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Theophyllin

Teeblätter retten Menschenleben

22.04.2014  16:02 Uhr

Von Edith Schettler / Bei manchen Asthma-Anfällen entscheidet schnelle Hilfe über Leben und Tod des Patienten. Die wichtigste Rolle in der akuten Situation spielen Bronchien erweiternde Arzneistoffe. Theophyllin ist der älteste Wirkstoff aus der Gruppe der Bronchodilatatoren. Seine Wirkung auf die Bronchien wurde zum ersten Mal von einem Kaffeetrinker, dem englischen Arzt und Hochschullehrer Henry Salter entdeckt.

Die akute Luftnot während eines Asthma-Anfalls ist Folge eines Spasmus der Bronchialmuskulatur. Betroffene können häufig noch einatmen, doch das Ausatmen fällt ihnen schwer. Jeder Asthmatiker führt deshalb ein Notfall-Medikament mit sich, das er sofort inhaliert und so die Bronchien wieder erweitert. Viele Asthmatiker müssen lebenslang Medikamente inhalieren oder einnehmen, die dafür sorgen, dass der gefürchtete Bronchospasmus gar nicht erst entsteht.

Glücklicherweise stehen Medizinern heute ausreichend viele Arzneistoffe zur Verfügung, sodass sie für jeden Asthma-Patienten ein maßgeschneidertes Therapiekonzept erstellen können. Für die Akuttherapie werden in der Regel Monopräparate zur Inhalation mit einem schnell und kurz wirksamen Beta-2-Sympathomimetikum wie Salbutamol eingesetzt. Für die Dauertherapie wählt der Arzt lang wirkende Beta-2-Sympathomimetika wie Formoterol oder Salmeterol, die er in den meisten Fällen mit einem Glucocorticoid kombiniert. In weniger schweren Fällen inhalieren die Patienten als Basistherapie auch nur antiinflammatorische Corticoide wie Budesonid.

 

Weil die Inhalationstherapie, abgesehen von den lokalen Nebenwirkungen, weniger Unverträglichkeiten verursacht als die orale Anwendung der Arzneistoffe, verordnet der Arzt dem Patienten erst dann Tabletten, Granulate oder Tropfen, wenn inhalative Arzneiformen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Grundsätzlich kann er dann zwischen sechs Gruppen von Arzneistoffen auswählen. Infrage kommen:

 

  • Bronchien erweiternde Beta-2-Sympathomimetika,
  • entzündungshemmende Leukotrien-Rezeptorantagonisten,
  • Glucocorticoide,
  • mastzellstabilisierende Cromone,
  • Omalizumab (ein Antikörper gegen das Immunglobulin E) und
  • Theophyllin.

Theophyllin als der älteste Wirkstoff aus der Gruppe der systemisch wirksamen Bronchodilatatoren kommt heute nur noch bei Patienten mit mittel- oder schwer­gradigem persistierendem Asthma bronchiale zum Einsatz. Doch in der Vergangenheit verdankten viele Menschen diesem Arzneistoff ihr Leben.

 

Kaffee lindert Luftnot

Theophyllin, oder nach chemischer Nomenklatur 1,3-Dimethylxanthin, gehört wie Coffein und Theobromin zu den Purinalkaloiden. Diese Alkaloide wirken im menschlichen Körper auf vielfältige Weise: Sie steigern den Blutdruck und die Herzleistung (positiv inotrope und chronotrope Wirkung), erhöhen die Diurese, indem sie die Nierendurchblutung verbessern, stimulieren das Atemzentrum und entspannen die Bronchialmuskulatur. Überdosiert führen die Purin­alkakoide zu Schlafstörungen, Übelkeit, Krämpfen und Herzrhythmusstörungen.

 

Allein mit dem Konsum von Kaffee, Kakao oder schwarzem Tee, den Hauptvorkommen der Xanthine, erreicht allerdings niemand, diese toxischen Effekte. Für die isolierten Substanzen ist jedoch die therapeutische Breite, das heißt, der Grat zwischen wirksamer und toxischer Dosis, sehr gering. Das gilt insbesondere für Theophyllin.

 

Die Wirkung des Theophyllins auf das Atemzentrum und die Bronchien erkannte als erster Henry Salter (1823–1871). Der Londoner Arzt und Hochschullehrer beobachtete Mitte des 19. Jahrhunderts, dass der Genuss von größeren Mengen Kaffee seinen chronischen Husten linderte. Bereits als Kind hatte Salter an Asthma gelitten, das sich im Erwachsenenalter weiter verschlechterte. In seinem 1860 erschienenen bedeutenden Buch »On Asthma – its Pathology and Treatment« beschrieb er – auch aus eigener Beobachtung – sehr genau Ursachen, Auslöser und Erscheinungsbild des Asthma bronchiale. Aufgrund eigenen Erlebens empfahl er als Therapie des akuten Anfalles Opiate zur Beruhigung und heißen starken Kaffee zur Besserung der Atemnot.

 

Schwarzer Tee erforscht

Die Samen der Kaffeepflanze (Coffea arabica) enthalten Theophyllin nur in geringen Mengen. Es ist Teil eines Alkaloid-Gemisches, zu dem immer Coffein und Theobromin gehören. Hauptalkaloid ist das Coffein mit einem Gehalt von etwa 6 Prozent. Weil im Organismus Coffein zu Theophyllin abgebaut wird, hat Salter starker Kaffee gegen seine Asthma-Anfälle geholfen.

 

Der Engländer wäre sicher ein passionierter Teetrinker geworden, hätte er gewusst, dass Teeblätter wesentlich mehr Theophyllin enthalten als Kaffeebohnen. Die höchsten natürlichen Vorkommen des Alkaloides finden sich mit 0,25 Prozent in Guaraná, das Salter vermutlich nicht gekannt hat. Ebenso wenig wusste er, dass die Wirkung des Kaffees auf dem Effekt des Theophyllins beruht. Dieses Alkaloid fand erst Albrecht Kossel (1853–1927), ein deutscher Mediziner und Physiologe, in Blättern des Teestrauches (Camellia sinensis).

Mit dem Tee und seinen Stickstoff-haltigen Inhaltsstoffen beschäftigte sich Kossel während seiner Tätigkeit am Institut für Physiologie der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Dort erforschte er hauptsächlich Xanthin und Hypoxanthin in tierischen und pflanzlichen Organismen. Diese Substanzen bildeten die Grundlage für seine Untersuchungen zu den Nukleinsäuren im Zellkern. Während seiner Versuche gelang es ihm, aus Teeblättern eine winzige Menge einer Substanz zu isolieren, die er »Theophyllin« (den Stoff aus Teeblättern) nannte.

 

Seine Ergebnisse publizierte er 1888 in dem Artikel »Über eine neue Base aus dem Pflanzenreich« und im Jahr 1889 in dem Beitrag mit dem Titel »Über das Theophyllin, einen neuen Bestandtheil des Thees«. Berühmt und mit dem Nobelpreis geehrt wurde Kossel für seine Arbeiten zu den Proteinen im Zellkern. Damit gestaltete er das neue Gebiet der Biochemie maßgeblich mit.

 

Zum ersten Mal synthetisiert

Den Berliner Chemikern Emil Fischer (1852–1919) und Lorenz Ach gelang bereits sieben Jahre später die Synthese von Theophyllin und auch Coffein aus 1,3-Dimethylharnsäure. Der ebenfalls in Berlin tätige Chemiker Wilhelm Traube (1866–1942) verbesserte Fischers Verfahren, indem er Harnstoff und Chloressigsäure als Ausgangssubstanzen verwendete. Die nach ihrem Erfinder benannte Traube-Synthese eignet sich besonders für die industrielle Produk­tion. Sie findet daher bis heute nicht nur Anwendung für die Herstellung von Theophyllin, sondern vor allem auch von Coffein.

 

Zunächst kannte noch niemand die medizinische Wirkung des Theophyllins. Erst im Jahr 1912 wiesen unabhängig voneinander der Wiener Internist Jakob Pál (1863–1936) und der deutsche Arzt und Pharmakologe Paul Trendelenburg (1884–1931) die relaxierende Wirkung der Xanthine auf die glatte Muskulatur nach. Und im Jahr 1922 beschrieb der deutsch-jüdische Arzt Samson Hirsch (1890–1960) den Erfolg der rektalen Anwendung einer Lösung aus 66,7 Prozent Theophyllin und 33,3 Prozent Theobromin bei einem Patienten mit einem über 24 Stunden anhaltenden schweren Asthmaanfall. Versuche an isolierten Bronchialmuskeln des Rindes bestätigten seine Beobachtungen, sodass sich innerhalb weniger Jahre die Therapie des Asthma bronchiale mit Theophyllin etablierte.

 

Interaktionen beachten

Trotz der geringen therapeutischen Breite des Arzneistoffes ist das Risiko einer toxischen Dosis für den Patienten jedoch bei weitem geringer als die Gefahr, an den Folgen eines schweren Asthma-Anfalles zu sterben. Bis heute setzen Mediziner Theophyllin-Infusionen in der Behandlung des therapieresistenten Status asthmaticus ein. Im akuten Anfall kann der Asthmatiker auch Theophyllinlösung in Form von Tropfen einnehmen. Seit den 1970er-Jahren ermöglichen retardierte perorale Zubereitungen die Dauerbehandlung des Asthma bronchiale mit Theophyllin.

Patienten mit akuten Herzrhythmusstörungen oder direkt nach einem Herzinfarkt dürfen kein Theophyllin erhalten. Ebenso sollten Ärzte Hypertonikern, Schwangeren, Stillenden, Epileptikern sowie älteren Menschen Theophyllin nur unter äußerster Vorsicht und strenger Indikationsstellung verordnen.

 

Viele Arzneistoffe können den Theophyllin-Blutspiegel erhöhen und toxische Nebenwirkungen auslösen. Zu diesen Wirkstoffen zählen alle Inhibitoren des Cytochrom-P-450-Enzymsystems wie Makrolidantibiotika, zum Beispiel Erythromycin und Clarithromycin, Calciumantagonisten wie Verapamil, Fluorchinolone wie Ciprofloxacin, orale Kontrazeptiva und auch Impfstoffe gegen Influenza. Alle diese Substanzen hemmen den Abbauweg des Theophyllins und führen so zur Anreicherung potenziell toxischer Wirkstoffmengen. Andererseits schwächen bestimmte Arzneistoffe die Wirkung des Theophyllins mehr oder weniger stark ab. Dazu zählen vor allem die Barbiturate, aber auch Tabakrauch. Um mögliche Interaktionen zu erkennen, ist daher für die Beratung von Asthmapatienten ein aufmerksamer Blick in die Kundenkartei unerlässlich. /

E-Mail-Adresse der Verfasserin
e_schettler(at)freenet.de

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