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Analgetika

Opioide

22.04.2014  16:02 Uhr

Von Ursula Sellerberg / Opioide sind in der Schmerztherapie unersetzlich. So sind die Wirkstoffe wichtige Bestandteile des WHO-Stufenschemas zur Schmerzbehandlung. Unter Beachtung bestimmter Regeln eignen sie sich gut zur Linderung mittelstarker und starker Schmerzen.

Opioide sind im Milchsaft des Schlafmohns (Opium) enthalten oder ähneln diesen Naturstoffen strukturell. Das Wirkprofil der verschiedenen Arzneistoffe ist ähnlich, aber nicht identisch. Die einzelnen Opioide wirken unterschiedlich, da sie bestimmte Opioid-Rezeptoren entweder stärker oder weniger intensiv aktivieren.

Die Haupt- und Nebenwirkungen der Opioide teilen Experten in zentrale und periphere ein, denn Opioid-Rezeptoren gibt es sowohl im zentralen Nerven-System als auch in peripheren Organen (siehe Grafik). Die Dosiserhöhung eines Opioids erhöht in vielen Fällen das Risiko für Nebenwirkungen und auch die Gefahr einer körperlichen Abhängigkeit, verbessert aber nicht zuverlässig die Schmerzhemmung.

Bei Opioiden ist eine Toleranz­entwicklung möglich: Die erwünschten und einige der unerwünschten Wirkungen sind zu Beginn der Therapie besonders stark, lassen im Laufe der Zeit aber nach. Sowohl die analgetische als auch die unerwünschten Wirkungen entstehen über eine Stimulierung der Opioid-Rezeptoren im zentralen und peripheren Nervensystem.

Zentrale Wirkungen

Opioide hemmen die Schmerzweiterleitung und aktivieren zudem das körpereigene schmerzhemmende System. Dadurch empfindet der Patient die Schmerzen nicht mehr als so unangenehm. Wegen der Toleranzentwicklung muss der Arzt bei längerer Behandlung die Dosis erhöhen. Die dauerhafte Gabe von Opioiden kann die Schmerzschwelle senken. Eine übermäßige Schmerzempfindung (Hyperalgesie) ist die Folge. Dann setzen die Schmerzen zeitgleich mit der Gabe des Schmerzmittels ein.

Vor allem zu Beginn der Therapie sinken Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Daher erhöht die Gabe von Opioiden das Sturzrisiko besonders bei älteren Patienten. Auch die Verkehrssicherheit kann eingeschränkt sein. Wenn die Patienten stabil eingestellt sind, können manche nach Absprache mit ihrem Arzt dennoch wieder Auto fahren.

Opioide wirken angstlösend. Die subkutane Gabe eignet sich deshalb besonders zur Schmerzbehandlung bei Patienten mit akutem Lungenödem oder Herzinfarkt. Je nach Stimmungs­lage führen Opioide zu Euphorie oder zum Gegenteil. Vor allem bei nicht bestimmungsgemäßer Anwendung besteht die Gefahr, dass sich eine psychische Abhängigkeit entwickelt.

Opioide hemmen das Atemzentrum, insbesondere Kinder reagieren sehr empfindlich. Bei Schmerzpatienten ist die Atemdepression jedoch oft geringer ausgeprägt als bei Gesunden, da Schmerzen das Atemzentrum aktivieren. Opioide sind in vielen Fällen akuter Atemnot Medikamente der ersten Wahl, etwa bei Palliativpatienten. Werden Opioide gegen Atemdepres­sion eingesetzt, gibt es keine Toleranzentwicklung.

Außerdem hemmen Opioide das Hustenzentrum im Gehirn, dadurch wirken sie antitussiv. Die Skelettmuskulatur wird starrer. Da Opioide das Brechzentrum erregen, leiden manche Patienten vor allem zu Therapiebeginn an Übelkeit und Erbrechen. Bei längerer Anwendung wird das Brechzentrum gehemmt, dann wirken die Opioide antiemetisch.

Durch Freisetzung des antidiuretischen Hormons wird die Wasserausscheidung in den Nieren gehemmt. Die Pupillen werden durch Opioide klein gestellt (Miosis).

Zudem können Opioide bei Frauen einen Mangel des Hormons Progesteron, bei Männern einen Mangel an Testosteron verursachen. Das gilt vor allem für die Langzeittherapie oder hohe Dosierungen.

Periphere Wirkungen

Da sich auch im Verdauungstrakt Opioid-Rezeptoren befinden, verzögern Opioide die Magenentleerung und reduzieren die Darmbewegungen. Die Verstopfung belastet Patienten sehr und sollte möglichst schon vorbeugend mit Medikamenten behandelt werden. Ein wichtiger Hinweis für Patienten: Während einer Opioidtherapie erstatten die gesetzlichen Krankenkassen rezeptfreie Laxantien (OTC-Ausnahmeliste).

Selten kommt es unter der Behandlung mit Opioiden zu einem Harnverhalt. Wegen der schmerzhemmenden Wirkung der Opioide bemerken Patienten den Druck auf ihre Blase nicht immer selbst.

Während der Opioid-Therapie sinkt der Blutdruck und es können Hautreak­tionen wie Rötungen oder Juckreiz auftreten, weil Opioide Histamin freisetzen. Asthmatische Anfälle können die Folge sein.

Nebenwirkungen nutzen

Einige Nebenwirkungen der Opioide werden zur Behandlung anderer Symptome genutzt, zum Beispiel verordnen Ärzte Loperamid gegen Durchfall oder Codein bei Husten. Die Patienten sollten wissen, dass sie wegen möglicher Wechselwirkungen auf Alkohol verzichten sollten. Ebenso wichtig ist der Hinweis, dass Opioide ihre volle analgetische Wirkung oft erst nach Tagen bis Wochen entfalten.

Als Vorteil der Opioide gilt, dass sie weder die Leber noch die Nieren und den Verdauungstrakt schädigen. Deshalb kann der Arzt sie Patienten auch über lange Zeit in steigenden Dosierungen verordnen – vorausgesetzt, dass deren Ausscheidungsorgane ausreichend funk­tionieren.

Da Opioide auch das Atemzentrum im Gehirn hemmen, können Überdosierungen zu einer tödlichen Atemlähmung führen! Die massiv reduzierte Atmung, Bewusstlosigkeit und kleine Pupillen sind Zeichen einer Überdosis. Für nicht an Opioide Gewöhnte ist die perorale Gabe von 0,3 bis 1,5 Gramm Morphin tödlich. Bei Patienten, die schon länger Opioide einnehmen, liegt die tödliche Dosis oft weit höher.

WHO-Stufenschema

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 1986 ein Stufenschema zur Tumor-Schmerztherapie entwickelt, das heute auch zur Behandlung anderer Schmerzen empfohlen wird (siehe Grafik auf Seite 45). Das Schema lässt sich in einem Satz zusammenfassen: »By the ladder, by the clock, by the mouth«. By the ladder (engl. ladder = Leiter) bedeutet, dass der Arzt den Wirkstoff je nach Art und Stärke der Schmerzen nach dem Stufenschema auswählt. By the clock (clock = Uhr) weist darauf hin, dass der Patient die Schmerzmittel in definierten Zeitabständen – nicht nach Bedarf – anwenden soll. By the mouth (engl. mouth = Mund) meint, dass – falls möglich – die orale Gabe der parenteralen vorzuziehen ist. Denn dies erhält die Unabhängigkeit des Patienten, er ist beispielsweise nicht darauf angewiesen, dass ihm eine Fachkraft das Schmerzmittel verabreicht.

Patienten mit sehr starken Schmerzen verordnet der Arzt gleich ein Opioid. Die Stufe 2 kann er auch überspringen – etwa, wenn er mit sehr starken Schmerzen rechnet. Das Stufenschema fordert die gleichzeitige Gabe von Schmerzmitteln der Stufe 1 und Opioiden. Keinesfalls sinnvoll ist es, Opioide der Stufen 2 und 3 zu kombinieren. Andere analgetisch wirksame Substanzen wie Glucocorticoide, Coanalgetika wie Antidepressiva und Muskelrelaxanzien, Lokalanästhetika oder Immunsuppressiva kann der Arzt je nach Indikation mit Arzneisubstanzen jeder Stufe kombinieren.

Definierte Zeitabstände

Opioidanalgetika nur nach Bedarf anzuwenden, ist grundsätzlich falsch. Stattdessen soll der Patient Schmerzmittel nach definierten Zeitabständen einnehmen. Wie lang das Intervall zwischen zwei Gaben sein muss, hängt vom jeweiligen Arzneimittel ab. Werden Schmerzmittel zu selten gegeben, können zwischen den Dosen wieder Schmerzen auftreten. Andererseits darf der Patient Analgetika wegen der Gefahr der Akkumulation auch nicht zu oft erhalten. Treten bei einer Dauertherapie Schmerzen auf, wird in der Regel nicht das Zeitintervall verkürzt, sondern die Dosis der Einzelgaben erhöht.

Über die verschiedenen Opioid-Wirkstoffe informiert der vierte Teil der Serie in der Juni-Ausgabe des PTA-­Forums. /

E-Mail-Adresse der Verfasserin
ursula.sellerberg(at)yahoo.de