstände sogar direkt in die Gewässer und können so Pflanzen und Tiere schädigen.
Potenziell umweltrelevant
Nach Angaben des UBA verfügt derzeit allein der deutsche Markt bei den Humanarzneimitteln über rund 2 300 verschiedene Wirkstoffe. Etwa die Hälfte davon gilt als potenziell umweltrelevant, ist also toxisch oder schwer abbaubar. Durch Düngung der Felder mit Gülle gelangen außerdem Tierarzneimittel wie Antibiotika oder Antiparasitika in die Böden und Gewässer.
Wie sich diese Substanzen längerfristig auf das Ökosystem auswirken, dazu liegen laut UBA bislang nur wenige Informationen vor. In Laborexperimenten und Freilandversuchen wurden jedoch bei Lebewesen negative Effekte wie verringertes Wachstum, Änderungen im Verhalten oder verminderte Vermehrungsfähigkeit beobachtet. Als besonders schädlich gelten demnach Hormone, Antiparasitika und bestimmte Schmerzmittel, zum Beispiel das Diclofenac. Diese Substanzen werden zudem in der Umwelt nur sehr schwer abgebaut.
Die ersten Ergebnisse der Studie diskutierten Anfang April rund 60 Experten aus Wissenschaft, Politik, Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaft auf einem vom UBA und dem Bundesumweltministerium initiierten internationalen Workshop in Genf. Die Fachleute berieten über Maßnahmen, um der weltweiten Belastung der Umwelt mit Arzneimitteln entgegenzuwirken. Lösen könne man das Problem nur global, durch die Stärkung der internationalen Sicherheit im Umgang mit Chemikalien, sagte Holzmann.
Das Forschungsprojekt soll dazu dienen, das Thema Arzneimittel in der Umwelt im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zu verankern, als Teil des sogenannten strategischen Ansatzes zum internationalen Chemikalienmanagement (SAICM). Werde dies angenommen, so das UBA, folgten konkrete, weltweite Maßnahmen.
Laut UBA muss das Problem grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen angegangen werden. Sowohl Patienten, als auch Ärzte und Apotheker sowie Vertreter aus der Wasserwirtschaft und Pharmaindustrie, sie alle müssten miteinbezogen werden, um die Arzneimitteleinträge in die Umwelt zu verringern. Nur so ließen sich die Gewässer und Böden in ihrer Funktion als Lebensraum und Trinkwasserressource langfristig schützen. /
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